Auf Instagram hat der Vaihinger Jugendgemeinderat geworben. Auf den letzten Drücker haben sich dann doch noch genügend junge Leute beworben. Foto: privat

In Vaihingen war bis kurz vor Ende der Bewerbungsfrist unsicher, ob sich genügend Kandidaten für die anstehende Jugendgemeinderatswahl finden. Gewählte Gremien gibt es im Landkreis nur in sechs Kommunen.

Was macht eigentlich ein Jugendgemeinderat? Eine Frage, die sich viele stellen. Jung wie alt. Auch Tim Tibi konnte sich nicht viel darunter vorstellen. Und dass er sich selbst mal zur Wahl stellen würde? Das war nicht der Plan. Inzwischen ist der Ludwigsburger jedoch froh, dass er sich vor gut eineinhalb Jahren aufstellen hat lassen. Als der Brief der Stadt mit der Info ins Haus flatterte, er sei berechtigt zu kandidieren, gab sich der 17-Jährige einen Ruck.

Seit 2017 besteht das Gremium. Bislang haben sich in Ludwigsburg immer genügend Bewerber und Bewerberinnen gefunden, so Hannah Junginger vom Fachbereich Bildung und Familie der Stadt. Zum Glück. Denn in Vaihingen an der Enz hatte man bis zuletzt gebibbert. Seit 1995 gibt es dort den Jugendgemeinderat. 25 Mitglieder hat das beratende Gremium. Seit 20. Januar konnten sich junge Menschen für die nächste dreijährige Amtszeit bewerben, doch das Interesse war mau. Zwei Tage vor Ablauf der Frist gab es nur fünf Interessenten.

Viele Anfragen zu Neugründungen

Oberbürgermeister Uwe Skryzbek war ratlos. Schließlich hat Vaihingen zwei Realschulen, zwei Gymnasien und eine Waldorfschule. Wenn am Ende dann so wenig Interesse bestehe, müsse die Diskussion über den Sinn eines Jugendgemeinderates erlaubt sein. „Ich glaube“, sucht Skryzbek nach einer möglichen Erklärung, „dass viele junge Menschen nicht mehr hungrig nach Veränderungen sind“.

Reinhard Langer vom Dachverband der Jugendgemeinderäte im Land sieht das aber anders. „Wir haben nicht den Eindruck, dass die Zahl der engagierten Jugendlichen in unseren Jugendgemeinderäten zurückgeht. Ganz im Gegenteil. Wir erhalten so viele Anfragen zum Thema Neugründungen wie nie.“ Und auch bundesweit steige die Anzahl an Jugendgremien. Der Dachverband sei stark auf die Zusammenarbeit mit den Kommunen angewiesen. Sie seien Dreh- und Angelpunkt eines Jugendgemeinderates. „Es gibt für jede Kommune eine Möglichkeit der Jugendbeteiligung und wir fordern die Kommunen auf, sich über die Möglichkeiten etwa bei uns oder bei der Landeszentrale für politische Bildung zumindest zu informieren.“

Auch an die Landespolitik stellt der Dachverband Forderungen. Es müsse, so Langer, in Zukunft darauf geachtet werden, dass die Fördergelder gezielt Verbände erreichen, die eine unmittelbare Auswirkung auf die Jugendlichen und die Gesellschaft haben. Wo also Veranstaltungen gezielt mit und für die Jugendlichen geschaffen würden, Weiterbildung der Jugendlichen selbst stattfindet und nicht nur Verwaltungsstrukturen auf verschiedenen Ebenen geschaffen würden. „Gerade vor dem Hintergrund der Absenkung des aktiven und des bevorstehenden passiven Wahlalters, müssen Begleitmaßnahmen für die Jugendlichen getroffen werden, die die Jugendlichen auch tatsächlich erreichen. Sonst droht eine Scheinbeteiligung der Jugendlichen.“

100 gewählte Jugendgemeinderäte gebe es laut Landeszentrale für politische Bildung in Baden-Württemberg aktuell. Sechs davon – Vaihingen, Gerlingen, Ludwigsburg, Korntal-Münchingen, Markgröningen und Ditzingen – im Landkreis Ludwigsburg. Im Jahr 2019 legte die Landeszentrale eine Studie zur kommunalen Jugendbeteiligung im Land auf. 3269 junge Menschen im Alter zwischen 14 und 19 Jahren nahmen teil. Rund 53 Prozent gaben an, sich schon einmal politisch beteiligt zu haben. 93 Prozent der Befragte hielten es für wichtig, dass sie an ihren Wohnorten mitentscheiden dürfen, allerdings fühlte sich mehr als die Hälfte nicht ernstgenommen.

Viele fühlen sich nicht verstanden

Dabei ist die baden-württembergische Gemeindeordnung eigentlich klar in diesem Punkt. „Die Gemeinde soll Kinder und muss Jugendliche bei Planungen und Vorhaben, die ihre Interessen berühren, in angemessener Weise beteiligen“, heißt es in Paragraf 41a. Warum also dennoch das Gefühl des nicht Verstandenwerdens und oftmals das Desinteresse an einer Mitarbeit? „Viele denken, bei uns geht es bierernst zu, aber das ist überhaupt nicht so. Es macht unheimlich viel Spaß. Wir sind eine richtig coole Truppe – so wie andere Jugendgemeinderäte auch“, erzählt Tim Tibi. Darüber hinaus bringe einen das Mandat persönlich weiter. „Man lernt viel, gewinnt an Selbstsicherheit und lernt sich auszudrücken.“

Sein politisches Interesse habe eine Rolle bei seiner Entscheidung gespielt, sagt Tibi. Genauso wie das Bedürfnis, sich für die Gesellschaft zu engagieren und Ansprechpartner für die Jugend zu sein. Allerdings wüssten viele Jugendliche nichts mit dem Gremium und der Arbeit eines Jugendgemeinderates anzufangen. „Viele wissen nicht einmal, dass es in ihrer Stadt einen gibt. Da müssen wir noch mehr werben.“

Schulen kommt Schlüsselrolle zu

An den Schulen im Gemeinschaftskunde-Unterricht geschehe das schon, betont Fabian Schmidt vom Kultusministerium. Politische Bildung wolle jungen Menschen das Wissen und die Fähigkeiten vermitteln, die mündige Bürgerinnen und Bürger brauchen: Infos sammeln, Zusammenhänge erkennen, Interessen gewichten, Positionen selbstbewusst formulieren, abweichende Vorstellungen akzeptieren, andere Menschen für Ideen gewinnen. Seit dem Schuljahr 2019/2020 werde im Land zudem der Leitfaden Demokratiebildung umgesetzt. Dabei gehe es auch darum, Schule über den Fachunterricht hinaus als „Erfahrungs- und Erprobungsraum für Selbstwirksamkeit“ zu gestalten.

Übrigens: Kurz vor Schluss der Bewerbungsfrist konnte in Vaihingen dann doch noch aufgeatmet werden. 55 Bewerber sind’s am Ende geworden.

Rechte von Kindern und Jugendlichen

Rechte
Kinder und Jugendlichen haben das Recht an Prozessen und Entscheidungen beteiligt zu werden – verankert ist dieses Recht unter anderem in internationalen Gesetzen, wie etwa der UN-Kinderrechtskonvention, und in nationalen Gesetzen, wie beispielsweise im Kinder- und Jugendhilfegesetz, eingearbeitet.

Gemeindeordnung
Mit der Novellierung der Gemeindeordnung Baden-Württemberg 2015 hat der Gesetzgeber die Rechte der Kinder und Jugendlichen im Hinblick auf eine kommunalpolitische Beteiligung weiter gestärkt. Paragraf 41 der Gemeindeordnung sagt: Kinder sollten in Planungen und Vorhaben, die ihr Interesse berühren, in angemessener Weise eingebunden werden. Bei Jugendlichen besteht sogar eine Pflicht zur Beteiligung. Dafür sind von der Gemeinde geeignete Beteiligungsverfahren zu entwickeln. Insbesondere kann die Gemeinde einen Jugendgemeinderat oder eine andere Jugendvertretung einrichten