Kanzler Olaf Scholz und der japanische Ministerpräsident Fumio Kishida (re.) Foto: dpa/Kay Nietfeld

Kanzler Olaf Scholz ist mit sechs Ministern zu Regierungskonsultationen nach Japan gereist. In Berlin herrscht Zwietracht in der Koalition. Die Reise ist eine Übung in Sachen Bescheidenheit

Jemand rückt Olaf Scholz den Stuhl zurecht, bevor er sich hinsetzt. Der gepolsterte Holzstuhl hat – anders als die Stühle rechts und links von ihm – Armlehnen, um die Bedeutung des Gastes herauszustellen.

Der japanische Ministerpräsident Fumio Kishida hat die Hände gefaltet. Er sitzt kerzengerade und hat den Blick nach vorn gerichtet: auf Scholz. Kishida begrüßt den deutschen Kanzler „von ganzem Herzen“. Dann spricht er davon, wie „Olaf und ich“ bei Scholz‘ erstem Besuch vor 11 Monaten das vereinbart haben, was an diesem Tag stattfindet: die ersten deutsch-japanischen Regierungskonsultationen.

Scholz wird jetzt etwas sagen, was er im Lauf des Tages mehrfach wiederholen wird. „Ich freue mich, wieder in Japan zu sein“, sagt er. Der Kanzler spricht von der guten Zusammenarbeit und davon, dass Japan einen großen Beitrag geleistet habe, dass es eine breite Allianz gegen den Einsatz von Atomwaffen im Ukraine-Krieg gegeben habe.

Sechs Minister reisen mit

Der deutsche Regierungschef ist nach Tokio geflogen – und sechs Minister aus seinem Kabinett haben ihn begleitet: Vize-Kanzler und Wirtschaftsminister Robert Habeck und Finanzminister Christian Lindner waren an Bord, die sich bei Streitigkeiten über den Haushalt schon mal gegenseitig böse Briefe schreiben. Der neue Star im Kabinett, Verteidigungsminister Boris Pistorius, reiste mit. Ebenso Außenministerin Annalena Baerbock, Innenministerin Nancy Faeser und Verkehrsminister Volker Wissing. So viel war klar: Diese Maschine durfte nicht abstürzen. Sonst hätte es in Berlin größere Probleme gegeben, was das Regieren angeht. Aber von diesem schlimmsten Fall ging offenkundig niemand aus.

Die wichtigsten Ampel-Protagonisten sind also, wie in einer kleinen Klassenreise, gemeinsam in das Land der Höflichkeit gereist. Und das zu einer Zeit, in der die üblichen Streitigkeiten in dem komplizierten Dreierbündnis heftiger ausfallen als sonst. Klassenreisen können Spaß machen – aber nicht alle in der eigenen Klasse sind die besten Freunde.

Ordnung als Zeichen des Respekts

Japan, das Land der Höflichkeit? Das klingt wie ein Klischee, aber es gibt viele Beispiele dafür. Die japanischen Fußballfans sind bei Weltmeisterschaften dadurch aufgefallen, dass sie die Zuschauerränge im Stadion nach dem Spiel von Müll gesäubert haben. Auch die Mannschaft hinterließ die Kabine makellos aufgeräumt. Schon in Grundschulen putzen Kinder gemeinsam die Klassenräume – das soll auch ein Zeichen des Respekts gegenüber den anderen sein. Und diese Haltung ist Teil der japanischen Kultur.

An diesem Tag im Amtssitz des Premiers kommt die Höflichkeit manchmal ein wenig hektisch, improvisiert daher. Während Scholz seine Sätze über die gute Zusammenarbeit mit Japan vorträgt, üben Soldaten in einem anderen Teil des Amtssitzes des japanischen Ministerpräsidenten für die militärischen Ehren, die dem Kanzler gleich zuteilwerden sollen. Ein Verantwortlicher geht rasch mit der Hand über den roten Teppich, auf dem Scholz in Kürze stehen soll. Er hat fast schon in letzter Minute irgendetwas Weißes, einen Fussel oder Ähnliches, darauf entdeckt.

Die Soldaten stehen in einer Linie, die mit dem Zollstock abgemessen wurde. Sie schlagen auf Zuruf mit dem Rumpf ihrer Holzgewehre auf den Boden. Auf dem Lauf der Gewehre ist noch ein Messer angebracht. Sitzt jeder Handgriff jedes einzelnen Soldaten, wie er soll? Es sieht danach aus.

Konsultationen als Geste

Das Bundeskabinett könnte etwas improvisierte Höflichkeit gut gebrauchen. Finanzminister Christian Lindner hat gerade die Verkündung der Eckwerte für den Haushalt platzen lassen, weil die Minister Zusatzwünsche von 70 Milliarden Euro angemeldet hatten. Die Streitthemen in der Koalition sind zahlreich. Das harte Ringen über die Planungsbeschleunigung dauert in der Koalition schon so lange an, dass man meinen könnte, das zentrale Ziel der Koalition sei, dass alles langsamer werde. Die Lösungssuche beim Haushalt ist auch kein Beispiel für die versprochene neue Deutschlandgeschwindigkeit. Ob die gemeinsamen Stunden im Flieger Fortschritte gebracht haben, wird sich in den kommenden Tagen zeigen. Regierungskonsultationen sind für Minister eine Übung in Bescheidenheit. Diejenigen, die sonst immer Hauptfiguren sind, reisen in der Delegation des Kanzlers. In der Plenarsitzung, der großen Sitzung mit den Japanern, sitzt Habeck rechts von

Scholz, Lindner links von ihm, die anderen noch ein bisschen weiter außen. Lindner lächelt ausgiebig, als es losgeht, lässt sich aber auch ein bisschen in seinen Stuhl fallen. Für Gespräche mit den Kollegen, die in Japan ein vergleichbares Ministerium haben, für ein Familienfoto und für eine gemeinsame Plenarsitzung mit den japanischen Kollegen, die so kurz ist, dass jeder weiß: Der Einzelne hat hier nicht viel zu sagen. Und was er zu sagen hat, ist bei solchen Anlässen ohnehin vorbereitet.

Warum also das Ganze? Solche Konsultationen sind wie ein Picknick, das man für einen geliebten Menschen veranstaltet. Man sitzt, trotz Decke, oft ungemütlich. Der Wein wäre vermutlich besser temperiert, wenn man ihn nicht im Rucksack durch die Gegend geschleppt hätte. Aber das Ganze ist eben in erster Linie eine Geste, dass man den anderen gern hat.

Freundschaft muss gepflegt werden

Auch gegenseitige Regierungskonsultationen sind ein Ausdruck der besonderen Wertschätzung. Mit ihnen zeigt die Bundesregierung: Ihr seid uns wichtig – auch wenn China der größere Markt ist. Die Japaner sind, wie es in der deutschen Regierung heutzutage ausgedrückt wird, Wertepartner. In unübersichtlichen Zeiten muss Freundschaften gepflegt werden, das hat die Bundesregierung sich zum Ziel gesetzt.

Japan hat den harten Kurs im Ukraine-Krieg gegenüber Russland mitgetragen. Das weiß die Bundesregierung zu schätzen. Denn Japan ist zwar durch und durch eine Demokratie. Aber die Ukraine ist für sie auch weit weg. Gleichzeitig sieht man Japan auch als Partner darin, um die Länder des globalen Südens zu werben, die eine ganz andere Sicht auf diese Fragen haben. In diesem Jahr sitzt Japan den G7 vor. Die gegenseitigen Beziehungen sind wichtig.

Beide Länder wollen – angesichts der veränderten Weltlage – ihren Verteidigungshaushalt auf zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts erhöhen. Das ist für Deutschland eine riesige Herausforderung. Für die Japaner ist der Weg noch weiter. Da können die Regierungen sich über Erfahrungen austauschen. Deutschland interessiert sich auch dafür, was Japan für das Thema Rohstoffsicherheit tut. Im Abschlussdokument betonen beide Länder, wie wichtig der Internationale Klimaclub, eine von Scholz angestoßene Idee, im Kampf gegen die Erderwärmung sein könne.

Der japanische Premier Kishida spricht auf der abschließenden Pressekonferenz vor dem gemeinsamen Abendessen noch einmal davon, wie „Olaf und ich“ die Regierungskonsultationen angesprochen hätten. Als Industriestaaten und Wertepartner müssten Deutschland und Japan gemeinsam eine wichtige Rolle einnehmen. „Uns mögen 9000 Kilometer trennen, aber uns verbinden demokratische Prinzipien“, sagt Scholz zum Abschluss. Und: „Arigato.“ Danke! Scholz dehnt das japanische Wort, als würde er es festhalten wollen. Nächste Woche muss er sich seinen Stuhl wieder selbst zurechtrücken.