Ein Kommunikationsdesaster macht Giorgia Meloni große Probleme. Foto: AFP/FILIPPO MONTEFORTE

Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni hebt die von ihrem Vorgänger Mario Draghi eingeführte Verbilligung von Benzin und Diesel wieder auf – dabei hatte Meloni das Gegenteil versprochen.

Wenn man im Wahlkampf ihre Anhängerinnen und Anhänger fragte, warum sie Giorgia Meloni wählen werden, fehlte nie der Hinweis auf ihre „coerenza“, ihre Kohärenz. Giorgia Meloni tue, was sie sage, sie sei glaubwürdig und prinzipientreu, sie ändere ihrem Meinung nicht nach jeder neuen Umfrage. Tatsächlich gelang es Meloni vor und nach den Wahlen vom 25. September lange recht gut, diesen Eindruck von Kohärenz aufrechtzuerhalten. Und deshalb ist das, was in den ersten Tagen des neuen Jahres geschieht, so bemerkenswert – und so gefährlich für die erste Ministerpräsidentin Italiens.

In die ersten größeren Schwierigkeiten ihrer Amtszeit bringt sich Meloni mit dem Entscheid, die von der Vorgängerregierung von Mario Draghi eingeführten Verbilligungen für Benzin und Diesel auslaufen zu lassen. Draghi hatte die Treibstoffzölle und staatlichen Zuschläge zunächst um 30 Cent pro Liter gesenkt, im Dezember wurde der Abschlag auf 18 Cent begrenzt. Im Haushaltsgesetz für 2023, das im Dezember beschlossen wurde, hatte die neue Regierung von Giorgia Meloni den Zünder der politischen Zeitbombe auf den 1. Januar gestellt: Seither werden die verhassten „accise“ wieder vollumfänglich auf den Preis geschlagen. Und prompt machten die Preise für Benzin und Diesel in Italien in der Neujahrsnacht einen markanten Sprung nach oben.

Tankstellen-Betreiber erwägen Streik

Für die Abschaffung der Treibstoff-Verbilligung könnte Meloni gute Gründe ins Feld führen: Die Maßnahme hätte den Staat weiterhin jeden Monat rund eine Milliarde Euro an Einnahmeausfällen gekostet - und das kann sich das hoch verschuldete Italien auf Dauer nicht leisten. Außerdem folgte Draghis Maßnahme dem Gießkannen-Prinzip: Nicht nur Arme und Arbeitspendler, die von den hohen Treibstoffpreisen übermäßig betroffen sind, wurden entlastet, sondern auch Ferrari- und Lamborghini-Fahrer. Außerdem kann man sich angesichts des fortschreitenden Klimawandels auch die Grundsatzfrage stellen, ob eine Verbilligung der Treibstoffe und damit von fossilen Energieträgern noch zeitgemäß und sinnvoll ist.

Dennoch hat Meloni nun ein Problem mit ihrer Glaubwürdigkeit: Als Oppositionsführerin forderte sie jahrelang die Abschaffung der Treibstoffzölle und -zuschläge. Aber nun, als Regierungschefin, macht sie das genaue Gegenteil davon. Schlimmer noch: Statt auf die guten Argumente für die Maßnahme zu verweisen, suchte sie in den letzten Tagen nach Sündenböcken: Viele Tankstellen-Betreiber hätten in den letzten Tagen ihre Preise über Gebühr erhöht, hieß es aus Regierungskreisen. In Wahrheit entsprach die durchschnittliche Preiserhöhung an den Tanksäulen in den letzten Tagen exakt den 18 Cent pro Liter, um die das Benzin und der Diesel zuvor verbilligt wurden – kaum ein „benzinaio“ hat also über Gebühr zugelangt. Die Tankstellen-Betreiber erwägen wegen der rufschädigenden Unterstellungen einen Streik.

Ende der „Flitterwochen“?

Erstmals ernsthaft unter Druck, ließ sich Meloni außerdem zu einer glatten Unwahrheit hinreißen: Zumindest im vergangenen Wahlkampf habe sie nie versprochen, die Treibstoffzölle zu senken, erklärte sie am Mittwoch auf ihren Social-Media-Plattformen. Fünf Minuten später hielt ihr die Opposition ihr Wahlprogramm unter die Nase: „Einfrieren der Staatseinnahmen aus Steuern auf Energie und Treibstoffen sowie automatische Reduktion der Mehrwertsteuer und der Treibstoffzuschläge“, stand da schwarz auf weiß. „Technisch gesehen hat Meloni gelogen“, erklärte der Chef des sozialdemokratischen Partito Democratico, Enrico Letta.

Der „Corriere della Sera“ fragt bereits, ob die „Flitterwochen“ Melonis mit den Bürgerinnen und Bürgern, nun abrupt zu Ende gehe. Für eine derartige Prognose scheint es noch zu früh, aber fest steht, dass die „coerenza“, die Glaubwürdigkeit, bisher ihr wichtigstes politisches Kapital darstellte und dass die Benzin- und Dieselpreise für die meisten Rechtswähler ein hochgradig empfindliches Thema sind, bei dem sie keinen Spaß verstehen.