Auch die Preise für Lebensmittel ziehen stark an. Foto: IMAGO/Martin Wagner

Die Schere in der Gesellschaft öffnet sich. Dem muss die Politik viel entschlossener begegnen, meint unser Autor Klaus Köster.

Die Milliarden aus der Staatskasse sind offensichtlich nicht versandet. Trotz Coronakrise und Rezession, die mit ihr einhergehen, bleibt die Zahl der armutsgefährdeten Menschen erstaunlich stabil. Kurzarbeitergeld und Hilfen in Milliardenhöhe für existenziell bedrohte Firmen haben offenbar Wirkung gezeigt und das wirtschaftliche Abrutschen von Millionen Menschen verhindert. Gleichwohl haben 13 Millionen Menschen ein verfügbares Einkommen, das geringer ist als 60 Prozent des mittleren Einkommens. Das entspricht der doppelten Einwohnerzahl von Berlin, Hamburg, München, Köln und Stuttgart zusammen.

Unterschiede wachsen

Weit überdurchschnittlich sind kinderreiche Familien, Alleinerziehende und Arbeitslose betroffen, und die rasante Entwicklung der Preise deutet darauf hin, dass diese Unterschiede noch deutlich wachsen werden. Ausgerechnet bei Produkten des Grundbedarfs sind die Preissteigerungen besonders hoch. Menschen am unteren Ende der Einkommensskala gaben schon bisher einen weit überdurchschnittlichen Anteil ihres Einkommens für Güter des Grundbedarfs wie Energie aus. Dieser dürfte nun so stark steigen, dass ein Teil von ihnen sich diese Güter gar nicht mehr leisten kann. Gutverdiener dagegen spüren die Entwicklung bisher vor allem daran, dass sie etwas weniger als zuvor auf die Seite legen können und die Aktienkurse nach jahrelangem Anstieg deutlich abgesackt sind. Für eine Gesellschaft ist es gefährlich, wenn sich Welten zwischen die Lebenswirklichkeiten der einzelnen Gruppen schieben.

Sparfähigkeit leidet bereits

Welche weitreichenden Folgen die Inflation aufweist, zeigen Zahlen des Sparkassenverbands Baden-Württemberg. Demnach können 40 Prozent der Privatkundinnen und -kunden kein Geld zur Seite legen, sagt Peter Schneider, Präsident des Sparkassenverbands Baden-Württemberg. Dabei haben die Preissteigerungen für die Energie, die heute verbraucht wird, die Menschen noch gar nicht erreicht – wie teuer ihr Leben schon jetzt ist, werden sie erst erfahren, wenn sie die nächste Abrechnung des Vermieters oder Versorgers erhalten.

An einem Ausgleich für diejenigen, die durch die steigenden Kosten überlastet sind, führt kein Weg vorbei – das ist allemal besser als das Herumdoktern an den Energiekosten wie beim missratenen Tankrabatt, der vor allem vielfahrenden Besitzern spritschluckender Autos zugutekommt.

Soziale Folgen der Energiepolitik

Doch auch die Energiepolitik selbst ist gefragt. Deutschland hat es letztlich nicht in der Hand, wie lange und wie stark Putin den Gashahn noch zudreht. Gerade deshalb aber ist es umso wichtiger, alles zu tun, um kurzfristig noch die Abhängigkeit zu verringern. Dass die Grünen beim Thema Atomkraft derart auf Zeit spielen, könnte sich daher noch bitter rächen. Je größer die Abhängigkeit vom Gas, desto größer ist auch die Gefahr, dass es im Winter zu ernsthaften Produktions-, Versorgungs- und Verdienstausfällen kommen wird, die dann auch die scheinbar so komfortabel abgesicherte Mittelschicht ins Mark treffen.

Der Sozialstaat, der nun gefragt ist, kommt nicht ohne breite Schichten der Bevölkerung aus, die stark genug sind, um ihn zu tragen. Die Frage, wie Deutschland mit einem Gasnotstand nicht nur hinsichtlich der Raumtemperaturen zurechtkommt, sondern auch hinsichtlich seiner Fähigkeit zum sozialen Ausgleich, ist hinter der ideologisch gefärbten Frage nach dem Ausstiegszeitpunkt völlig zurückgetreten. Wer jetzt nicht alles tut, um die gefährdete Versorgung zu verbessern, muss aber wissen, dass er – und sei es ungewollt – den Populisten den roten Teppich auslegt. Sie würden aus der Wut, die ein halbherziges Krisenmanagement erzeugen kann, am meisten Kapital schlagen.