Wie umgehen mit der Krankheit? Hugh Jackman als Vater, Zen McGrath als Sohn in „The Son“. Foto: Leonine

Florian Zeller hat mit seinem Demenzdrama „The Father“ Erfolge gefeiert. Der Nachfolgefilm „The Son“ über einen Teenager, der unter Depressionen leidet, wird dagegen international vielfach kritisiert. Zu Recht?

Wie begegnet man einem depressiven Teenager? Wie hilft man der Familie, den Lehrern und Freunden, die mit den Symptomen der Krankheit umgehen müssen? Über solche Fragen spricht man nicht gerne, aus verschiedenen Gründen. Wenn man es wie der französische Dramatiker und Filmemacher Florian Zeller dennoch tut, schlagen die Reaktionen unter Umständen in zwei Extreme aus: entweder in Begeisterung, weil sich jemand traut, das von Tabus und Vorurteilen beladene Thema öffentlich und, wie Zeller, in künstlerischer Form zu verhandeln; oder in Ablehnung, weil der- oder diejenige bloß Klischees reproduziert, der Härte der Thematik nicht gerecht wird oder eben zu deutlich und damit traumatisierend beschreibt, wie sich Betroffene verändern.

Florian Zeller, der mit seinem Demenzdrama „The Father“ zunächst als Theaterautor, dann 2020 auch als Filmregisseur Erfolge feierte, bekommt nun mit dem schlicht betitelten Folgewerk „The Son“ teils erstaunlich harschen Gegenwind.

Im Zentrum: Eine zerrissene Familie

Im Zentrum seines Dramas, das er wie „The Father“ zunächst fürs Theater geschrieben hat, steht eine zerrissene Familie. Nach der Scheidung seiner Eltern Kate (Laura Dern) und Peter (Hugh Jackman) fühlt sich der 17-jährige Nicholas (Zen McGrath) im Stich gelassen. Sein Vater hat wieder geheiratet – die wesentlich jüngere Beth (Vanessa Kirby). Zu deren gemeinsamem Baby hat Nicholas noch kein Verhältnis aufbauen können, weil er bei seiner Mutter wohnt und nur sporadisch Kontakt hält zum Vater. Zu Hause bei Kate fühlt sich Nicholas jedoch genauso unwohl, weil die sich vor der oft düster-aggressiven Stimmung ihres Sohnes fürchtet.

Als herauskommt, dass Nicholas seit Wochen die Schule schwänzt, bittet Kate ihren Ex-Mann, den Jungen bei sich aufzunehmen. Eigentlich hat Peter gar keine Zeit, weil er sich auf ein politisches Amt in Washington bewerben will. Aus leidvoller Erfahrung mit seinem eigenen gefühlskalten Vater (Anthony Hopkins) willigt Peter aber ein, den Draht zu Nicholas zu verbessern.

Depression ist schwer abzubilden

Diese dysfunktionale Familienkonstellation wirkt zwar wie aus dem Lehrbuch, sie ist zugleich aber alltagsnah und glaubwürdig. Trotzdem moniert die internationale Kritik, Florian Zeller bliebe mit „The Son“ hinter dem oscarprämierten Vorgänger „The Father“ zurück, die Konfliktlinien des Films seien vorhersehbar, die Darstellung der Depression ergehe sich in Klischees. Und tatsächlich fehlt es dem Drama diesmal an der Virtuosität und Vielschichtigkeit, die das im Kern deprimierende Stück über einen Alzheimerpatienten so reizvoll erscheinen ließ.

Vieles, was man der Inszenierung von „The Son“ jedoch anlasten kann, hängt auch an den Bedingungen der Krankheit, die Zeller abzubilden versucht. Konnte er in „The Father“ die voneinander abweichenden Erlebnisperspektiven des dementen Vaters und seiner gesunden Tochter auch visuell nachvollziehbar machen, ist es schwieriger, die oft bloß in Nuancen verzerrte Weltsicht von Nicholas gegen die vermeintlich objektivere seiner Eltern und der Stiefmutter zu stellen.

Verzweifelte Versuche, den Jungen aufzumuntern

In „The Father“ durchlitt der Kranke in der eigenen Wahrnehmung einen Kriminalfall, dessen Tochter eine Tragödie um Abschied und Verlust. In „The Son“ hingegen erlebt eine Familie den Prozess einer Entfremdung, ohne die Differenz untereinander klar benennen zu können. So bleibt Zeller nur übrig, den Alltag unter den Vorzeichen der Depression zu beschreiben: Die verzweifelten Versuche der Eltern, den Jungen aufzumuntern, ihn zum Besuch der Schule zu motivieren, neue Klamotten zu kaufen, um das Selbstbewusstsein zu fördern. Während Nicholas damit kämpft, sich wie gewünscht zusammenzureißen, zu lächeln und Freunde zu finden.

Diese scheinbar banalen Probleme im Schauspiel und bloß anhand von Dialogen realistisch zu vermitteln, ist ungeheuer schwierig, gerade weil sie typisch sind in sozialen Interaktionen. Hugh Jackman und Laura Dern geben empathische, absolut überzeugende Elternfiguren ab, die nicht nur mit der Erziehung des gemeinsamen Kindes überfordert sind, sondern auch noch am unverarbeiteten Ehezerwürfnis kauen.

Die Waffe des Vaters ist die einzige echte Plattitüde.

Dass sich Peter ausgerechnet nicht von einer Waffe trennen will, die ihm einst sein Vater schenkte, ist vielleicht die einzige Plattitüde, die man Zeller ernsthaft vorwerfen kann. Die ungehörig mit Spannung aufgeladene Frage, ob Nicholas das Ding irgendwann benutzen wird, um sich oder anderen das Leben zu nehmen, überschattet einen Teil der Erzählung. Angenehm ist Florian Zellers Film über eine Familie im Ausnahmezustand nie. Eine erschütternd nachvollziehbare Vorstellung von den Auswirkungen dieser tückischen Krankheit gibt „The Son“ aber allemal.

The Son: USA, F 2022. Regie: Florian Zeller. Mit Laura Dern, Zen McGrath, Hugh Jackman. 123 Minuten. Ab 12 Jahren.