Probefahrten auf der Neubaustrecke, hier auf der Filstalbrücke. Foto: /Ines Rudel

Weil Teile der ICE-Trasse nach Ulm zu spät fertig werden, hat die Deutsche Bahn nicht mehr genug Zeit für das vorgeschriebene Testprogramm. Das hat Folgen.

Stuttgart/Ulm - Die neue Strecke der Bahn zwischen Wendlingen und Ulm, auf der Ende 2022 erstmals Fahrgäste unterwegs sein sollen, kann nur mit Einschränkungen in Betrieb gehen. Auf dem Gleis in Fahrtrichtung Westen wird ein Tempolimit von 160 Kilometer in der Stunde verhängt. Die Neubaustrecke (NBS), deren Realisierung knapp vier Milliarden Euro kostet, ist eigentlich für eine Höchstgeschwindigkeit von 250 Kilometer in der Stunde ausgelegt.

Zeit für Testprogramm zu kurz

Verzögerungen beim Bau des neuen Schienenweges insbesondere bei den beiden imposanten Brücken über das Filstal zwingen die Bahn zu dieser Maßnahme. Wegen der verspäteten Fertigstellung des Brückenteils für das Gleis von Ulm Richtung Wendlingen läuft die Zeit für das vorgeschriebene Testprogramm davon.

Betroffen sind die sogenannten Hochtastfahrten. Dabei pendelt ein Versuchszug auf den neuen Streckenabschnitten und steigert von Fahrt zu Fahrt in genau festgelegten Abständen die jeweilige Höchstgeschwindigkeit. Voraussetzung ist, dass alle Messergebnisse der vorhergehenden Fahrt im normalen Bereich lagen. Doch genau dafür fehlt nun die Zeit.

Das Gleis zwischen dem Weiler Widderstall auf der Schwäbischen Alb und Nabern im Albvorland werde zunächst nur für 160 km/h freigegeben, „da zwischen Fertigstellung und Inbetriebnahme der zweiten Filstalbrücke nicht ausreichend Zeit für die Hochtastfahrten für Tempo 250 bleibt“, sagt Jörg Hamann, Sprecher des Bahnprojekts Stuttgart-Ulm auf Anfrage. „Bei der Fahrplanung für die vorzeitige Inbetriebnahme der NBS ist dieser Umstand von Anbeginn an berücksichtigt und ohne negative Auswirkung auf den verkehrlichen Nutzen.“

Richtung Ulm kann von der Inbetriebnahme an das volle Tempo von 250 Stundenkilometern ausgefahren werden. Der sich daraus ergebende Fahrzeitunterschied ist für die Gestaltung des Fahrplans nicht die entscheidende Herausforderung. „Die Fahrzeiten unterscheiden sich im Minutenbereich, die Fahrlagen sind aber aufgrund der eingleisigen Anbindung bei Wendlingen und der Einfädelung auf die Filstalbahn vorgegeben“, sagt Hamann.

Spätere Testfahrten behindern den Regelverkehr

Die nun entfallenden Hochtastfahrten müssen zu einem späteren Zeitpunkt nachgeholt werden. Geplant ist, dies bei den Vorbereitungen auf die Inbetriebnahme von Stuttgart 21 zu tun. Dass zu diesem Zeitpunkt die Neubaustrecke schon von regulären Zügen befahren wird, macht die Sache komplex. Während der Testfahrten ist die Strecke für den übrigen Verkehr tabu. Die Bahn richtet dann sogenannte Sperrpausen ein. „Es war und ist vorgesehen, die davon ausgehenden Auswirkungen für den dann auf der NBS bereits laufenden Betrieb auf ein verträgliches Maß zu beschränken und die erforderlichen Sperrpausen auf verkehrsschwache Zeiträume zu legen“, sagt Hamann. Konkreter wird er hinsichtlich der Schwierigkeiten beim Nebeneinander von Testfahrten und regulärem Verkehr nicht.

Am Montag fanden auf dem im Bau deutlich weiter fortgeschrittenen Brückenteil für das Gleis Richtung Ulm über das Filstal erste Messfahrten statt. Dazu kam ein spezieller Zug zum Einsatz, der das sogenannte Lichtraumprofil der Strecke untersucht. „Das ist der Platz, den ein Zug braucht, um auf den Gleisen zu fahren“, übersetzt Florian Frisch den Fachbegriff. Dazu sind an dem Dieseltriebwagen Messsensoren angebracht. Die können eigentlich die Streckenumgebung erfassen, wenn das Fahrzeug mit bis zu 100  Kilometern in der Stunde unterwegs ist. „Weil aber noch an einigen Stellen gebaut wird, fahren wir nur Tempo 20“, sagt Frisch. Entsprechend zieht sich die Untersuchung. Für die Messtouren auf den beiden Gleisen der knapp 60 Kilometer langen Strecke Wendlingen-Ulm benötigt der Zug zwei Tage. Danach werden die gesammelten Daten ausgewertet. Weitere Messfahrten mit einem anderen Spezialfahrzeug überprüfen in den kommenden Wochen die korrekte Lage der Gleise.

Ende Januar soll die Oberleitung, aus der die Elektrozüge ihre Energie beziehen, erstmals unter Strom gesetzt werden. Dann gehen die Erprobungs- und Schulungsfahrten weiter. Am 11. Dezember 2022 sollen erstmals Reisende unterwegs sein – Richtung Westen etwas langsamer als geplant.