Jeremy Allen White als Carmy in „The Bear“ trägt ein T-Shirt der Marke Merz b. Schwanen, gefertigt in Albstadt. Foto: dpa/Uncredited

Dank der Serie „The Bear“ kann sich ein T-Shirt-Hersteller von der Schwäbischen Alb vor Bestellungen kaum retten. Die Erfolgsgeschichte vom reaktivierten Label Merz b. Schwanen geht von Berlin und Albstadt über die Bildschirme bis nach New York.

Leises Surren von Nähmaschinen bahnt sich den Weg durch die Tür in das Treppenhaus des Ende der 1930er erbauten Fabrikgebäudes an der Hauptstraße in Albstadt. Bis Ende der 70er-Jahre galt der rund 50 000-Einwohner-Ort im Zollernalbkreis als Hochburg der schwäbischen Textilwirtschaft. Geblieben ist davon heute nicht mehr allzu viel. Wer durch die Tür in die kleine hauseigene Näherei tritt, sieht Ingrid Haasis. Die 62-Jährige hat die goldenen Zeiten der hiesigen Textilindustrie miterlebt, nach der Schule lernte sie den Beruf der Näherin. Heute stellt sie ihr Können in den Dienst des Berliner Modelabels Merz b. Schwanen, das in Albstadt heiß begehrte Ware herstellen lässt.

Von den Wänden blickt Jeremy Allen White in einem weißen Merz b. Schwanen-T-Shirt. Der Schauspieler verkörpert den Chefkoch „Carmy“ eines Restaurants in der erfolgreichen TV-Serie „The Bear“. Sowohl die Serie als auch ihr Hauptdarsteller wurden in diesem Jahr unter anderem mit Golden Globes und Emmys ausgezeichnet. Mittlerweile läuft eine dritte Staffel beim Streaminganbieter Disney +. Ausschnitte und Fotos aus der Serie sowie von Berichten über das Label und seinem prominentesten Träger hängen in der Näherei als Zeugnis des weltweiten Erfolgs und als Motivationsimpuls.

12 000 offene Bestellungen

Dort aufgehängt hat sie Michael Schleicher. Er ist stellvertretender Produktionsleiter der Textilfabrik. Der 36-Jährige ist seit rund zwölf Jahren dabei. Aus Thüringen zog er wegen des damals neustartenden Labels nach Albstadt und studierte hier Textilwirtschaft. Ein zweites Mal, nach seinem Medizinstudium, wie er erzählt. „Ich bin selbst über einen Film auf das Modelabel gestoßen, damals war das Ryan Gosling, der ein spezielles T-Shirt in „Drive“ trug. Auf der Suche nach einem solchen Shirt bin ich auf das damalige Start-up Merz beim Schwanen gestoßen und so hier gelandet“, erzählt Schleicher. „Aber einen Hype wie diesen jetzt, seit ‚The Bear’ hatten wir in der ganzen Zeit bisher nicht. Wir kommen mit der Produktion kaum hinterher. Soweit ich weiß, haben wir derzeit etwa 12 000 offene Bestellungen nur von dem besagten weißen T-Shirt aus der Serie.“ Obwohl die Labelinhaber gute Kontakte in Berlin und auch zu Filmausstattern und der Filmbranche hätten, sei das T-Shirt in dem Fall eher zufällig bei der Serie gelandet. Der zuständige Kostümausstatter habe viele weiße Shirts zur Auswahl dabei gehabt, erzählt Schleicher, dass gerade das Shirt aus Albstadt das Rennen machte, habe keiner vorher wissen können.

Offenbar hat die Öffentlichkeitsarbeit des Unternehmens Serien-Nerds und internationale Medien erfolgreich erreicht.

Michael Schleicher mit fertigen Stoffen, die bereit für die Näherei der deutschen Produktionsstätte des Labels sind. Foto: Waldow

Ein Stockwerk tiefer läuft die Produktion des Stoffes. An der Tür ist ein Schild mit dem Schriftzug Wirkerei befestigt. „Wirken ist eine Art von Stoffherstellung, ähnlich wie das Stricken, nur funktioniert es etwas anders“, erklärt Schleicher. Die Nadeln beim Strickprozess bewegten sich unabhängig voneinander und in vertikaler Richtung, beim Wirken bewegten sich alle Nadeln horizontal und gleichzeitig, sagt er. Schleicher kennt die Wirkmaschinen aus dem Effeff, das Team aus drei Strickern und zwei Auszubildenden, die sich hier von 5 Uhr morgens bis 22 Uhr um die Herstellung der Stoffe kümmern. Die Baumwolle stamme aus Griechenland, erzählt er.

Maschinen aus dem letzten Jahrhundert

Das Besondere an allen Stoffen: Sie werden auf den alten Maschinen der Fabrik, die aus den Jahren zwischen 1890 und 1960 stammen, ohne Seitennähte gefertigt. Die sogenannten Loopwheeler-Maschinen stellen einen vertikalen Schlauch in Leibgröße, also der gewünschten T-Shirt-Größe her. Wenn eine Maschine voll ist, wird der Stoffsack abgeschnitten und ein neuer entsteht. Rund 30 Maschinen drehen sich auf dem Holzboden in der lichtdurchfluteten kleinen Halle. Stoffe verschiedener Qualität, mal dicker, mal feiner entstehen. Die Herstellung der Shirts dieser Art sei ein maßgebliches Qualitätskriterium, da sie verhindere, dass sich die Form eines Kleidungsstücks verzieht, sagt Schleicher.

Ein Problem: Weil die Maschinen alt sind, und eher kleine bis mittlere Größen herstellen, gibt es einen Engpass bei der Nachfrage nach größeren Größeren. „Vor allem seitdem das Label in den amerikanischen Markt kam. In den USA wird ohnehin anders eingekauft, auch wenn der Preis im gehobenen Segment liegt, wie bei unserem Label, dann werden gleich mehrere Farben gekauft ohne anzuprobieren.“

Die Wirkerei in Albstadt. Foto: Waldow

Dabei ist Merz b. Schwanen kein neues Label, der Markenname wurde von zwei Berliner Designern reaktiviert. Die Geschichte geht so: Gitta und Peter Plotnicki hatten ein altes Shirt der Marke auf einem Flohmarkt entdeckt. Das 1911 von Balthasar Merz gegründete Unternehmen Merz b. Schwanen stellte solche Arbeiterhemden und Unterwäsche her. 2005 stellte die Marke jedoch ihren Betrieb ein. Die Plotnickis belebten sowohl die alten Maschinen, wie auch das Label neu. Seit 2011 läuft die Produktion in Albstadt wieder. Doch der Großteil der Marke wird nicht hier hergestellt. 2016 wurde die Produktpalette erweitert und es wurden mehrere Produktionsstätten in Portugal hinzugezogen, wo nicht nur T-Shirts, sondern auch Strickwaren, Hosen, Jacken, Sweatshirts und Co. hergestellt werden. Doch warum bleibt ein Teil der Produktion im abgelegen Albstadt?

Spezialisten der Textilherstellung sind geblieben

Schleicher erklärt: „Hier ist zwar der Großteil der Textilwirtschaft eingebrochen, aber die Spezialisten sind hiergeblieben. Und das sind unsere Partner. Wir stellen den Stoff her und haben nur eine kleine Näherei. Der Rest wird in einer größeren Näherei verarbeitet, Stoffveredelung wie Waschen und Färben findet in einem Betrieb in der Stadt statt, auch ein Nadelhersteller für die Maschinen sitzt hier. So können wir die Produktionskette hier in Albstadt halten. Woanders würde diese Art der Herstellung wenig Sinn machen.“ Und immerhin seit zwei Jahren gibt es dank Merz b. Schwanen wieder Auszubildende als Stricker in der kleinen Fabrik. Doch also wieder eine Zukunftsbranche? „Ich bin gespannt, wo es noch hingeht, aber so wie es aussieht, ist der Hype noch nicht vorbei. Und die Menschen schätzen die Nachhaltigkeit unserer Produkte. Unsere Stoffe werden vor allem auch in Japan sehr geschätzt und erst vor kurzem haben wir neben Berlin auch einen Flagship-Store in New York eröffnet. Ich glaube, das ist erst der Anfang“, sagt Schleicher.

Ingrid Haasis ist skeptisch ob wieder mehr Näherinnen in Albstadt gebraucht werden könnten: „Ich glaube nicht, dass das wieder ein Zukunftsberuf für junge Leute werden wird. Aber wenn’s für mich bis zur Rente reicht, dann bin ich auch froh. Die allermeisten Näherinnen von früher, mussten eine andere Arbeit finden“, sagt sie und näht weiter am Saum für eines der gefragten weißen T-Shirts aus der Serie. Am Ende der Woche werden sie und ihre Kolleginnen rund 600 solcher T-Shirts vernäht und mit Etiketten und Labels versehen haben. An diesem Tag verlässt noch eine große Menge der Shirts aus der Serie die Fabrik zur Textilveredelung im Nachbarort. Warenverkaufswert rund 35 000 Euro. Morgen geht es weiter.

Daten zum Unternehmen

Mitarbeitende
Nach eigenen Angaben beschäftig Merz b. Schwanen derzeit insgesamt 25 festangestellte Vollzeitkräfte, 20 Teilzeitmitarbeitende und hat Unterstützung von Freiberuflern. Der Jahresumsatz liegt laut Unternehmensangaben im einstelligen Millionenbereich.

Gründer
Gitta Plotnicki hat das Label zusammen mit ihrem Ehemann Peter Plotnicki in Berlin gegründet. Den Erfolg erklärt sie sich so: „Ich denke, es liegt sehr viel daran, dass wir von Anfang an nachhaltige Materialien, Bio-Baumwolle, verwendet haben und viel Wert darauf gelegt haben, dass die Materialien und die Styles nicht nur gut aussehen, sondern sich auch auf der Haut gut anfühlen. Dann auch dieses Wiederbeleben einer alten Tradition. Als wir das damals machten, war das keine romantische Vorstellung. Wir dachten einfach, da gab es dieses Wissen, da gibt es diese alten Maschinen. Es wäre doch viel zu schade, die einfach da so stehen zu lassen. Und natürlich hat auch die Serie „The Bear“ dem Ganzen nochmal einen Schub gegeben.“ Mit der gestiegenen Nachfrage kommen neue Herausforderungen auf die Marke zu:. „Unsere Produktionskapazitäten sind begrenzt, da jede Größe ihre eigene Maschine benötigt und die Maschinen relativ langsam arbeiten. Wir arbeiten daran, flexiblere Produktionsmethoden zu entwickeln und gleichzeitig unser Team zu vergrößern, um der wachsenden Nachfrage gerecht zu werden.“