Die Polizei stoppt im Sommer 2019 einen Hochzeitskorso in Köln. Immer wieder gefährden solche Korsos den Verkehr, meist kommt die Polizei aber zu spät – so wie jetzt auf der A 81 bei Leonberg. Foto: dpa/Thomas Kraus

Der völlig aus dem Ruder gelaufene Hochzeitskorso am Samstag im Engelbergtunnel der A 81 ist kein Einzelfall. Regelmäßig blockieren Feiernde den Straßenverkehr selbst auf Schnellstraßen – und riskieren dabei Menschenleben.

Der ein oder andere hält sich vielleicht für einen Superhelden. Oder es setzt schlicht und einfach das Hirn aus. Wer hört, was Zeugen über einen Vorfall am Samstagnachmittag auf der A 81 bei Leonberg (Kreis Böblingen) berichten, könnte jedenfalls zu letzterer Meinung kommen.

Da schlugen die Teilnehmer eines mutmaßlichen Hochzeitautokorsos komplett über die Stränge. In Fahrtrichtung Süden gefährdeten sie rund um den Engelbergtunnel nicht nur sich selbst, sondern auch andere Verkehrsteilnehmer. In zahlreichen Notrufen von 13.40 Uhr an schilderten Beobachter eine größere Zahl an Fahrzeugen, die sich über alle Spuren verteilt hatten und den Verkehr ausbremsten. Insassen mehrerer Autos hängten sich aus den Fenstern, einige sollen sogar auf die Dächer der Autos geklettert sein. Im Engelbergtunnel sollen Schüsse, mutmaßlich aus einer Schreckschusswaffe, abgefeuert worden sein.

Ziemlich verrückt, aber beileibe kein Einzelfall. Die Polizei im Land und auch in der Region Stuttgart ist in den vergangenen Jahren immer wieder mit Hochzeitskorsos befasst. Manchmal ist der Anlass erkennbar, manchmal nicht. Gelegentlich sind beteiligte Fahrzeuge laut einem Polizeisprecher mit türkischen Fahnen behängt, oft lassen sich aber keine Rückschlüsse auf bestimmte Nationalitäten oder Hintergründe ziehen. „Denkbar ist da alles“, so der Sprecher. Eine landesweite Statistik werde nicht geführt, teilt das Landesinnenministerium mit.

Die Auswüchse sind inzwischen extrem. Das Blockieren des Verkehrs und Ausbremsen anderer Fahrerinnen und Fahrer selbst auf Schnellstraßen gehört schon fast selbstverständlich zum Programm. Manche stellen ihre Autos quer oder malen mit quietschenden Reifen Muster auf den Asphalt. Mit Schreckschusswaffen werden Jubelschüsse abgegeben. Auf der B 10 in Stuttgart-Untertürkheim nahmen vor knapp zwei Jahren diverse Teilnehmer die Gegenfahrbahn und überfuhren rote Ampeln. Im Juni blockierten bei Ravensburg 50 Fahrzeuge die B 30. Besonders beliebt ist offenbar die A 81 zwischen Heilbronn und Stuttgart. Dort ist es in den vergangenen Jahren immer wieder zu Zwischenfällen gekommen – so wie am Samstag.

Polizei trifft zu spät ein

Da ist die Polizei übrigens zu spät gekommen. Trotz des Einsatzes von acht Streifenwagen „konnten keine Fahrzeuge des Korsos mehr angetroffen und kontrolliert werden“, teilt sie mit. Einige seien im Bereich der Anschlussstelle Leonberg-Ost von der Autobahn abgefahren, andere vermutlich über die A 8 in Richtung München getürmt.

Dieser Verlauf ist kein Einzelfall: Oft handelt es sich um hochmotorisierte Autos, die Reißaus nehmen, bevor sie kontrolliert werden können. Schreckschusswaffen werden immer wieder aus dem Fenster geworfen, bevor die Polizei sie finden kann. Werden Teilnehmer gestellt, gibt es bei der Polizei eine Handlungsanweisung, wie bei den Kontrollen zu verfahren ist. Wer erwischt wird, muss laut einem Sprecher der Stuttgarter Polizei je nach Art des Verstoßes mit allem rechnen, was der Strafenkatalog hergibt: „Das reicht von Ordnungswidrigkeiten wie lautem Hupen bis hin zu einer Nötigung oder einer Gefährdung des Straßenverkehrs.“ Bei einem Einsatz von Schreckschusspistolen kommt auch ein Verstoß gegen das Waffengesetz infrage. Im Leonberger Fall werden Zeugen und Verkehrsteilnehmer gebeten, sich bei der Verkehrspolizei Ludwigsburg unter der Rufnummer 07 11 / 68 69 - 0 zu melden. Die Ermittlungen der Polizei laufen weiter – in der Hoffnung, zumindest noch den einen oder anderen zu erwischen, der sich für einen Superhelden hält – oder dessen Hirn komplett ausgesetzt hat.

Polizei sucht Zeugen