Angela Merkel und Malu Dreyer am Sonntag in der Gemeinde Schuld in Rheinland-Pfalz. (Archivbild) Foto: AFP/CHRISTOF STACHE

Nach Rheinland-Pfalz jetzt Nordrhein-Westfalen: Die Bundeskanzlerin kommt erneut in die Katastrophengebiete, um sich vor Ort ein Bild der Lage zu machen.

Bad Münstereifel -

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ist am Dienstag erneut in die Hochwassergebiete im Westen Deutschlands gereist. Nach ihrem Besuch im von der Flutkatastrophe schwer getroffenen Landkreis Ahrweiler in Rheinland-Pfalz kam sie nun nach Nordrhein-Westfalen. Zusammen mit NRW-Ministerpräsident Armin Laschet, der zugleich Unionskanzlerkandidat ist, macht sie sich am Mittag in Bad Münstereifel ein Bild der Lage.

Gleichzeitig geht die Debatte um Konsequenzen für die Organisation des Katastrophenschutzes in Deutschland weiter. Es geht dabei um die Kritik, dass Warnungen der Meteorologen die Menschen vor Ort zu spät erreicht hätten. Zudem wurde am Dienstag die Befürchtung laut, dass sich bei den Aufräumarbeiten in den Katastrophengebieten verstärkt Corona-Infektionen ausbreiten könnten.

Erhöhte Corona-Risiken durch Unterbringung in Notunterkünften

In Bad Münstereifel im Kreis Euskirchen wollte Merkel am Mittag mit Helferinnen und Helfern sprechen. Nach einem Treffen mit betroffenen Bürgerinnen und Bürgern stand ein Gang durch das Gebiet auf dem Programm. Merkel war am Wochenende bereits in Rheinland-Pfalz und hatte sich dort mit Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) ein Bild von den Schäden gemacht.

Nach NRW war am Samstag der Bundespräsident gekommen: Frank-Walter Steinmeier hatte sich auf Einladung von Laschet die Situation im vom Hochwasser zerstörten Erftstadt angeschaut. Dort hatte im Stadtteil Blessem ein gewaltiger Erdrutsch Straßen und Häuser mitgerissen.

In Blessem ist die Situation weiter angespannt. Es gebe eine Sicherheitszone von 100 Metern rund um die Abbruchkante, hieß es am Dienstag vom Rhein-Erft-Kreis. Diese dürfe nicht betreten werden, vor allem an der Abbruchkante bestehe weiter „akute Lebensgefahr“. Dennoch sollen viele Bewohner und Bewohnerinnen in den kommenden Tagen zumindest zeitweise in ihre Häuser zurückkehren dürfen, um ihr Hab und Gut zu sichern.

Die Einsatzkräfte suchen weiter nach Vermissten

Bis Montag war die Zahl der Todesopfer auf mindestens 164 gestiegen: Aus Rheinland-Pfalz wurden 117 und aus NRW 47 Unwetter-Tote bestätigt. In beiden Bundesländern wurde nicht ausgeschlossen, dass noch weitere Opfer gefunden werden könnten. Die Polizei in Koblenz twitterte, im Kreis Ahrweiler würden derzeit sämtliche Hotels, Gaststätten und Unterkünfte angeschrieben, um vorhandene Gästelisten mit Vermisstenmeldungen abzugleichen.

Für die Katastrophengebiete wird nun teils befürchtet, dass sich bei den Hilfsaktionen und bei der Unterbringung in Notunterkünften verstärkt Corona ausbreiten könnte. „Derzeit kommen viele Menschen auf engstem Raum zusammen, um die Krise gemeinsam zu bewältigen. Wir müssen jetzt aufpassen, dass die Bewältigung der Katastrophe nicht zu einem Superspreader-Event wird“, sagte David Freichel vom Corona-Kommunikationsstab der Staatskanzlei in Rheinland-Pfalz dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND/Dienstag). Viele Rettungskräfte hätten aber bereits vollen Impfschutz. Landesregierung und Kreisverwaltung schickten im Ahrtal am Dienstag einen Impfbus los, in dem sich Bewohner der Region ohne Anmeldung impfen lassen können, wie das Gesundheitsministerium am Vormittag in Mainz mitteilte.

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Die Sieben-Tage-Inzidenz - also die Zahl der erfassten Neuansteckungen pro 100 000 Menschen binnen einer Woche - lag in einigen der von der Unwetterkatastrophe besonders betroffenen Regionen am Dienstag allerdings recht niedrig. Das Robert Koch-Institut (RKI) gab den Wert für den Kreis Ahrweiler mit 3,8 an, im Rhein-Erft-Kreis lag er ebenfalls bei 3,8 und im Kreis Euskirchen bei 3,6.

Für die Menschen in den Flutgebieten gilt es weiter, Schlamm und Trümmer aus ihren Häusern und von den Straßen beiseitezuschaffen. Fortschritte wurden dabei aus dem Örtchen Kordel bei Trier in Rheinland-Pfalz gemeldet. Die meisten Trümmer seien dort entfernt, sagte ein Polizeisprecher am Dienstagmorgen. Aber vielerorts ist die Infrastruktur mit Straßen, Bahngleisen, Brücken, Mobilfunkmasten, Strom- und Gasleitungen sowie Trinkwasserversorgung zerstört. Der Bund rechnet mit mindestens rund zwei Milliarden Euro Schäden alleine bei der Deutschen Bahn und bei Straßen.

Unwetter hatten am Wochenende auch Teile Bayerns getroffen. Im südöstlichen Landkreis Berchtesgadener Land kam es in einigen Orten rund um Watzmann und Königssee zu Erdrutschen und Überflutungen. 50 Millionen Euro Soforthilfe sollen die bayerischen Hochwasseropfer vom Land erhalten, wie Ministerpräsident Markus Söder (CSU) dem Bayerischen Rundfunk am Dienstag sagte.

Plünderer bereichern sich auf Kosten der Flutopfer

Inmitten des Elends machten auch Plünderer manchen Menschen zu schaffen. Nach mehreren Diebstählen im Hochwassergebiet verstärkte die Polizei im Märkischen Kreis in Nordrhein-Westfalen ihre Präsenz. Besonders im Raum Altena wurde das veranlasst, wie die Polizei mitteilte. Bürgerinnen und Bürger seien gebeten, verdächtige Menschen oder Fahrzeuge über den Notruf 110 zu melden.

In der Debatte um mögliche Versäumnisse beim Katastrophenschutz mahnten mehrere Politiker und Verbände davor, zu früh mit der Aufarbeitung zu beginnen oder Schuldzuweisungen vorzunehmen. Der Präsident des Deutschen Städtetages, Burkhard Jung, forderte in den Zeitungen der Funke Mediengruppe (Dienstag) „nach der akuten Nothilfe eine glasklare Analyse“ dessen, was für die Zukunft aus der Unwetterkatastrophe zu lernen sei. Als Beispiel nannte er „Konsequenzen für die künftige Kommunikation bei Extremwetter“. So habe etwa das Zusammenbrechen von Festnetz und Mobilfunknetz die Kommunikation erschwert.

Haben die Warnsysteme versagt?

Auch der Deutsche Feuerwehrverband sprach sich für „eine Aufarbeitung und Evaluierung“ für die Zeit nach dem noch laufenden Einsatz aus. „Dabei ist auch zu klären, ob etwa Warnsysteme angepasst werden müssen - beispielsweise mit der analog angesteuerten Sirene als Ergänzung zu digitalen Medien“, sagte Verbandspräsident Karl-Heinz Banse der „Augsburger Allgemeinen“ (Dienstag). Derzeit sei es aber zu früh „für Forderungen oder gar Schuldzuweisungen“. „Aktuell befinden wir uns vor Ort noch in der Phase der Nothilfe.“

Auch der Vorsitzende des Bundeswehrverbands, André Wüstner, warnte davor, die Debatte um die Aufarbeitung zu früh zu starten. Es gelte jetzt in erster Linie, mit aller Kraft den Menschen vor Ort zu helfen und „anschließend aufzuarbeiten, wo Bund, Land und Kommunen im Bevölkerungsschutz besser werden können“, sagte Wüstner der „Heilbronner Stimme“ (Dienstag).

Für den Katastrophenschutz sind in Deutschland die Bundesländer zuständig. Der Bund hat hier keine unmittelbaren Zuständigkeiten. Bei Naturkatastrophen und besonders schweren Unglücksfällen können die Länder allerdings zum Beispiel das Technische Hilfswerk (THW) oder die Bundespolizei zur Hilfe anfordern. Dennoch war am Montag aus Teilen der Opposition im Bundestag heftige Kritik gegen Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) laut geworden. Ihm ist das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe zugeordnet.