Jedes Jahr brechen rund 65 000 Bundesbürger leblos zusammen, darunter auch Teenager – wie der 19-jährige Philipp. Doch der plötzliche Herztod ist kein schicksalhaftes Ereignis. Was kann man tun?
Den Morgen, an dem die Welt von Mario L. zusammengebrochen ist, kann der 49-Jährige wie einen Film vor seinem inneren Auge abspulen. Er war auf Geschäftsreise in Berlin, erzählt der Familienvater. Kurz vor einer Besprechung klingelte sein Handy. Am Apparat war die Freundin seines Sohnes: „Hast du das mit Philipp noch nicht mitbekommen? Er ist tot.“ Der 19 Jahre alte Student ist aus dem Schlaf nicht mehr erwacht. „Die Ärzte sagten mir, dass sein Herz einfach aufgehört hatte zu schlagen“, so Mario L.
Einen plötzlichen Herztod erleiden jedes Jahr rund 65 000 Bundesbürger, besagt die Statistik der Deutschen Herzstiftung. Er ist damit die häufigste Todesursache außerhalb von Krankenhäusern. Häufig trifft es jene, die noch lange nicht ans Sterben denken: In etwa 40 Prozent der Fälle sind die Betroffenen im Alter zwischen 15 und 65 Jahren. Im Alter von einem Jahr bis 40 Jahren rechnen Experten mit jährlich 1000 bis 2000 Todesfällen – bei hoher Dunkelziffer.
Schock-Moment mit Fußballer Eriksen
Nur bei wenigen gelingt die Rettung: Die Herzstiftung schätzt die Chancen, das Herz wieder zum Schlagen zu bringen, auf weniger als zehn Prozent. Ein prominentes Beispiel ist der dänische Fußballspieler Christian Eriksen, der bei einem Spiel der Europameisterschaften 2021 im Alter von 29 Jahren zusammengebrochen ist. Aufgrund einer Herzdruckmassage und dem Einsatz eines Defibrillators wurde er wiederbelebt. Seine Karriere konnte er mit einem Herzschrittmacher in England fortsetzen, wechselte im September 2025 schließlich nach Deutschland zum VfL Wolfsburg. Ursache soll in seinem Fall eine erblich bedingte Verdickung des Herzmuskels gewesen sein.
Um die Rettungsrate zu erhöhen, setzt sich die Herzstiftung verstärkt für eine bessere Aufklärung ein: „Der plötzliche Herztod und seine Ursachen werden von vielen Menschen eher als ein Problem des Alters wahrgenommen“, sagt der Vorstandsvorsitzende Thomas Voigtländer. Etwa weil die Koronare Herzerkrankung als Risikokrankheit meistens erst bei Senioren in Erscheinung tritt. „Dass auch die Koronare Herzkrankheit schon bei Jüngeren und nicht erst im Alter zum plötzlichen Herztod führen kann, wissen viele Menschen nicht.“
Bei Philipp hätte der Vater beschwören können, er sei kerngesund gewesen. „Er war ein drahtiger, sportlicher junger Mann ohne gesundheitliche Einschränkungen“, erzählt Mario L. Er habe daher der Obduktion zugestimmt. Doch diese zeigte keine Auffälligkeiten.
Wenn ein junges Herz einfach so stehen bleibt, gibt es einen Grund. Immer. Das bestätigt die Rechtsmedizinerin Silke Kauferstein. Sie leitet das Zentrum für plötzlichen Herztod und familiäre Arrhythmiesyndrome am Universitätsklinikum Frankfurt am Main. „Kann eine Überdosis von Drogen wie Kokain oder Amphetamine ausgeschlossen werden, können die Ursachen angeborene Herzfehler, Veränderungen der Herzkranzgefäße oder eine Herzmuskelentzündung sein.“ Meist spielen aber bestimmte Gene eine Rolle, die bei der Reizleitung des Herzens zu Störungen führen können. „Problematisch ist, dass diese Krankheiten lange ohne eindeutige Beschwerden verlaufen können.“
Teils gebe es kleine Warnsignale: etwa Ohnmachtsanfälle, die bei Stress oder hoher sportlicher Betätigung ausgelöst worden sind. Auch Unfälle ohne erklärbare Ursache – mit dem Auto oder beim Schwimmen – können ein Hinweis sein, ebenso wie Krampfanfälle ohne eindeutig pathologische Befunde. Rücksprache mit dem Kardiologen sollte man auch halten, wenn Angehörige noch vor dem 50. Lebensjahr aufgrund von Herzschwäche behandelt werden mussten.
Beim Grübeln über die Frage nach dem Warum kommt Mario L. der Gedanke: Mit seiner Familie könnte etwas nicht stimmen. Er selbst hatte acht Jahre zuvor mit 41 Jahren einen Infarkt erlitten und knapp überlebt. „Die Ärzte hatten das dem beruflichen Stress zugeschoben“, sagt Mario L. Dass womöglich eine genetische Komponente zu dem Ereignis geführt haben könnte, wurde damals nicht in Erwägung gezogen.
Auf Anraten der Rechtsmedizin wendet sich Mario L. an Silke Kauferstein, die weitere Untersuchungen veranlasst: „Es zeigten sich bei mir Hinweise auf ein sogenanntes Brugada-Syndrom“, sagt Mario L. Bei diesem vererbbaren Krankheitsbild kann es zu anfallsartigen schnellen Herzrhythmusstörungen kommen, die zum plötzlichen Herztod führen können. Auf Grundlage eines früheren EKGs des Sohnes vermuten die Experten, dass dies wohl bei Philipp der Fall gewesen sei. Offenbar war bei ihm das Syndrom stärker ausgeprägt.
Derzeit wird am Zentrum für plötzlichen Herztod ein bundesweites Register für die Prävention plötzlicher Herztodesfälle namens „Rescued“ (Register zur Prävention des Sudden/Unexpected Cardiac Death) aufgebaut – ein Projekt, das von der Herzstiftung gefördert wird, die mit dem Institut für Sport- und Präventivmedizin der Universität des Saarlandes im Austausch steht. „Ziel ist es, zu einem besseren Verständnis der Ursachen des plötzlichen Herztods bei jungen Menschen zu gelangen“, sagt Voigtländer. Zudem sollen Risikofaktoren erkannt und Präventionsstrategien entwickelt werden. Viele dieser Erkrankungen sind gut behandelbar. Teils kann eine Schrittmachertherapie mit einem implantierbaren Defibrillator schützen. Auch weiß man, dass es bestimmte Medikamente und Sportarten gibt, die Rhythmusstörungen begünstigen.
Achtsam mit dem Herzen umgehen
Mario L. geht inzwischen mit seinem Herzen achtsamer um. Der Tod seines Sohnes hat seiner Gesundheit zugesetzt. Er lässt seinen Herzrhythmus regelmäßig kontrollieren, nimmt Medikamente und hat sich auch psychologisch betreuen lassen. „Ich versuche nun, das Beste daraus zu machen – und andere aufzuklären.“ Damit anderen Familien ein ähnliches Schicksal erspart bleibt.
Dieser Artikel erschien erstmals im August 2023 und wurde im September 2025 aktualisiert.
Sekundentod bei Sportlern – Darauf ist zu achten
Häufigkeit
Je nach Studie liegt die Häufigkeit des plötzlichen Herztods beim Sport bei 1 bis 2 Todesfällen pro 100 000 Sporttreibenden pro Jahr. Beim Sport beschleunigt sich der Herzschlag deutlich – unproblematisch für ein gesundes Herz. Ist es aber vorgeschädigt, können durch die hohe Belastung, die hohe Herzfrequenz und den erhöhten Sauerstoffbedarf des Herzens die lebensbedrohlichen Herzrhythmusstörungen ausgelöst werden.
Ursachen
„Bei Sportlern unter 35 Jahren sind die häufigsten Ursachen eine vorzeitige koronare Herzkrankheit genetisch bedingte Arrhythmiesyndrome wie SADS und eine Myokarditis“, sagt Tim Meyer, Ärztlicher Direktor des Instituts für Sport- und Präventivmedizin an der Universität des Saarlandes. „Verpflichtende sportmedizinische Untersuchungen können das Risiko eines plötzlichen Herztodes bei Sportlern deutlich senken.“ Auch junge Menschen ohne diagnostizierte Herzerkrankung sollten, bevor sie aktiv Sport betreiben, ihr Herz untersuchen lassen, wenn sie belastungsabhängige Beschwerden spüren, ungeklärte Bewusstlosigkeiten hatten oder wenn nahe Angehörige an Herzerkrankungen leiden. Bei Sportlern ab 35 Jahren ist dafür die Koronare Herzerkrankung mit etwa 80 Prozent mit Abstand häufigste Ursache. Das Risiko für diese Todesfälle lässt sich ebenfalls durch eine sportmedizinisch-kardiologische Untersuchung senken.
Untersuchung
Bei ungeklärten plötzlichen Herztodesfällen in jungen Jahren, aber auch bei anderen Todesumständen wie Tod im Schlaf oder plötzlichem Tod im Wasser wird eine Untersuchung der Verstorbenen inklusive der postmortalen Gendiagnostik empfohlen. Auch wird den betroffenen Familien in einer eigens dafür eingerichteten Spezialambulanz angeboten, dass bei ihnen selbst eine genetische und kardiologische Untersuchung im Hinblick auf ein Risiko für einen plötzlichen Herztod erfolgt. Das Frankfurter Zentrum für plötzlichen Herztod ist eine solche Anlaufstelle für Betroffene: https://herzstiftung.de/junge-herzen-retten