Kandidaten-Check:
Tobias Bacherle will für die Grünen nach der Wahl am 26. September in den Bundestag einziehen. Er glaubt, dass in Zukunft diejenigen Standorte, die klimaneutrale Technologien am besten beherrschen, auch ökonomisch am besten dastehen werden.

Böblingen - Am Böblinger Schlossberg treffen wir uns mit Tobias Bacherle, dem Bundestagskandidaten der Grünen. Der Schlossberg ist für ihn ein Ruheort mitten in der Stadt. Die Industrieanlagen und der Naturpark Schönbuch im Hintergrund dominieren die Szenerie.

Der Afghanistan-Abzug ist momentan in aller Munde. Haben Sie nach diesem Debakel überhaupt noch Lust, für den Bundestag zu kandidieren?

Ja, umso mehr. Ich glaube, dass die humanitäre Katastrophe zumindest in dieser Form vermeidbar gewesen wäre. Sie ist ein Sinnbild dafür, wie die große Koalition in den letzten 16 Jahren Politik gemacht hat: Abwarten, Dinge passieren lassen und wenn die Krise dann unabwendbar ist, versucht man sie zu managen. Im Krisenmanagement kann man sich dann gut profilieren, wie zum Beispiel Heiko Maas, der nun im schicken Anzug nach Usbekistan fliegt. Das ist frustrierend. Wir haben im Mai und Juni von unserer Bundeswehr gehört: Wenn wir die Ortskräfte, die uns geholfen haben, nicht rausholen, werden sie Probleme bekommen. Dieses Wegschauen ist eine Art der Politik, die wir uns nicht mehr leisten können.

Welche Schwerpunkte wollen Sie in Ihrer politischen Arbeit setzen?

Es ist mir wichtig, die sozial-ökologische und die digitale Transformation des Automobilstandorts zu gestalten. Der Standort, der in Zukunft die klimaneutralen Technologien am besten beherrscht, wird auch ökonomisch am besten dastehen. So können wir mit grünen Ideen schwarze Zahlen schreiben. Dafür braucht es klare Rahmenbedingungen von Seiten der Politik anstatt des Schlingerkurses der letzten Jahre. Mein zweiter Schwerpunkt ist die internationale Digitalpolitik. Digitalisierung ist mehr als nur Infrastruktur. Sie beeinflusst große Teile unseres Lebens und spielt eine immer größere Rolle nicht nur in der nationalen Innenpolitik. Letztes Jahr hat die EU-Innenminister-Konferenz gefordert, dass man Verschlüsselungsverbote einzuführen. Wir müssen verhindern, dass wir in Europa Überwachungstools entwickeln und anwenden, die dann auch von autoritären Staaten für Menschenrechtsverletzungen verwendet werden können. Das heißt wir dürfen in bestimmten Technologien nicht von anderen Staaten abhängig sein.

In welchem Bereich sehen Sie den größten Handlungsbedarf im Landkreis?

Wir hinken beim Klimaschutz massiv hinterher. Wir haben sehr viel Potenzial hinsichtlich Solarenergie und der Produktion von erneuerbaren Energien. Dann natürlich beim Thema Verkehr: Auch wenn zum Beispiel Böblingen einen riesigen Sprung beim Radverkehr gemacht hat, haben wir an anderen Ecken noch Nachholbedarf. Vor allem beim ÖPNV benötigen wir eine höhere Taktung und mehr Linien.

Welchen Beitrag wollen Sie zur Verkehrswende leisten?

Fahrradwege ausbauen ist ein wichtiger Beitrag. Es ist wichtig, das auch in den Kommunen zu priorisieren. Überregionale Strecken zu bauen, reicht nicht. Außerdem müssen wir die Kommunen stärken, dass sie in nachhaltige Mobilitätsformen investieren. Der öffentliche Personennahverkehr muss ausgebaut werden, sodass im ländlichen Raum klar ist, dass man einmal in der Stunde einen Anschluss bekommt.

Worin sehen Sie Ihren Beitrag zur Digitalisierung?

Für mich ist Digitalisierung mehr als nur ein Infrastrukturprojekt. Natürlich müssen wir endlich die weißen Flecken bei uns in der Breitband- und Handynetzversorgung abdecken. Gleichzeitig müssen wir entscheiden, nach welchen Werten wir die Digitalisierung und Algorithmen unser Leben beeinflussen lassen wollen. Momentan werden auf EU-Ebene Pläne zur Regulierung von Internet-Plattformen über den Digital Services Act und den Digital Markets Act diskutiert. Das sind zwei sehr wichtige Gesetzgebungsverfahren und ich wünschen mir, dass da die zukünftige Bundesregierung nicht blockiert.

Was ist ihr vordringlichstes Projekt beim Klimaschutz?

Für die Verkehrs- und Wärmewende und eine klimaneutrale Industrie, gerade hier in Böblingen, brauchen wir erneuerbare Energien. Baden-Württemberg zeigt hier unter unserer Umweltministerin Thekla Walker mit der geplanten Solarpflicht für alle Neubauten und Dachsanierungen, wie es funktionieren kann. In Kombination mit einer vereinfachten Ausweisung von Flächen für Windkraft und Photovoltaik wäre das sinnvoll auch im Bund einzuführen. Wir müssen die verfügbaren Flächen für die Energiewende nutzen, sonst werden wir unsere Klimaziele nie erreichen können.

Was wollen Sie als erstes anpacken, wenn Sie gewählt werden?

Ein 100-Tage-Klimaschutzsofortprogramm.

In welchen Themenbereich müssten Sie sich am ehesten einarbeiten?

Vermutlich in den Pflegebereich. Die letzten zwei Jahre haben uns deutlich vor Augen geführt, wie wichtig eine gute Pflegeversorgung mit guten Arbeitsbedingungen ist. Das sage ich nicht, weil es in die politische Großwetterlage passt. Wir müssen es dringend schaffen, der katastrophalen Dynamik von geringer Wertschätzung, Überlastung und Überarbeitung, hohen Aussteigerquoten, fehlendem Nachwuchs entgegen zu wirken. Die Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen läuten bereits die Alarmglocken. Es ist mehr als fünf vor zwölf, um den Kollaps unserer Pflegekräfte abzuwenden.

Pedelec oder Fahrrad?

Fahrrad.

Baerbock oder Habeck?

Baerbock.

Boris Palmer: Fluch oder Segen?

Gesellschaftspolitisch ein Fluch.

CDU oder SPD?

SPD.