Thomas Kauth und Assistentin Kerstin Fuchs suchen nach nicht vorhandenen Lücken im Terminplan. Foto: Simon Granville

Thomas Kauth behandelt seit 30 Jahren Kinder und Jugendliche in seiner Ludwigsburger Praxis. Aktuell treffen das RS-Virus und das Influenza-Virus aufeinander und verursachen volle Praxen. Die Mediziner müssen wie am Fließband arbeiten.

An einen normalen Arbeitstag kann Thomas Kauth seit Wochen nicht denken. Um 8 Uhr in der Früh geht der Wahnsinn in der Ludwigsburger Gemeinschaftspraxis los. Tag für Tag. Am Montag behandelte der Kinderarzt zusammen mit einem Kollegen 300 kleine Patienten. Am Dienstag war es etwas ruhiger – da gab es „nur“ 200 kranke Kinder und Jugendliche zu versorgen. Etwa die Hälfte der Termine sind sogenannte Akuttermine.

Bestenfalls hat der Mediziner dann eine Viertelstunde für zwei, drei kranke Kinder und Jugendliche Zeit. Oft muss er jedoch drei oder vier im Schnelldurchlauf behandeln. Ist zusätzliche Diagnostik nötig, wie Blutabnahmen oder das Messen des Sauerstoffgehalts im Blut, schiebt sich alles nach hinten, und die Mittagspause schmilzt ebenso wie der Feierabend. Das ist eine enorme Belastung und löst Frust aus. Auch für einen Profi wie Kauth, der seine Praxis seit 30 Jahren betreibt.

RS-Virus ist normales Erkältungsvirus

Bereits vor einem Jahr hat ein Team des SWR-Fernsehens in der Ludwigsburger Praxis gedreht und über überlastete Kinderpraxen berichtet. „Dieses Jahr haben wir aber noch mal 30 Prozent mehr Patienten als in den Vorjahren.“

Dabei sind Infektionen mit dem RS-Virus im Grunde normal, betont Thomas Kauth. „Viele Eltern sind aber beunruhigt und haben Angst, wenn das Kind hohes Fieber bekommt und stark hustet. Es sind aber übliche Erkältungsviren.“

Infektwellen sind ausgefallen

Nicht ungewöhnlich ist es deshalb auch, dass die Kinderarztpraxen im November und Dezember gut ausgelastet sind. Dennoch ist heuer die Situation brisanter als in bisherigen Wintern. Zumal zu den vielen kranken Kindern auch kranke Mitarbeiter oder Kollegen kommen.

Grund für die riesige Infektwelle ist das Aufeinandertreffen von RS-Viren auf Influenza-Viren, die laut Thomas Kauth eigentlich erst im Januar und Februar grassieren. Die Coronapandemie habe die Infekte verschoben. „Wenn nur wenige krank sind, gibt es auch keine Immunisierung, und die Masken haben in den vergangenen Jahren eben auch vor RS- und Influenza-Viren geschützt. Da sind mehrere Infektwellen sozusagen ausgefallen“, erklärt der Mediziner. „Jetzt haben sie aber auf einmal wieder freie Bahn.“

Als Argument für die Wiedereinführung einer strengeren Maskenpflicht will der Ludwigsburger Kinderarzt seine Analyse aber nicht verstanden wissen. Im öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) ja, aber ansonsten nein. Auch nicht an den Schulen.

Neugeborene sind nicht so stark gefährdet, da sie in der Regel weniger soziale Kontakte haben, erklärt Kauth. Besonders betroffen seien hingegen Kinder im Alter bis zu vier Jahren, berichtet der Arzt. „Kleinkinder haben von Haus aus recht enge Atemwege, und wenn die Schleimhäute aufgrund der Viren anschwellen, dann wird das Atmen schwer.“

Ein Kind musste sofort auf die Intensivstation

Allerdings gibt es auch immer wieder Ausnahmen beziehungsweise ältere Kinder, die große gesundheitliche Probleme bekommen. Vergangene Woche, erzählt der Mediziner, sei ein Neunjähriger in die Praxis gebracht worden, der so schlecht Luft bekommen hatte, dass man ihn sofort in die Klinik schicken musste. Ein Abstrich brachte die Erklärung: Der Junge hatte sich Influenza und das RS-Virus eingefangen. „Er kam sofort auf die Intensivstation.“ Das Ludwigsburger Kinderkrankenhaus steht wie andere kurz vor dem Kollaps. Am Mittwochmorgen waren von den 44 Betten auf den Normalstationen alle ausgelastet. Zehn davon mit dem RS-Virus und vier mit Influenza A. Ausgelastet sind alle 22 Neonatologiebetten. Von den vier Kinderintensivbetten sind drei mit RS-Virus-Patienten belegt. Trotz der hohen Belastung werde kein Kind abgewiesen, das eine Indikation für eine dringende stationäre Aufnahme habe, versichert Klinikensprecher Alexander Tsongas.

Apropos Kinderklinik. Zusätzlich zur Arbeit in der eigenen Praxis haben die Kinderärzte regelmäßig Dienst in der Kindernotfallpraxis, die dem Klinikum angeschlossen ist. Unter der Woche ist sie von 18 bis 22 Uhr geöffnet, an den Wochenenden von morgens 8 Uhr bis abends 22 Uhr. Werktags hat nur ein Kinderarzt aus dem Landkreis Dienst, samstags und sonntags ist man zu zweit. „Normalerweise kommen an einem Abend 15 bis 20 Eltern mit ihren Kindern, aktuell sind es 40 bis 50“, schildert Kauth die Situation. Auch da bleibe viel zu wenig Zeit für den einzelnen Patienten. Auch da sei die Belastung für die Ärzte groß. Zu groß.

Die Situation der Kinderarztpraxen

Praxen
Im Kreis Ludwigsburg gibt es 50 Kinderärzte mit 42 sogenannten Versorgungsaufträgen. Allerdings werden in den nächsten fünf Jahren etwa 30 Prozent der Kinderärzte in Rente gehen. In der Stadt Ludwigsburg gibt es aktuell sieben Kinderarztpraxen. Kreisweit ist die Zahl der Praxen rückläufig. Eltern müssen teilweise weite Wege in Kauf nehmen.

Forderung
Es braucht mehr Personal – in der Pflege und in den Praxen –, und es braucht mehr Ärzte, betont Thomas Kauth, der auch im Vorstand der Ärzteschaft im Kreis Ludwigsburg und in der Vertreterversammlung der kassenärztlichen Vereinigung ist. Und um mehr Ärzte zu bekommen, braucht es mehr Studienplätze. Die sollten nicht nur über den Numerus clausus vergeben werden, fordert Kauth.