Deutschlands bekannteste Klimaaktivistin Luisa Neubauer führte die Demonstration von „Fridays for Future“ in Berlin am Freitag an. Foto: dpa/Monika Skolimowska

Die Klimabewegung bringt am Freitag allein in Berlin mehr als 30 000 Menschen auf die Straße – darunter längst nicht nur Schüler. Dass die aktuelle Energiekrise ein drängenderes Problem sei, wollen sie nicht gelten lassen.

Der Klimastreik von Fridays for Future beginnt in Berlin mit Sirenengeheul. Doch am Kundgebungsort im Invalidenpark fährt kein Krankenwagen auf, sondern eine Gruppe von jungen Menschen in Arztkitteln mit Megafon. Mit einer großen Erdkugel auf einer Trage eilen sie durch die Menge, eine der Aktivistinnen ruft: „Die Patientin braucht Notfallkühlung!“ Daneben erklärt Solvejg Nasert von der Gruppe „Health for Future“ die Metapher: „Wäre die Erde eine Patientin, hätte sie Multiorganversagen und läge auf der Intensivstation.“ Die symbolischen Eiswürfel gegen die Erderhitzung: Erneuerbare Energien, klimaschonendes Essen und Kreislaufwirtschaft.

Dass die Gruppe nach eigenen Angaben aus dem Gesundheitswesen kommt, unterstreicht, dass die Klimaproteste längst über die freitäglichen Schulstreiks hinausreichen. Zumindest an Tagen wie diesem elften „globalen Klimastreik“ mit Aktionen in aller Welt. Von Familien mit Kindern über zahlreiche Jugendliche bis hin zu den „Omas for Future“ sind alle Generationen vertreten.

Mit einem Schild dieser Gruppe ist Maria Gardemann unterwegs. Die 67-Jährige ist an diesem Tag auch für ihre drei Enkel auf der Straße, ihre Kinder demonstrieren zeitgleich in anderen Städten. Klimaneutralität bis 2045, wie Deutschland sie plant, dauert ihr zu lang - angesichts des Brands im Berliner Grunewald im Sommer sei sie „erschrocken, wie nah die Zerstörung der Umwelt schon ist“. Als die Startkundgebung gegen Mittag beginnt, drängen sich rasch Tausende bis auf die Straße neben dem Park, Schilder von Atomkraft- und Rüstungsgegnern sind ebenso zu sehen wie die Fahnen von Umweltorganisationen wie dem WWF.

Fridays for Future sehen Klimaschutz nicht als Luxusproblem

Dass so viele angesichts akuter Energiekrise und Krieg nun für das Klima auf die Straße gehen, will man bei Fridays for Future allerdings nicht als Luxusproblem verstanden wissen. „Wir sind nicht trotz, sondern wegen der anderen Krisen hier“, betont Luisa Neubauer, die prominenteste deutsche Klimaaktivistin, in ihrer Rede. Auf dem ersten Banner des Demonstrationszugs steht die kürzlich aufgestellte Forderung nach 100 Milliarden Euro für „sozialen Klimaschutz“, die in die Unabhängigkeit von Öl und Gas und ein dauerhaftes 9-Euro-Ticket investiert werden sollen.

Am Morgen hatte der MDR eine Umfrage veröffentlicht, in der zwei Drittel der Befragten die Klimastreiks für „unangemessen“ in der aktuellen Lage hielten. Doch den Vorwurf, es gebe drängendere Probleme angesichts steigender Energiepreise, will man unter den Protestierenden nicht gelten lassen. „Das sollte man nicht gegeneinander aufwiegen“, meint der 21- jährige Jannis. Alicia (20) ergänzt: „Wir müssen sowieso etwas ändern – warum nicht gleich so, dass es klimapolitisch richtig ist?“

In Berlin demonstrieren mehr als 30 000

Auch auf der Bühne richtet Neubauer ihre Kritik an die Bundesregierung, die die verschiedenen Krisen mit ihrer Politik sogar anheize. Olaf Scholz sei kein „Klimakanzler“, sondern ein „fossiler Kanzler, der durch die Welt reist und mehr fossile Energie einkauft, als wir noch verbrennen dürfen“, ruft sie der Menge zu. Ihr Vorredner, der „Känguru-Chroniken“-Autor Marc-Uwe Kling, erntet Lacher, als er sagt, die aktuelle Klimapolitik sei „wie Weiterrauchen nach der Lungenkrebsdiagnose“.

Auch wenn die Menschen die Sorge um ihre Klimazukunft auf die Straße treibt, wirkt die Stimmung am Invalidenpark locker, Rapmusik und verhaltene Schlachtrufe wechseln sich ab. Als die Demonstration später Richtung Regierungsviertel zieht, meldet der RBB, die Polizei habe rund 36 000 Menschen gezählt. Das sind zwar weniger als im vergangenen Jahr, als Greta Thunberg vor dem Reichstag sprach, aber ein Vielfaches der angemeldeten 8000. Deutschlandweit sind an diesem Tag Zehntausende unterwegs, allein in Freiburg spricht die Polizei von 9000 Menschen, in München von 6000. Zuletzt erregten vor allem die Straßenblockaden radikaler Klimaaktivisten Aufsehen - abgelöst haben sie Fridays for Future jedoch nicht.