Zwei Apotheker aus Leidenschaft: Sigrid Ensslin übergibt Schiller-Apotheke und Testzentrum zum 1. Januar an Jan Siegel Foto: Werner Kuhnle

Apotheken stehen vor großen Herausforderungen. Immer mehr Pharmazeuten geben auf. Jan Siegel stellt sich gegen den Trend. Der Freiberger Apotheker übernimmt mit gerade Mal 31 Jahren im Januar die Schiller-Apotheke in Marbach. Sigrid Ensslin geht in den Ruhestand.

Mit den Apotheken ist es wie mit den Hausarztpraxen. Immer mehr machen dicht. 2340 Apotheken gibt es landesweit. Seit 2009 ist die Zahl jedoch rückläufig, sagt Katina Drotleff, Pressesprecherin bei der Landesapothekenkammer. Im Landkreis Ludwigsburg sind es aktuell noch 96.

Jan Siegel stellt sich dem Abwärtstrend entgegen. Erst im Januar 2021 hat der 31-Jährige die Palmsche Apotheke in Freiberg übernommen – und im großen Stil investiert. In die 400 Quadratmeter Fläche und in die technische Modernisierung. Unter anderem wurden Schubladen durch einen Kommissionierapparat ersetzt, der die Medikamente auf Knopfdruck aus dem Lager in den Verkaufsraum transportiert.

Das Team bleibt

Zum 1. Januar 2023 übernimmt der Bietigheimer auch die Verantwortung in der Marbacher Schiller-Apotheke. Sigrid Ensslin verabschiedet sich in den Ruhestand. Nach dem Tod ihres Mannes, der schon in den 60er Jahren die Apotheke in Marbach übernahm, leitete sie sie 16 Jahre lang alleine weiter.

Wobei – alleine trifft es nicht. Zwölf Mitarbeiter hat Sigrid Ensslin in ihrem Team. Viele halten ihr und der Schiller-Apotheke seit Jahrzehnten die Treue. Und werden es weiter tun. „Alle machen weiter“, freut sich die Marbacherin. Die Chemie zwischen ihrem Nachfolger und dem Team habe gepasst. Die Filiale leiten wird Michaela Schneider, die seit mehr als zehn Jahren in der Apotheke in Benningen arbeitet. Zweieinhalb Tage in der Woche wird von Januar an aber Jan Siegel selbst in Marbach sein.

Aufhören habe sie nie wollen, sagt Ensslin und schmunzelt. Aber mit 73 Jahren darf dann doch irgendwann an den Rückzug aus dem beruflichen Leben gedacht werden. Und Mitte des Jahres hat einfach alles gepasst. Mit Jan Siegel habe sie einen Nachfolger mit Leidenschaft gefunden, schwärmt sie.

Mehr als 30 Jahre lang haben Jan Siegels Eltern die Apotheke in Benningen geführt. Er habe sie immer bewundert, erzählt der Sohn. Obwohl der Vater ihm davon abriet, entschied er sich nach dem Abitur, Pharmazie zu studieren. 2014 schloss er mit 22 Jahren als Jüngster im Land das Studium ab und schnupperte in acht Apotheken Berufserfahrung. Zuletzt in der Palmschen Apotheke in Freiberg. Und als die zum Verkauf stand griff er 2021 dann zu. Dass es nicht bei einer bleiben sollte, stand für den 31-Jährigen früh fest. „Kleine Apotheken werden es mit Blick auf die Herausforderungen der Branche künftig immer schwerer haben“, sagt Siegel. „Einzelkämpfer haben keine Zukunft“, ist auch Sigrid Ensslin überzeugt.

Kommt noch eine dritte Apotheke dazu?

Bis zu vier Apotheken darf ein Pharmazeut besitzen. Sie müssen mindestens 110 Quadratmeter groß sein und in räumlicher Nähe zueinander liegen. Wird Jan Siegel also noch mehr übernehmen? Der 31-Jährige schmunzelt. Größere Apotheken beziehungsweise Verbünde könnten Lieferengpässe besser abfedern. „Wenn im Lager in Marbach etwas fehlt, dann können wir in Freiberg schauen.“

Das Thema Lieferengpässe beschäftigt die Branche seit Monaten. „In Freiberg fehlen aktuell 415 Artikel im Lager“, berichtet Siegel. Am Schlimmsten ist es bei Ibuprofen und Paracetamol für Kinder. Sowohl in Freiberg als auch in Marbach wurden deshalb in der Vergangenheit schon Fiebersäfte selbst hergestellt.

Die Herausforderungen für die Branche sind groß, da sind sich die beiden einig. Nicht umsonst schließe jeden Tag in Deutschland eine Apotheke. „Als ich 2014 angefangen habe, gab es in Bietigheim, wo ich lebe, zwölf Apotheken“, erzählt Siegel. „Jetzt sind es noch sieben.“ Zu wenig Personal, zu viel Bürokratie – das ist ein Teil der Problematik, die den Pharmazeuten das berufliche Leben erschwert und viele aufgeben lässt. „Für die Herstellung eines Medikamentes brauchen wir nicht annähernd so viel Zeit wie für die Dokumentation“, nennt der 31-Jährige ein Beispiel. „Die Politik ist gefordert. Die Zeit, die wir für das Ausfüllen von Formularen brauchen, die sollten wir für unsere Kunden einsetzen.“ Denn die Beratung und der Service sind das, mit dem sich die Apotheken in den Kommunen von den Online-Apotheken abgrenzen können. Sigrid Ensslin: „Die persönliche Ansprache wird immer wichtiger und genau das ist unsere Stärke.“

DIE BRANCHE STEHT VOR GROSSEN HERAUSFORDERUNGEN

Herausforderungen
Eine der größten Herausforderungen ist der Personal- beziehungsweise Nachwuchsmangelmangel. Dazu kommensteigende Lohnkosten und immer mehr Bürokratie.

Alter
Das Durchschnittsalter von Apothekenleitern liegt bundesweit bei 53,5 Jahren. Das Durchschnittsalter der angestellten Apotheker liegt mit 47,8 Jahren nicht wesentlich darunter.

Engpässe Das Management der Medikamenten-Engpässe frisst einen beträchtlichen Teil der Arbeitszeit auf. Wenn die flächendeckende Arzneimittelversorgung gewährleistet bleiben soll, muss gegengesteuert werden, fordert die Landesapothekenkammer.

Testzentrum Jan Siegel wird das Testzentrum weiterführen. Erfahrung hat er genug. „In der Pandemie haben wir bis zu zehn Testzentrum betrieben.“