Wichtiger Ankerpunkt für die wohnortnahe medizinische Versorgung: das Krankenhaus in Leonberg. Foto: Simon Granville

Barbara John, die Chefärztin der Inneren Abteilung in Leonberg, schlägt Alarm: Würde Lauterbachs Gesundheitsreform eins zu eins umgesetzt, gäbe es fast nur noch Großkliniken

Der Mensch steht im Mittelpunkt der Medizin. So sollte es eigentlich sein. Doch längst liegt im Begriff Gesundheitspolitik die Betonung auf Politik, sprich auf dem Geld. Für Barbara John eine ungute Entwicklung. Die Chefärztin der Inneren Klinik am Krankenhaus Leonberg befürchtet, dass angesichts immer neuer Reformen im Gesundheitswesen die wohnortnahe Patientenversorgung auf der Strecke bleibt – weil es irgendwann nur noch einige wenige Großkliniken gibt, aber kaum noch kleine Häuser.

Beim „Liberalen Treff“ der Leonberger FDP redet die renommierte Darmspezialistin Klartext. Der Stadtverbandsvorsitzende Kurt Kindermann und der Fraktionschef in Gemeinderat und Kreistag Dieter Maurmaier haben John eingeladen, um mit ihr über die möglichen Konsequenzen aus einer bundesweiten Krankenhausreform zu sprechen, und natürlich auch über die Lage im Klinikverbund Südwest, besonders jene im Krankenhaus Leonberg.

Lauterbach schwebt Stufen-Modell vor

Dort, daran lässt die Chefärztin keinen Zweifel, wird sehr gute Arbeit geleistet. Mehr als 11 000 Patienten werden in Leonberg pro Jahr stationär behandelt, 33 000 Menschen sind in ambulanter Betreuung, und 27 000 Patienten werden jährlich in der Notaufnahme eingeliefert. Rund 500 Menschen arbeiten im hiesigen Klinikum. „Damit leistet unser Krankenhaus einen großen Anteil bei der Versorgung in der Region“, sagt die erfahrene Medizinerin, die schon in etlichen Kliniken gearbeitet hat.

Doch ob das so bleibt, das steht angesichts der geplanten Reform aus dem Bundesgesundheitsministerium in den Sternen. Minister Karl Lauterbach schwebt ein Modell vor, das Kliniken in unterschiedliche Stufen einordnet. Ganz unten steht ambulante Betreuung, die eher einem Pflegeheim gleichkommt. Ein Rund-um-die-Uhr-Betrieb ist nicht vorgesehen, medizinisches Personal ist nur bedingt vorhanden. Ganz oben stehen die Unikliniken, in denen die komplette medizinische Bandbreite angeboten wird.

Dazwischen liegen Krankenhäuser, die Spezialabteilungen haben und jene, die eine Notfall- und Basisversorgung haben und Tag und Nacht geöffnet sind. Letzteres Modell wäre am ehesten mit Häusern von der Größenordnung Leonbergs kompatibel. Wobei die Medizinerin keinen Zweifel daran lässt, dass auch die kleineren Krankenhäuser mindestens eine Spezialabteilung brauchen, um zukunftsfest zu sein.

Barbara John unterstreicht diese These mit der eigenen Praxis: Gemeinsam mit dem Chefarzt der Bauchchirurgie, Wolfgang Steurer, behandelt sie komplexe Darmerkrankungen. Beide gehören einem bundesweiten Kompetenznetzwerk für das Kurzdarmsyndrom an. „Es gibt nur rund 20 Ärzte in ganz Deutschland, die in dieser Disziplin richtig gut sind“, sagt die Chefärztin. Deshalb kämen sehr viele Patienten von weit her, um in Leonberg behandelt zu werden.

Geburtenstationen gefährdet

John betont, dass die aktuelle Diskussion kein singuläres Problem des Klinikverbundes Südwest wäre, dem neben Leonberg die Krankenhäuser in Sindelfingen, Böblingen, Herrenberg, Calw und Nagold angehören. Es gehe viel mehr um Lauterbachs Reform, die sich vor allem auf Großkliniken fokussiere. Würden die Vorschläge aus Berlin eins zu eins umgesetzt, verlören die meisten Kliniken sogar ihre Geburtsabteilungen. Denn dann würde nur noch in Kinderkliniken Geburtshilfe angeboten.

Die Folge: lange Weg zur nächsten Geburtenstation. „Die meisten Kinder werden dann im Auto geboren“, bringt es die Ärztin auf den Punkt. Und die kleineren und mittleren Häuser würden weiter an Attraktivität verlieren. Gerade die Geburtshilfen in Herrenberg und Leonberg aber erfreuen sich einer großen Beliebtheit. Am Engelberg kommen jährlich mehr als 700 Kinder auf die Welt, der neu eingerichtete hebammengeführte Kreißsaal wird sehr gut angenommen.

Längere Anfahrten für Krebspatienten nicht zumutbar

Das Problem der weiten Wege betreffe indes längst nicht nur werdende Mütter. „Gerade ältere Patienten und chronisch Kranke sind auf eine wohnortnahe Betreuung angewiesen“, sagt Barbara John. Krebspatienten etwa könnte nicht zugemutet werden, ein- bis zweimal wöchentlich eine längere Anfahrt, womöglich bei unzureichenden Verkehrsangeboten, auf sich zu nehmen.

Dass es im Gesundheitswesen nicht so weitergehen kann, streitet Barbara John nicht ab. „Ich bin für Wirtschaftlichkeit“, sagt die erfahrene Medizinerin. „Doch es müssen Reformen sein, die den kranken Menschen nützen, nicht umgekehrt.“