Ein Großteil der Gasinfrastruktur ist künftig womöglich überflüssig. Foto: IMAGO/BildFunkMV/IMAGO

Bis zu 270 Milliarden Euro ist das Gasnetz wert, und womöglich wird es bald nicht mehr gebraucht. Jetzt gibt es Streit, was in den kommende Jahren mit dem Netz passieren soll.

Es bewirkt, dass Häuser geheizt sind, Schwimmbäder warmes Wasser haben und die Industrie produzieren kann. Das Gasnetz in Deutschland verteilt einen der wichtigsten Rohstoffe. Rund 550 000 Kilometer Gasröhren durchziehen Deutschland. Die Gasbranche beziffert den volkswirtschaftlichen Wert des Netzes auf 270 Milliarden Euro. Doch die Leitungen könnten bald überflüssig sein. Deutschland will weg vom Erdgas. Spätestens 2045 soll Schluss sein.

Was passiert dann mit dem Gasnetz? Diese Frage wird angesichts von zwei Vorhaben der Bundesregierung aktuell. Es geht um das Gebäudeenergiegesetz und die Wärmeplanung. Beide bestimmen, wie in Deutschland geheizt wird. Je nachdem, wie diese Gesetze ausgestaltet werden, könnte man Teile des Röhrensystem brauchen – oder nicht.

Eine naheliegende Idee lautet: Man nutzt die Leitungen, um Wasserstoff zu transportieren, den klimafreundlichen Energieträger der Zukunft. Doch darüber, ob das technisch möglich ist, sind sich Experten nicht einig. Deutschland durchziehen Rohre mit unterschiedlichen Stahllegierungen und Kunststoffen. Manche davon werden schnell durch Wasserstoff angegriffen. Nicht alle Rohre können nachgerüstet werden.

Besonders die FDP machte sich in der Debatte über das Heizungsgesetz dafür stark, auch das Heizen mit Wasserstoff attraktiv zu machen. Unterstützung bekommt sie unter anderem vom Verband der kommunalen Unternehmen, der die Stadtwerke vertritt. Die Liberalen kritisieren am Entwurf des Heizungsgesetzes von Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne), dass die Fristen zum Aufbau eines Wasserstoffnetzes viel zu knapp gesetzt sind.

Wasserstoff wird zunächst nicht in der Fläche zum Einsatz kommen

Doch wie viel Wasserstoff künftig genutzt wird, ist umstritten. „Aus volkswirtschaftlicher Sicht bin ich zurückhaltend, was den flächendeckenden Einsatz von Wasserstoff angeht“, sagt die Wirtschaftswissenschaftlerin Franziska Holz vom gewerkschaftsnahen Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin. „Vieles lässt sich günstiger mit Strom als mit Wasserstoff betreiben“, sagt sie. Dazu zähle etwa das Heizen mit der Wärmepumpe oder das Fahren mit dem E-Auto. Denn den Strom erzeuge man ohnehin, die Herstellung von Wasserstoff komme obendrauf. Für einige Prozesse braucht es aber Wasserstoff, etwa in der Stahlverarbeitung. Deshalb werde es Großabnehmer von Wasserstoff geben und zusätzlich einige Mittelständler, so die Prognose.

Die zuständige Bundesnetzagentur geht, wie sie auf Anfrage mitteilt, davon aus, dass „große Teile des Gasverteilernetz mangels Verwendung“ zurückgebaut werden. Allein für die 34 000 Kilometer Hochdruckleitungen, die bisher für den Gastransport über lange Distanzen genutzt werden, sieht die Behörde eine Zukunft: „Die Ferngasleitungen können nach derzeitigen Annahmen zum größten Teil auf einen Wasserstofftransport umgerüstet werden“, heißt es.

Die Grünen-Bundestagsabgeordnete Ingrid Nestle plädiert dafür, das Gasnetz zu verkleinern. „Noch ist Zeit, diesen Prozess geordnet und damit für alle bezahlbar zu organisieren“, betont sie. „So wird ein starker Anstieg der Netzentgelte in der Zukunft vermieden.“

Manche Kritiker nennen ein weiteres Argument für die Stilllegung: Wenn die Rohre nicht mehr benutzbar seien, komme man nicht in Versuchung, weiter Gas zu verfeuern. Das sei, wie wenn jemand Schnaps wegschütte, damit er nicht doch wieder zur Flasche greife. Kommunale Versorger weisen dies zurück. Warum eine erprobte Infrastruktur abwracken, obwohl man noch nicht weiß, ob man sie noch brauchen kann, fragen sie.

„Wie schnell und wie viel zurückgebaut wird, muss die Regierung entscheiden und den Unternehmen im Zweifel Geld als Kompensation zahlen“, fordert DIW-Expertin Holz. Daher haben die Unternehmen ein Interesse daran, den Wert des Gasnetzes hochzurechnen.

Sollte das Gasnetz in Zukunft weniger genutzt werden, rechnen Experten übrigens nicht damit, dass die Leitungen flächendeckend ausgegraben werden. Die Röhren würden wohl stillgelegt und in der Erde bleiben – als Skelette des fossilen Zeitalters.

Zitat

. „Vieles lässt sich günstiger mit Strom als mit Wasserstoff betreiben.“ Franziska Holz, DIW