Portugal spielt bärenstark bei dieser Weltmeisterschaft. Doch alle Welt spricht über den aus der Startelf verbannten Cristiano Ronaldo. Der alternde Superstar hat seinen Zenit überschritten, zieht aber alle Blicke auf sich.
Portugal gegen die Schweiz. Achtelfinale. Beide Teams nehmen Aufstellung, die Hymnen werden gespielt. Doch die meisten Fotografen und Kamerateams haben dem Spielfeld den Rücken gedreht. Fast alle Blicke und Objektive sind auf einen Portugiesen gerichtet, der vor der Auswechselbank steht und nicht von Beginn an mitspielen darf: Cristiano Ronaldo. Der Star der Mannschaft befindet sich nicht auf dem Platz. Und doch oder gerade deshalb absorbiert er die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit. Das dürfte auch an diesem Samstag (16 Uhr/ZDF) so sein, wenn Portugal im Viertelfinale Marokko gegenübersteht – und Ronaldo wohl erneut zuschauen muss.
37 ist der Angreifer inzwischen. Ein biblisches Alter für einen Fußballprofi, der in der Weltspitze mitmischen möchte. Der Kroate Luka Modric, Ronaldos langjähriger Teamkollege bei Real Madrid, ist genauso alt. Modric bekommt es noch ganz gut hin, ist aber nicht nur ein anderer Spielertyp, sondern erfüllt auch eine andere Rolle. Der Kroate kompensiert seine nachlassende physische Robustheit mit Erfahrung, seiner Fähigkeit zur Antizipation, einer herausragenden Technik und Spielintelligenz.
Weltklasse ist der portugiesische Nationalheld nicht mehr
Cristiano Ronaldo hingegen scheint seinen sportlichen Zenit, den Höhepunkt seiner Leistungsfähigkeit, schon seit geraumer Zeit überschritten zu haben. Seine sagenhafte Begabung, binnen Bruchteilen einer Sekunde Tempo aufzunehmen, den Gegner zu überrumpeln, eiskalt zuzuschlagen, mit dem Fuß oder Kopf, alles das ist zunehmend nur noch Erinnerung.
Die Gegenwart konfrontiert den fünffachen Weltfußballer mit einer unangenehmen Realität. Seine Kontrahenten laufen ihm den Rang ab. Die Schnellkraft-Superkräfte des Superstars lassen nach. Weltklasse ist der portugiesische Nationalheld nicht mehr.
Für einen wie Ronaldo ist das schwer zu ertragen. Stets war er die Nummer eins. Ob in der Nationalelf, zu Beginn seiner internationalen Karriere bei Manchester United oder bei den Königlichen von Real Madrid, für die er neun Jahre spielte und mit denen er viermal den begehrtesten Wettbewerb gewann, den es im Vereinsfußball zu gewinnen gibt: die Champions League. Immer war das Spiel auf ihn zugeschnitten. Und Ronaldo lieferte. Und wie er lieferte. Ronaldo traf und traf und traf. Und hörte gar nicht mehr auf damit. 183 Champions-League-Spiele, 140 Treffer. 118 Tore in 195 Länderspielen. 292 Buden in 311 Spielen für Real Madrid.
Ronaldo hat sich selbst ins Abseits katapultiert
Ronaldos Quoten sind atemberaubend, ob man ihn mag oder als Selbstdarsteller verachtet. Nicht atemberaubend, aber doch ziemlich beeindruckend war der Auftritt seiner Nationalelf-Kollegen beim Sieg im Achtelfinale gegen die Schweiz. Das 6:1 zeigte: Es geht auch ohne Ronaldo. Sehr gut sogar. Ronaldo-Ersatz Gonçalo Ramos vom FC Porto erzielte drei Tore. Es war ein Statement.
Cristiano Ronaldo schaute zu und jubelte mit. Möglicherweise ist dem 37-Jährigen in dem Augenblick klargeworden, dass er sich selbst ins Abseits katapultiert hat. Wie schon bei Manchester United, seinem bislang letzten Arbeitgeber. Dort klagte Ronaldo in Interviews lautstark über mangelnde Unterstützung und seine Reservistenrolle, provozierte damit seinen Rauswurf.
Schimpfend stampfte Ronaldo vom Platz
Im letzten WM-Gruppenspiel gegen Südkorea (1:2) stampfte der Superstar – Trainer Fernando Santos hatte es tatsächlich gewagt, ihn auszuwechseln – missmutig und schimpfend vom Platz. „Wir stehen in einem engen Austausch. Er ist unser Kapitän. Deshalb muss ich mit ihm sprechen“, sagte Santos am Freitag in Doha.
Nach großer Nähe zu seinem Kapitän hörte sich das nicht an. Der erfahrene Coach dementierte Meldungen, wonach sein Superstar Katar nach dem Achtelfinale vorzeitig verlassen wollte. Santos wünschte sich vielmehr, der Wirbel um den 37-Jährigen möge enden. Offen ließ der Trainer, welche Elf er am Samstag auf den Platz schicken wird und welche Rolle Ronaldo dann einnimmt.
Was Santos nicht sagte: Unabhängig davon, ob Cristiano Ronaldo bei dieser WM nochmal zuschlägt oder nicht. Der Portugiese wird als einer der besten Fußballer in die Geschichte eingehen. Und wer weiß: Vielleicht wird der Portugiese tatsächlich Weltmeister. Wenn auch nur als Bankdrücker.