Sowohl die Flasche als auch der kleine Brief sind nach 40 Jahren in einem tadellosen Zustand. Foto: Gottfried Stoppel

Manfred Haidle staunt nicht schlecht, als er am Ufer des Mühlbachs in Kernen (Rems-Murr-Kreis) auf eine Flaschenpost stößt. Ein kleines Mädchen hat den Brief vor 40 Jahren losgeschickt und weiß auch schon, dass er endlich gefunden wurde.

Jedes Jahr im Januar, wenn seine Gärtnerei Winterpause macht, hat Manfred Haidle ein festes Ritual. Er befreit dann das Ufer am fast versiegten Mühlbach entlang seines Grundstücks in Stetten von Dornen und Unkraut. Und auch wenn das eine regelmäßige und ziemlich unspektakuläre Aktion ist, dieses Jahr ist plötzlich alles ganz anders und doch ziemlich spektakulär.

Denn der Gärtner findet in Schlamm und Matsch versteckt und ziemlich überwuchert eine Flaschenpost – und staunt nicht schlecht. „Ich bin plötzlich auf etwas Hartes getreten. Erst dachte ich, da hat mal wieder jemand achtlos Müll entsorgt, aber dann habe ich mir meinen Fund mal genauer angesehen und gemerkt, dass es sich um eine Flasche handelt, in der was drinsteckt“, sagt Haidle und grinst.

Manfred Haidle findet eine Afri-Cola-Flasche im Uferschlamm

Der 66-Jährige steht mit beiden Beinen fest auf dem Boden, ist ein gestandener Familienvater und Geschäftsmann, aber hört man ihm beim Erzählen zu, dann scheint es so, als ließe er sich trotzdem ein bisschen anstecken von dem nostalgischen Charme seines alten Fundes. „Es ist schon toll, wenn man so was findet und dann überlegt, was man da in der Hand hält und dass es vor vielen, vielen Jahren ins Wasser geworfen wurde. Mich hat es gleich an meine eigene Kindheit erinnert“, sagt Manfred Haidle.

Und das verwundert nicht, denn das Schreiben, das er nahezu unversehrt aus der „Afri Cola Bluna“-Flasche mit Plastikverschluss holt, auseinanderrollt und stolz präsentiert, ist von einem kleinen Mädchen vor etwa 40 Jahren geschrieben und in den Haldenbach geworfen worden. Über den Bach ist die Flasche dann in einen Abzweig – den Mühlbach – geschwemmt worden und hat sich dort im Ufer verfangen. „Da gibt es immer wieder auch Betonplatten, an denen die Glasflasche hätte zerschellen können“, sagt Manfred Haidle und fügt an, dass der Fundort unweit der Bühläckerstraße 7 in Stetten gewesen sei, also dort, wo der Mühlbach verläuft, der längst eher einem begrünten Graben gleicht. „Der Bach ist schon über 20 Jahre stillgelegt, aber früher hat er drei Mühlen bedient“, sagt Manfred Haidle.

Die Nachricht ist nicht kaputt gegangen

Doch obwohl der Bach quasi nicht mehr existiert und es heikle Stellen für die Glasflasche gab, hat die Nachricht der kleinen Pamela Herzog die Jahre überdauert und in Manfred Haidle genau den richtigen Finder erwischt. Denn der Zufall wollte es, dass der Vater von Pamela Herzog ein guter Bekannter des Gärtners ist, ab und an in seinem kleinen Hofladen einkauft und Pamela daher einst gerade mal zwei Kilometer flussaufwärts von Flaschenpost-Finder Manfred Haidle wohnte. „In Stetten kennt man sich einfach. Als ich den Nachnamen der Flaschenpost-Absenderin las, habe ich sofort überlegt, welche Familien mit dem Namen es hier gibt. Dann fiel mir Werner Herzog mit seinen zwei Töchtern ein. Ich sprach ihn an – und siehe da, eine seiner Töchter war die Flaschenpost-Schreiberin Pamela.“ Herzog habe es natürlich gleich seiner Tochter erzählt, die es gar nicht glauben wollte.

In dieser wild romantischen Ecke am versiegten Mühlbach hat Manfred Haidle die Flaschenpost gefunden. Foto: Gottfried Stoppel

Das Mädchen mit dem Abenteuergeist müsste damals vier, fünf Jahre alt und noch im Kindergarten gewesen sein. „Sie hat sich erst mal gar nicht erinnert, aber dann war sie begeistert und gerührt“, erzählt ihr Papa Werner Herzog, der die Flasche ehren und in eine Vitrine stellen will. Die Familie wohnt immer noch an dem herrlichen Flecken in Stetten, an dem der Haldenbach direkt vorbeifließt und das kleine Mädchen sein aufregendes Experiment startete. „Unsere Mädels Pamela und Verena haben gern am Bach gespielt. Pamela wohnt mittlerweile nicht mehr hier und hat selbst Kinder, aber benachbarte Kindergartenkinder wissen den lauschigen Bach zu schätzen“, erzählt der 75-jährige Werner Herzog. Die Flaschenpost weckt auch bei ihm Erinnerungen.

Doch was stand denn nun eigentlich auf dem Zettel aus längst vergangenen Zeiten? In Kinderschrift steht da der Name Pamela Herzog - Stetten im Remstal – dann kommen die Adresse und zwei Zeichnungen: ein Gesicht und ein Haus. Danach ist in Schreibschrift geschrieben: „Wenn Du meine Flaschenpost gefunden hast, schicke mir bitte eine Karte von Dir. Ich warte!“ Manfred Haidle und Werner Herzog sind sich sicher: Den Namen hat Pamela, die damals noch im Kindergarten gewesen sein muss, selbst geschrieben. Und Werner Herzog weiß auch, wer ihr beim Rest geholfen hat: Oma Else. „So eine Aktion, das ist etwas, was man mit einer Oma austüftelt und in die Tat umsetzt“, sagt Manfred Haidle.

Wer weiß, vielleicht haben Oma und Enkelin ja ein Buch mit einem aufregenden und romantischen Flaschenpost-Abenteuer gelesen. Denn es sind wohl solche Geschichten, die so faszinieren an dem Gruß aus der Vergangenheit. Dabei hatte die Flaschenpost zunächst gar keine romantische oder nachrichtliche Bestimmung. Denn in den ersten Flaschen war gar keine schwimmende Post. Vielmehr hofften Wissenschaftler, durch gekennzeichnete und ins Meer geworfene Flaschen die Strömungen der Meere besser berechnen zu können.

Pamela Herzog dagegen schickte einen schwimmenden Gruß und wollte ein Kärtchen vom Finder. Und das wird Manfred Haidle der mittlerweile 44-Jährigen auch schreiben, das verspricht er ihrem Papa, Werner Herzog. „Das werde ich sofort machen, ist doch selbstverständlich.“