Klimaschutz? Kam im Europawahlkampf kaum vor. Wieso das so ist und bei wem sie die Verantwortung sieht, erklärt die Klimaaktivistin Luisa Neubauer im Interview.
Vor fünf Jahren gab es ein Thema, das die Europawahl bestimmte wie kein anderes: das Klima. Es war vor allem die Klimabewegung Fridays for Future, die das Bewusstsein für das Problem in die Breite der Gesellschaft trug. Doch davon scheint nicht viel geblieben zu sein. Dieses Mal kam das Thema bei der Europawahl kaum vor. Luisa Neubauer ist Deutschlands bekannteste Klimaaktivistin. Im Interview spricht sie über den Wahlkampf, Jungwähler – und erklärt, wieso sie bei Parteien und Medien ein Versagen sieht.
Frau Neubauer, vor einer Woche stand Süddeutschland unter Wasser. Trotzdem spielte das Thema Klimaschutz bei dieser Europawahl kaum eine Rolle. Wie kommt das?
Das ist ein Versagen aller demokratischen Parteien – und übrigens auch eines der Medien. Die Klimakrise betrifft alle Menschen in Deutschland. Trotzdem haben viele Parteien im Wahlkampf nicht darüber gesprochen. Das Absurde ist ja: Alle Parteien in Deutschland sind dazu verpflichtet, Klimaziele einzuhalten. Und ganz gleich, wer nun im Europaparlament sitzt, alle werden dort Klimapolitik machen müssen. Die Erderhitzung ist auch ihr Problem, ob sie wollen oder nicht. Aber wenn man das nicht im Wahlkampf bespricht, haben die Menschen keine Chance, informiert zu wählen.
Vor fünf Jahren war das ganz anders. Das Klima bestimmte die Wahl, die Grünen gewannen so viele Stimmen wie nie – besonders unter jungen Menschen. Das hat sich jetzt verändert. Wie erklären Sie das?
Es stimmt nicht, dass sich junge Menschen nicht mehr für Klimaschutz interessieren. Besonders in der Altersgruppe der 16- bis 24-Jährigen konnte man sehen, dass viele im Sinne des Klimas abgestimmt haben. Volt hat zum Beispiel besonders zugelegt, eine Partei, die besonders stark auf Klimaforderungen gesetzt hat. Zählt man die Stimmen für Grüne und Volt in der Altersgruppe zusammen, kommen die Parteien bei Jungwählern auf 20 Prozent. Das sind mehr Stimmen für das Klima als für die AfD.
Aber trotzdem weniger als vor fünf Jahren. Wieso haben die Grünen in dieser Altersgruppe so verloren?
In den vergangenen fünf Jahren sind zur Klimakrise viele weitere Krisen dazu gekommen – und die haben junge Menschen ganz besonders getroffen. Sie haben massiv unter der Pandemie gelitten. Und das ist nur ein Beispiel. Sie wissen, dass sie es nicht mehr so guthaben werden wie ihre Eltern. Und in den Augen vieler tut niemand etwas dagegen. Man braucht sich nicht zu wundern, dass diese Generation aktuellen Regierungsparteien weniger vertraut.
Wie haben die Grünen als einstige Klimapartei dieses Vertrauen verloren?
Die Grünen sind mit der Hoffnung in die Regierung gewählt worden, dass sie dort rote Linien in der Ökologie verteidigen. Also: Keine Kompromisse bei den Klimazielen, die ja schon Kompromisse sind. Über die verschiedenen Wege, Klimaziele einzuhalten, muss man streiten, viel zu oft sind sie allerdings ökologisch eingeknickt. Das Paradoxe ist ja: Im Europaparlament konnten die Grünen mit anderen zusammen wirklich etwas bewirken. Aber bei der Europawahl wurde viel auf die Ampelregierung projiziert. Daher die Verluste.
Das klingt, als seien die Grünen abgestraft worden, weil sie nicht genug Klimapolitik gemacht haben. Glauben Sie nicht, dass viele den gegenteiligen Eindruck haben – und fanden, dass ihnen zu viel Klimapolitik zugemutet worden sei?
Wenn man Menschen in Deutschland befragt, was ihre größte Sorge ist, dann nennen sie aktuell am zweithäufigsten das Thema Klima und Energie. Ich halte es für falsch, die aktuelle Stimmung wie ein Naturgesetz zu interpretieren, wieviel Klimaschutz man den Leuten zumuten kann. In den vergangenen zwei Jahren haben wir eine ungekannte Welle von Anti-Klimapropaganda in diesem Land erlebt – teilweise sogar vorangetrieben von einer Regierungspartei. Im Lichte dessen ist es ein Wunder, dass überhaupt noch irgendwer Nerven für Klimaschutz hat. Natürlich verändert das die Stimmung im Land.
Sie meinen die FDP?
Genau. Aber auch andere Parteien, allen voran die CDU, und natürlich auf anderen Ebenen die AfD. Wir haben den billigsten Populismus gesehen. Immer wieder wurden Behauptungen über die unbelegten Möglichkeiten von E-Fuels oder den nahenden Weltuntergang durch Wärmepumpen besprochen, als handele es sich dabei um Daten und Fakten. Wir haben seit zwei Jahren keine ernsthafte, ehrliche und sachliche Debatte zum Klima mehr erlebt. Ich bin auch von weiten Teilen der Medien enttäuscht. Die haben hier versagt.
Wie meinen Sie das?
Nehmen Sie den aktuellen Vorstoß der CDU gegen die europäische Einigung zur Verkehrswende. Die Partei, die regelmäßig obszöne Spendensummen von BMW empfängt, erklärt nun, es brauche kein Ausstiegsdatum für Verbrenner-Neuwagen, es gäbe ja „klimafreundliche Verbrenner“. Das Problem ist nur: Es gibt überhaupt keine klimafreundlichen Verbrenner, die für eine Massennutzung infrage kämen. Reihenweise Medien greifen unkommentiert diese CDU-Desinformation auf. Noch ein Beispiel: Seit Jahren werde ich gefragt, ob es nicht zu viel sei mit den ganzen Klimaschutz-Zumutungen für die Menschen. Ich frage mich: Was ist damit gemeint? Können Sie mir auch nur ein konkretes Beispiel für so eine Zumutung nennen, die den Alltag der Menschen in Deutschland betrifft?
Denken Sie an das Heizungsgesetz. Wer künftig eine neue Heizung braucht, muss jetzt in vielen Fällen auf eine Wärmepumpe umsteigen. Die sind teuer.
Das ist richtig. Der Grund, warum es eine Wärmewende braucht, ist ja allerdings, dass fossile Heizungen künftig noch viel teurer werden. Das Gesetz kam zu einer Zeit, in der die Preise für fossile Energien explosionsartig in die Höhe geschossen sind. Die löst man mit nachhaltigen Heizungen, und idealerweise einem gerechten Heizungsgesetz, dass Menschen hilft, diesen Umstieg zu bewältigen. Hinzu kommt: Eine neue Heizung braucht man etwa alle 20 Jahre. Mein Eindruck ist, die eigentliche Zumutung ist mehr die Debatte als die konkrete Maßnahme. Denn ja, es wird durch Klimaschutz Veränderungen und auch Zumutungen geben, aber bisher hat man kaum damit angefangen. Fällt Ihnen noch ein Beispiel ein?
Wer ein Windkraftwerk vor die Haustür gesetzt bekommt, erlebt eine sehr konkrete Zumutung.
Jetzt setzen Sie selbst einen Mythos in den Raum. An keinem Ort in Deutschland kann man ein Windrad „vor die Haustür setzen“, es gibt überall Abstandsregeln. Die Auflagen sind endlos, die Möglichkeiten für Menschen Bedenken anzumelden auch. Es gibt an einigen Orten Probleme mit den Rotorengeräuschen, keine Frage. Das ist in Summe ein Bruchteil von den Menschen, die durch andere öffentliche Infrastruktur wie Verkehrslärm in Innenstädten, Flughäfen oder Autobahnen belastet werden. Wenn wir also über Lärm sprechen wollen, unbedingt, aber dann müssen wir uns über die Proportionen ehrlich machen.
Für den Einzelnen hat das trotzdem Auswirkungen.
Die Auswirkungen sollten wir aber in Relation setzen. Für Kohle wurden 300 Orte in Deutschland weggebaggert, 120 000 Menschen umgesiedelt. Energie ohne Nebenwirkungen gibt es nicht, die Frage ist, welche wollen wir lieber? Wer darauf besteht, dass sich durch Klimaschutz nichts verändert, wird erleben, wie sich durch die Klimakrise alles verändert. Die Flutopfer in Süddeutschland haben das gerade erst erfahren.
Zur Person
Klimaaktivistin
Luisa Neubauer, Jahrgang 1996, ist das deutsche Gesicht der Klimabewegung Fridays for Future. Sie organisiert Demonstrationen und Streiks für mehr Klimaschutz und hat mehrere Bücher zu dem Thema veröffentlicht.
Grüne
Neubauer ist Mitglied bei den Grünen, ist allerdings nicht in der Partei aktiv. Immer wieder kritisiert sie die Klimapolitik der Bundesregierung – auch die Grünen.