Charles Leclerc kennt in seiner Heimat jede Ecke, dennoch meint es das Pflaster von Monaco nicht gut mit dem Ferrari-Piloten. Foto: AFP/ANDREJ ISAKOVIC

Weder in der Formel 2 noch in der Formel 1 hat der Monegasse bei seinem Heimrennen jemals die Zielflagge gesehen. Am Sonntag beim Grand Prix steht der Ferrari-Pilot unter Druck.

Bela Guttmann war kein Rennfahrer, er war Fußball-Trainer. Der Mann hatte Benfica Lissabon 1961 und 1962 sensationell zum Europapokal der Landesmeister geführt, als der Club ihm eine geforderte Gehaltserhöhung verwehrte und ihn stattdessen rauswarf, sprach Guttmann seinen Fluch aus: Benfica werde in den nächsten 100 Jahren keinen Europapokal mehr gewinnen. Achtmal erreichte der Club seitdem Endspiele im Europacup, achtmal unterlagen die Portugiesen. Irgendetwas muss wohl auch Charles Leclerc verbockt haben in seiner Karriere, anscheinend ruht auf dem Ferrari-Fahrer ein ähnlicher Bann, wenn er auf heimischem Boden fährt.

Vor dem Großen Preis von Monaco an diesem Sonntag (15 Uhr) stand der Monegasse fünfmal bei einem Heimrennen am Start, aber nicht ein einziges Mal sah er die Zielflagge und absolvierte lediglich 43,3 Prozent aller möglichen Rennrunden. Leclerc erreichte in zwei Formel-2-Läufen nicht das Ziel (2017), seine Formel-1-Premiere war nach einer Kollision wegen Bremsversagens abrupt beendet (2018), danach stoppte ihn ein selbst verschuldeter Reifendefekt (2019), schließlich brach auf dem Weg zum Start eine Antriebswelle als Spätfolge des Crashs im Qualifying (2021). 2020 fand kein Großer Preis in Monte Carlo statt. Und als schlechtes Omen für diese Ausgabe setzte der 24-Jährige am 15. Mai einen historischen Rennwagen von Niki Lauda an der Rascasse-Kurve in die Leitplanken. Der Fluch, so es ihn gibt, leistet ganze Arbeit. Doch der Betroffene sieht das anders. „Ich denke darüber nicht nach. Natürlich war es nicht die glücklichste Strecke für mich, aber so ist das Leben“, meinte der WM-Zweite, „das ist Teil des Motorsport, manchmal laufen Dinge nicht in deine Richtung.“

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Keine Frage, es ist sicher sinnvoll, sich keinen Kopf zu machen über Eventualitäten, die man nicht beeinflussen kann, aber bei Ferrari läuft in jüngerer Vergangenheit manches nicht nach Plan – wobei nicht alles in die Rubrik „schicksalhafte, nicht abzuwendende Vorfälle“ fällt. In Barcelona war zwar Leclerc schuldlos, als ihm durch einen Motorschaden der wohl sichere Rennsieg abhanden gekommen war, doch die Zuverlässigkeit des Fahrzeugs liegt fraglos in der Verantwortung der Scuderia. In Miami war Red Bull dominant, zuvor in Imola warf der Monegasse durch einen Patzer einen Podestplatz weg, darüber hinaus leistete er sich einige Abflüge. „Beide Ferrari-Piloten“, sagt Ex-Rennfahrer Ralf Schumacher, hätten offenbar ein Problem mit der Konstanz, „der Ferrari war definitiv das beste Auto am Anfang der Saison, Carlos Sainz und Leclerc haben meines Erachtens nach zu wenig draus gemacht.“ Mit Blick auf die verschiedenen Ausritte der Fahrer neben die Piste lästerte der 46-Jährige, Ferrari möge nach Monaco „ein paar Ersatzteile mehr mitnehmen“.

Wäre also nicht schlecht, wenn Ferrari den ungünstigen Trend wieder umkehren könnte. Sechs Punkte Rückstand hat Leclerc vor dem siebten Saisonrennen – zwei WM-Läufe gewann er selbst, vier Erfolge gingen an Titelverteidiger Max Verstappen, der zuletzt einen Hattrick erzielte (Imola, Miami, Barcelona). Und der Niederländer ist mit ordentlich Selbstvertrauen, viel Zuversicht und gesundem Optimismus im Handgepäck an die Cote d’Azur gereist. Seit 2015 hatte der Weltmeister am Mittelmeer regelmäßig wegen widriger Umständen einen Podiumsplatz verpasst, erst vergangenes Jahr platzte mit dem Sieg der Knoten. „Meine Geschichte in Monaco war nicht so gut, dieser Sieg war eine massive Erleichterung“, sagte Verstappen nun nach dem freien Training.

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Leclerc wäre unendlich glücklich, wenn er diesen Satz am späten Sonntagnachmittag vortragen könnte, wenn er in der Fürstenloge nach seinem Befinden gefragt würde. Es ist an der Zeit für den WM-Herausforderer, den Sicherheitsabstand auf den Rivalen aus dem Bullenstall zu verringern und endlich zurückzuschlagen. Auf die Frage in einem Interview der französischen „L’Equipe“, ob er lieber in Monaco oder den WM-Titel gewinnen würde, entgegnete der 24-Jährige: „Ich kann mich nicht festlegen. Aber der Titel ist das Wichtigste. Den Titel, den will ich.“

Es gibt aber Hoffnung, der Ferrari-Fahrer erinnerte ans vergangene Jahr, als Ferrari kein siegfähiges Auto hatte – trotzdem eroberte er die Pole-Position, auch wenn es mit dem Rennen nichts wurde. „Ich bin ziemlich sicher, dass die Dinge jetzt in meine Richtung gehen“, sagte Leclerc vor dem sechsten Start in einem Formel-Auto in der Heimat. Er hatte schon ein Erfolgserlebnis: Im Oktober 2010 gewann Leclerc im Monaco-Kart-Cup, an jenem Wochenende wurde er 13 Jahre alt. Vielleicht müssen Grand Prix und Leclercs Geburtstag auf einen Tag fallen, damit der Fluch ruht. Das Formel-1-Rennen müsste dafür auf den 16. Oktober verlegt werden.