LNG-Terminal im Hafen von Rotterdam (Archivbild). Foto: imago//ANP

Russisches Erdgas kommt kaum noch via Pipeline nach Europa, dafür aber zunehmend als Flüssiggas. Das legen Daten nahe. Teile des russischen LNG dürften auch nach Deutschland gelangen.

Es klingt nach einer simplen Gleichung: Je mehr Flüssiggas Europa per Schiff importieren kann, desto weniger ist man auf russisches Erdgas angewiesen. Das ist der Grund, warum an Deutschlands Küsten bereits drei schwimmende Flüssiggas-Terminals ankern und warum auch andere europäische Länder im vergangenen Jahr mehr Flüssiggas (LNG) eingekauft haben. Doch ganz so einfach ist die Rechnung offenbar doch nicht, wie Zahlen des Datenunternehmens ICIS zeigen.

Die Auswertung von Lieferdaten von Flüssiggas-Tankern legt nahe, dass im Jahr 2022 immer noch Teile des LNG, das an europäischen Terminals ankam, aus Russland stammten – und dass Russland seine Liefermengen in Richtung Europa sogar steigern konnte.

Russische LNG-Lieferungen in mehrere europäische Länder

So erreichten laut ICIS im vergangenen Jahr etwa 14,5 Millionen Tonnen russisches LNG Häfen in der EU und Großbritannien. 2021 seien es noch etwa zwei Millionen Tonnen weniger gewesen. Der prozentuale Anteil von russischem LNG sank laut den Daten jedoch von 19 auf 13 Prozent, weil im Jahresvergleich insgesamt deutlich mehr LNG nach Europa verschifft wurde, besonders aus den USA. In den Monaten November und Dezember 2022 verzeichnete ICIS dabei die höchsten russischen Liefermengen der beiden vergangenen Jahre.

Im Vereinigten Königreich kamen laut ICIS seit April 2022 keine russischen LNG-Lieferungen mehr an. Hauptziele waren zuletzt, im Dezember 2022, vor allem Belgien, Frankreich und Spanien. Belgien zählt für Deutschland nach dem Wegfall von russischem Gas über die Pipeline Nord Stream 1 zu den drei wichtigsten Gaslieferanten. „Die Pipeline-Exporte von Belgien nach Deutschland sind 2022 stark gestiegen“, sagt Andreas Schröder, Leiter Marktanalyse bei ICIS. „Das spricht dafür, dass die gestiegenen LNG-Importe zum Teil auch weitergeleitet werden.“

So sei es möglich, dass russisches LNG letztlich auch nach Deutschland gelange – auch wenn sich ein bestimmtes Gasmolekül nicht mehr genau zurückverfolgen lässt, sobald das extrem gekühlte Flüssiggas wieder in den gasförmigen Zustand gebracht und in das europäische Gasnetz eingespeist wurde. Das Bundeswirtschaftsministerium bestätigt auf Anfrage, es könne „prinzipiell“ sein, dass russisches LNG an europäischen Terminals anlande.

Wesentlich größere Verluste beim Pipeline-Gas

Die Lieferungen bedeuten Einnahmen für russische Gasexporteure. Dennoch betont Schröder, dass die Menge an LNG aus Russland aus seiner Sicht keine Abhängigkeit darstellt: „Das ist verschwindend gering im Vergleich dazu, was Gazprom verloren hat.“ Tatsächlich lieferte Russland vor dem Angriff auf die Ukraine noch wesentlich mehr Gas via Pipeline nach Europa.

Daten des Thinktanks Bruegel zeigen, dass die vier wichtigsten Pipeline-Verbindungen aus Russland zu Anfang Januar 2021 noch rund 47 Prozent des gesamten wöchentlichen Gasimports – einschließlich LNG – in die EU ausmachten. Nach dem russischen Überfall stoppte der russische Energiekonzern Gazprom dann zuerst die Lieferungen über die Jamal-Pipeline durch Polen und später durch Nord Stream 1 nach Deutschland. Zu Beginn des Jahres 2023 fließt noch durch die Ukraine und die Türkei russisches Pipelinegas Richtung EU – und macht dabei nur einen Anteil von rund sieben Prozent aus.

Beliefert Russland auch deutsche LNG-Terminals?

So lange keine Sanktionen europäische Gasunternehmen daran hindern, russisches LNG einzukaufen, zeichnet sich auch kein Ende der LNG-Lieferungen ab. Doch bedeutet das, dass auch an den neuen deutschen LNG-Terminals bald Schiffe mit russischem Gas anlegen? Das Bundeswirtschaftsministerium lässt wissen, dass die Unternehmen für die Lieferungen verantwortlich seien, man habe keinen Einblick in die Verträge. „Aber RWE, Uniper und VNG, die das erste Terminal in Wilhelmshaven beliefern, haben zugesichert, kein russisches Gas zu kaufen“, so eine Sprecherin. Der Betreiber des Terminals Lubmin in Mecklenburg-Vorpommern teilte mit, die langfristigen Lieferverträge mit Total Energies und Met Group sähen kein Flüssiggas aus Russland oder den USA vor.

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