Einen ähnlichen artistischen Akt wie dieser Bauarbeiter (im Hintergrund die Grabkapelle auf dem Württemberg) müssen auch die Fellbacher Verantwortlichen bewältigen Foto: Renate Venier

Die Zinswende bestimmt auch in Fellbach die Planung der kommenden Jahre. Immerhin: 104 Millionen Euro an Investitionen sind bis 2026 für Schulen, Kindergärten, Straßen oder auch fürs neue Feuerwehrhaus vorgesehen.

Pessimistische Prognosen, düsterste Zukunftsszenarien, Untergangsstimmung – es gäbe viele Gründe, sich in diesen schwierigen von Krieg, Flüchtlingshoch, Energiekrise, Pandemie, Fachkräftemangel geprägten Zeiten hinunterziehen zu lassen. Das gilt auch für die Strategen in den Rathäusern des Rems-Murr-Kreises. Fellbachs Oberbürgermeisterin Gabriele Zull beschrieb dieses ganze düstere Konglomerat bei der Etateinbringung treffend mit dem Begriff „Polykrise“ oder „multiple Krisen“. All diese Themen belasten die kommunale Familie mehr denn je. Zulls ebenso origineller wie bitterer Kommentar: „Der Doppel-Wumms des Kanzlers zeichnet sich bei uns im Haushalt als multipler Donnerschlag ab.“

„Ganz sicher kein Stillstand!"

Und doch wollen die Verantwortlichen trotz aller trüber Aussichten und dauerhaft tagenden Krisenstäbe keine Untergangsstimmung verbreiten. Der Fahrplan bis zum Jahr 2026, der sich in dem Haushalt widerspiegelt, soll den Menschen in der Stadt zumindest eine gewisse Orientierung bieten, was möglich ist in naher Zukunft. „Wir können und werden nicht alle Pläne ad acta legen, die wir in den vergangenen Jahren mit Ihnen zusammen auf den Weg gebracht haben“, erklärte die OB im großen Sitzungssaal gegenüber den versammelten Stadträtinnen und Stadträten, „dafür stehen wir bei den Bürgerinnen und Bürgern im Wort.“ Die Verwaltung werde „auch nicht die Hände in den Schoß legen, unsere Substanz verfallen lassen und den Klimawandel einfach kommen lassen“, auch hierzu sei man der Bürgerschaft verpflichtet. Generell gefragt: „Heißt dies Stillstand? Nein, ganz sicher nicht“, versichert Zull. Denn „wir können es uns gar nicht leisten, die Zukunftsaufgaben nicht anzugehen: Klimaschutz, Digitalisierung, Transformation, Dekarbonisierung – wo wollen Sie sparen, was wollen Sie weglassen?“ Und Zull stellte weitere Fragen: „Wie wollen Sie eine resiliente Stadtplanung umsetzen, ohne dafür Geld auszugeben? Wie Zisternen bauen, Stadtbegrünung forcieren oder neue Technologien erwägen – ohne dafür Haushaltsmittel einzustellen? Wie einen Kindergartenbau kalkulieren, ohne dass der Bauträger sichere Kosten angeben kann?“

Rems-Murr-Protest findet bundesweit Gehör

In diesen schwierigsten Zeiten seit dem Zweiten Weltkrieg, wie es oft heißt, bleibt auch in Fellbach nur das von Zull vorgegebene Motto: „Auf Sicht fahren!“ Dies sei insbesondere auch eine Folge der permanenten Aufgabenübetragungen durch höhere Ebenen, etwa Vorgaben durch den Bund, für die aber nicht entsprechend Geld bereitgestellt wird. Immerhin, der Schulterschluss der Oberbürgermeister der Großen Kreisstädte an Rems und Murr unter Federführung von Gabriele Zull als bisherige Sprecherin dieses OB-Sprengels habe „bundesweit Gehör gefunden“, so ihre Einschätzung.

Dabei kommt Fellbach aktuell noch gut weg. Denn durchaus erleichtert werden die Haushaltsberechnungen durch die sprudelnden Gewerbesteuereinnahmen. Über das Rekordergebnis von 46 Millionen Euro – 17 Millionen mehr als im vergangenen Jahr – zeigt sich Zull ebenso erfreut wie Finanzdezernent Johannes Berner. „Die Einnahmen sind das Rückgrat unserer Planungen.“

Jeder fünfte Euro für Schulen und Kindergärten

Der weitere Ausbau des Kindergartenangebots, ein Sanierungsplan für die Fellbacher Sporthallen mit dem Bau einer neuen Trainingshalle oder die Erschließung des Gewerbegebiets Siemensstraße – viele der im Haushalt 2023 aufgeführten Projekte stellen „die Stadt zukunftssicher auf“, so Oberbürgermeisterin Gabriele Zull. Bis 2026 seien derzeit insgesamt 104 Millionen Euro beispielsweise für Schulen, Kindergärten, Straßen oder auch das Feuerwehrhaus vorgesehen. „Fast jeden fünften Euro geben wir für Schulen und Kindergärten aus“, betonte OB Zull. Auch der Brandschutz – also der Ausbau der Feuerwehrhäuser Schmiden und Oeffingen sowie der Neubau des Feuerwehrhauses in der Kernstadt Fellbach sowie die technische Ausrüstung der Lebensretter – schlage mit mehr als 30 Millionen Euro zu Buche. Um die Aufgaben zu stemmen, will die Kommune im Jahr 2023 rund 20 Millionen Euro neue Schulden aufnehmen.

Zinsen und Schulden

Im tiefen Rot
Der gravierendste Einzelfaktor, der den Fellbacher Verantwortlichen bei der Finanzplanung zu schaffen macht, „ist zweifellos der Anstieg der Zinskonditionen“, erläuterte der Erste Bürgermeister Johannes Berner bei der Einbringung des knapp 193 Millionen Euro umfassenden Zahlenwerks. Dies sowie die hohen Energiepreise und die Immobilienpreise, genauer: die Baupreise, hinterlassen ihre Spuren in der Aufstellung des Haushalts. Die Stadt rechne für 2023 mit einem „tiefroten“ Ergebnis von minus 7,85 Millionen Euro. Die Differenz könne durch die vorhandenen Rücklagen ausgeglichen werden, die sich aber bis 2026 fast aufbrauchen.

Aus den Angeln
Erfreulich ist einerseits, dass die Tilgung der Darlehen fürs F3-Kombibad planmäßig läuft und mittlerweile bei lediglich zehn Millionen Euro liegt. Andererseits geht die Gesamtverschuldung „rechnerisch weiterhin steil nach oben“, so Berners Schreckensszenario. Die Nettoneuverschuldung käme auf 81 Millionen, die gesamte Verschuldung bis 2026 auf knapp 124 Millionen. Dass dies nicht eintritt, sei auch Aufgabe der Haushaltsstrukturkommission. Denn, so Berner: „Angesichts der Zinsentwicklung ist der Anstieg in diesem Umfang nicht darstellbar, er würde die finanzielle Leistungsfähigkeit unserer Stadt aus den Angeln heben.“