Ich will ohne Angst leben – steht auf diesem Schild. Das Bild stammt aus dem Dokumentarfilm „Vivas“ – Die Regisseurin zeigt von Frauenmorden betroffene Familien und die derzeit laute Frauenbewegung in Mexiko. Foto: Cinelatino

Seit 1993 zeigt das Cinelatino Filme aus lateinamerikanischen Ländern in Tübingen. Und mittlerweile nicht nur dort. Auch in Stuttgart, Freiburg und Reutlingen. Im 30. Jubiläumsjahr bekommt das Festival eine neue Leiterin. Filmisch dreht sich vieles um Ungerechtigkeiten, Gewalt, Politik und Emotionen.

Wer in die Welt des spanischsprachigen Films eintauchen will, ist beim Cinelatino richtig. Seit 30 Jahren widmet sich ein wechselndes Team der Erarbeitung der spanischsprachigen Filmtage. Gründer und Erfinder des Cinelatino ist Paulo de Carvalho. Der gebürtige Brasilianer, den nichts aus der Ruhe zu bringen scheint, sichtet Jahr für Jahr auf Festivals in der ganzen Welt Filme für sein Cinelatino in Tübingen und mittlerweile auch in Stuttgart, Freiburg und Reutlingen. Von diesem Jahr an führt er das Festival jedoch nicht länger allein: Als Co-Leiterin steigt die 29-jährige María Vallecillos Soldado ein. „In Zukunft soll das Festival jünger und weiblicher werden“, so de Carvalho. Außerdem soll es noch mehr Aktionen im Zusammenhang mit dem Kino geben.

Katalonien, Mexiko und lateinamerikanische Rechtssysteme im Fokus

1993 startete alles mit rein brasilianischen Filmen, erzählt er. „Da das Programm ein Erfolg war, haben wir begonnen, auch Filme aus anderen spanischsprachigen Ländern Lateinamerikas zu zeigen. Erst 10 Jahre später haben wir Spanien in das Programm aufgenommen“, sagt er. Seitdem sind Cinelatino und Cineespañol im Festival vereint.

In diesem Jahr, passend zum 30-jährigen Bestehen, sind 30 Spielfilme und 10 Kurzfilme im Programm. Verbindendes Thema vieler Filme ist, dass es um Gerechtigkeit oder treffender, um Ungerechtigkeiten geht. Etwa wenn in der Rubrik spanischer Filme dieses Mal mit dem Schwerpunkt auf Katalonien in „20 000 especies de abejas“ (dt. 20 000 Bienenarten) ein Kind mit der ihm zugeschriebenen geschlechtlichen Identität zu kämpfen hat. Für ihre Rolle als Lucía/Aitor wurde die neunjährige Sofía Otero auf der diesjährigen Berlinale mit dem Silbernen Bären als beste Schauspielerin in der Hauptrolle ausgezeichnet. Ebenfalls hochgelobt: der Politthriller „Pacifiction“ des katalanischen Regisseurs Albert Serra. Der Film spielt vor der malerischen Kulisse Tahitis, wo ein Lebemann und Hochkommissar Frankreichs seltsame Vorgänge und Gerüchte um Atomtests auf der Insel untersucht – dabei geht es auch um postkoloniale Spuren.

Gewalt, Unterdrückung und Gegenwehr

Vom Schwerpunkt Katalonien in Spanien zum Länderschwerpunkt Mexiko. Hier zeigt das Festival den Dokumentarfilm „Vivas“, deren Regisseurin Angélica Cruz Aguilar in Stuttgart zum Gespräch anwesend sein wird. Sie beleuchtet die aktuelle Frauenbewegung Mexikos, die jährlich rund 4000 Femizide und Zehntausende verschwundene Menschen in ihrem Heimatland nicht länger hinnehmen will.

Spielfilme aus Mexiko und Kurzfilme runden den Länderschwerpunkt ab. Zum Themenfokus Rechtssysteme in Lateinamerika bietet der Spielfilm „Blanquita“ von Fernando Guzzoni einen tiefen Einblick in die jüngere Geschichte Chiles, und dessen Umgang mit hochrangigen Pädophilen, gegen die eine Kronzeugin sich aufmacht zu kämpfen. Der Film orientiert sich an wahren Missbrauchsfällen, die 2003 in Chile aufgedeckt wurden.

Um Beziehungen zwischen Kindern und Erwachsenen dreht sich auch die Coming-of-Age Geschichte „Tengo sueños eléctricos“ aus Costa Rica, in der ein Vater und seine Tochter eine enge Beziehung zwischen Zuneigung und Gewalt durchleben. Aus Mittelamerika laufen außerdem Filme aus Bolivien, Guatemala und Kolumbien, mehrere Filme aus Kuba, unter anderem Kurzfilme, sowie Werke aus Argentinien und Brasilien.

Zudem schaut das Festival in einer Retrospektive auf Lieblingsfilme aus den letzten 30 Jahren.

Und wie sieht der Blick nach vorn eines Spartenfestivals in Zeiten von Streaming und schneller Sprachauswahl auf den Plattformen aus? De Carvalho ist optimistisch, vor allem weil sich der Stellenwert des lateinamerikanischen Films auf den wichtigsten Filmfestivals gewandelt hat und diese dort regelmäßig vertreten sind. Außerdem: „In den baden-württembergischen Schulen wird Spanisch zunehmend als zweite Fremdsprache eingeführt und hat Französisch überholt. Natürlich folgen die Streamingdienste diesen Trends und haben ein großes Angebot an spanischsprachigen Filmen.“ Mit diesen Aussichten kann das Cinelatino bestens in die nächsten drei Jahrzehnte starten.

Termine Cinelatino in Tübingen und Stuttgart

Stuttgart
Delphi Kino 4.-10. Mai, Eröffnungsfilm „Una película sobre parejas“, 4. Mai, 20 Uhr, Abschlussfilm „Utama“, 10. Mai, 20 Uhr .

Tübingen Kino Museum 2 und Studio Museum und 3.-10. Mai, Eröffnungsfilm „Una película sobre parejas“, 3. Mai, 19.30 Uhr, Abschlussfilm „Adiós Buenos Aires“, 10. Mai, 20.30 Uhr.

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