In Tübingen protestierten die Eltern gegen die Pläne – sie wurden trotzdem umgesetzt. Foto: Privat

Tübingen reduziert massiv sein Angebot an Ganztagsplätzen in Kitas, in Offenburg sollen die Malteser nachmittags Kitakinder betreuen. Müssen sich Eltern nach Jahren des Ausbaus und der Betreuungsplätze überall darauf einstellen, dass Kitaangebote wegfallen?

Nur noch ein oder zwei Kitas bis 17.30 Uhr in der ganzen Stadt, je eine Einrichtung pro Nachbarschaft, die bis 16.30 Uhr aufhat. So wird Tübingen ab September sein Kitasystem aufstellen. Das hat der Gemeinderat am Montagabend entschieden. Der Schritt ist notwendig, weil in Tübingen jede zehnte Stelle in Kitas unbesetzt ist und derzeit gut 350 Plätze nicht belegt werden können. Oberbürgermeister Boris Palmer sagt, dass man so den Mindestpersonalschlüssel garantieren und die Öffnungszeiten, die derzeit schwanken, für Eltern wieder verlässlich machen will.

Diese sind allerdings alles andere als zufrieden. Die Gemeinderatssitzungen zu dem Thema wurden in den vergangenen Wochen von Eltern-Kind-Demos begleitet. Der Gesamtelternbeirat befürchtet, dass durch das reduzierte Angebot Eltern weniger arbeiten können, vor allem Mütter, die häufiger als Väter für die Kinderbetreuung beruflich zurücksteckten, sagt Vorsitzende Maria Tiede.

Eltern müssen Arbeitszeiten nachweisen

Die Eltern kritisieren auch, dass die Vergabe der Plätze in Zukunft an die tatsächliche Erwerbsarbeitzeit der Eltern gekoppelt sein soll. Sie müssen nachweisen, wie lange sie arbeiten. Daran bemisst sich, wie viele Stunden Kinderbetreuung sie bekommen.

Laut Benjamin Lachat, Dezernent für Familie und Soziales beim Städtetag, müssen sich Eltern auch in anderen Gemeinden auf ähnliche Einschnitte einstellen. „Das ist die bittere Wahrheit, die Personalnot wächst überall.“ Laut einer Studie fehlen bis 2030 im Land 40 000 Fachkräfte. Ein weiterer Ausbau an Kitaplätzen sei derzeit „schlicht nicht möglich“. Um so vielen Kindern wie möglich eine Betreuung anbieten zu können, müssten sich alle mit kürzeren Zeiten arrangieren. Er weiß, dass viele Gemeinden „bald an dem Punkt sind“, wo sie nicht nur temporär Öffnungszeiten kürzen, sondern das ganze System umstrukturieren müssen.

Offenburg arbeitet mit Maltesern zusammen

Tatsächlich häufen sich die Meldungen aus Kommunen, die umsteuern. In Schorndorf beschloss der Gemeinderat im Dezember, dass Kinder nur noch maximal 40 anstatt 50 Stunden betreut werden können. Auch in Karlsruhe wurden die Öffnungszeiten reduziert. In Offenburg erprobt die Stadt nun ein Konzept, in dem die Fachkräfte sieben Stunden da sind, nachmittags übernehmen die Malteser stundenweise die Betreuung. Auch in Tübingen will man am späten Nachmittag teils mit Eltern oder Studenten arbeiten, die mit den Kinder spielen oder Sport- und Musikangebote machen.

Für Anja Braekow vom Fachkräfteverband Kita sind solche Modelle derzeit die „einzige Lösung“, um aus der „Abwärtsspirale der Mangelwirtschaft“ herauszukommen, in der immer mehr Erzieherinnen und Erzieher nicht mehr weitermachen wollen. Auch die Unsicherheit der Eltern, die jeden Tag bangen müssten, ob die Kita früher schließt oder einzelne Gruppen ganz zumachen, müsste enden. Sie plädiert dafür, für möglichst viele Kinder den Rechtsanspruch von sechs Stunden Betreuung pro Tag durch Fachkräfte zu garantieren – auch wenn sie als Kitaleiterin im badischen Rheinfelden weiß, dass viele Eltern längere Betreuungszeiten brauchen. „Meine Kita ist die einzige im Ort, die bis 17.15 Uhr auf hat. Derzeit haben wir 59 Kinder auf der Warteliste, nur für zwei habe ich einen Platz“, sagt Braekow.

In Stuttgart werden Gruppen vergrößert

Auch in der Landeshauptstadt weiß man um den Bedarf der Eltern. Eine Sprecherin sagt: „Aktuell sind keine grundlegenden Veränderungen in den Öffnungszeiten geplant.“ Um mit dem begrenzten Personal klarzukommen, hat der Jugendhilfeausschuss diese Woche beschlossen, eine Vergrößerung der Gruppen um bis zu zwei Plätze zuzulassen. So hofft man, trotz Personalnot 750 Kinder ab vier Jahren zu versorgen, die derzeit keine Kita besuchen können.

Die kirchlichen Träger in Stuttgart stehen zu den derzeitigen Öffnungszeiten. Die Eltern würden großteils die gebuchten langen Betreuungszeiten auch nutzen. Man verstärke die Maßnahmen zur Personalgewinnung, unter anderem mit mehr Ausbildungsplätzen, heißt es von evangelischer wie katholischer Seite. Allerdings könnte sich Jörg Schulze-Gronemeyer, zuständig für die evangelischen Kitas, vorstellen, dass Eltern für einen Ganztagsplatz von acht bis zehn Stunden einen Arbeitgebernachweis bringen müssen – wie es Tübingen macht.

Städtetag: „Wir brauchen maximale Freiheit“

Clemens Weegmann vom Deutschen Kitaverband, der die privaten Träger vertritt, sagt, dass es zukünftig aber auch nicht sein darf, dass Eltern nur noch für die Zeit, die sie im Büro verbringen, Anspruch auf Betreuung haben. Es gäbe ja auch Fahrtwege und unvorhergesehene Termine. Die Themen Bildungsgerechtigkeit und Vereinbarkeit müssten ausbalanciert werden.

Um für Kinder, Eltern, Erzieherinnen und Städte das Beste herausholen zu können, fordert Benjamin Lachat vom Land maximale Freiheiten für die Kommunen, damit diese das für sie passende und mögliche Kitaangebot schaffen können. Etwa, was Gruppengrößen, Räume oder den Einsatz von Zusatzkräften anbelangt. „Salopp formuliert, sollten die Beteiligten vor Ort machen dürfen, was sie wollen, solange alle, also Gemeinderat, Träger, Erzieher und Eltern zustimmen“, sagt Lachat.