Das Rentenalter sollte steigen, meint Hubertus Heil (SPD). Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

In Anbetracht des Mangels an Fachkräften appelliert der Bundesarbeitsminister an die Firmen, auch Mitarbeiter über 60 Jahren einzustellen.

Ende November war von Kritik keine Spur. Damals legte Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) einen Bericht zur „Rente mit 63“ vor und lobte auch die Unternehmen: „Betriebe, Sozialpartner und Politik haben längst erkannt, dass auch ältere Erwerbstätige leistungsfähig und motiviert sind.“ Das trage dazu bei, dass heute gut 60 Prozent der 60- bis 65-Jährigen eine sozialversicherungspflichtige Stelle hätten. Dieser Wert sei dreimal höher als im Jahr 2000, erklärte Heil: „Angesichts der Verknappung des Fachkräfteangebots liegt es im Eigeninteresse der Betriebe, die Arbeits- und Beschäftigungsfähigkeit ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu sichern.“

Der Durchschnitt geht mit 64 in Rente

Jetzt, keine vier Wochen nach der Veröffentlichung des Berichts, wirft Heil den Arbeitgebern kurzsichtiges Handeln vor. „Dass viele Unternehmen Menschen über 60 nicht mehr einstellen, ist eine Haltung, die wir uns (…) nicht mehr leisten können“, so Heil in der „Bild am Sonntag“.

Genaue Angaben zu den Jobchancen von Älteren hat die Bundesagentur für Arbeit zwar nicht, weil sie bei den „begonnenen sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen“ nicht auf die Gruppe ab 60 Jahren, sondern auf die 55- bis 65-Jährigen abstellt. Auch dort zeigt sich aber ein Anstieg. Entfielen 2019 gut sieben Prozent aller Neueinstellungen auf die über 55-Jährigen, waren es 2021 mit insgesamt knapp 915 000 Neueinstellungen mehr als 10 Prozent. Zugleich waren 2021 im Jahresdurchschnitt 611 000 Personen aus der Ü55-Gruppe arbeitslos gemeldet.

Trotz Heils Kritik an den Arbeitgebern: Dass es Deutschland heute viel besser gelingt, Ältere im Job zu halten, steht fest. Die Fortschritte seien „sehr beeindruckend“, heißt es in dem Bericht vom 30. November. Bei den 60- bis 64-Jährigen hat sich die Erwerbstätigenquote seit dem Jahr 2000 um 40 Prozentpunkte erhöht – in der EU erreichen nur Bulgarien und die Niederlande ein höheres Plus. Im Jahr 2021 lag das durchschnittliche Alter, in dem jemand in Deutschland in Rente ging, bei den Frauen bei 64,2 Jahren, bei den Männern bei 64,1 Jahren.

Arbeiten bis zum Siebzigsten?

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und seinem Arbeitsminister wäre es angesichts des Mangels an Arbeits- und Fachkräften nur lieb, wenn die Beschäftigten noch länger im Job blieben. Denn fraglos wird sich der Mangel verschärfen, wenn in den kommenden Jahren Millionen Babyboomer das Rentenalter erreichen. Er lehne zwar die in der Öffentlichkeit zuweilen debattierte „Rente mit 70“ ab, so Heil. Aber: „Das tatsächliche Renteneintrittsalter muss steigen.“

Dass die SPD mit der so genannten Rente mit 63 einen gegenteiligen Effekt bewirkt hat, streitet Heil ab. Die Rente mit 63 habe den „allgemeinen Trend zu einer höheren Erwerbsneigung von älteren Beschäftigten in der Tendenz nur vorübergehend etwas abgeschwächt“. Richtig ist, dass die Abkehr von der abschlagsfreien Rente mit 63 längst begonnen hat. Die 1964 Geborenen, die 45 Jahre lang in die Rentenkasse einzahlten, können erst mit 65 ohne Abschläge aus dem Berufsleben ausscheiden. Allerdings ändert der schrittweise Anstieg von 63 auf 65 nichts an der Entwicklung der vergangenen Jahre. Seitdem die Rente mit 63 im Jahr 2014 eingeführt wurde, haben sie fast zwei Millionen Bürger genutzt.

Unbegrenzter Zuverdienst

Auch wenn Scholz und Heil erreichen wollen, dass das Rentenalter steigt, können Beschäftigte weiterhin vor dem Erreichen ihrer Altersgrenze aussteigen. Dabei werden zwar Abschläge fällig – seit einigen Jahren nimmt dies aber fast jeder vierte Neu-Rentner in Kauf. Möglicherweise werden es schon bald mehr. Denn ab 2023 macht die Ampel-Koalition eine Kombination aus neuem Job und Rente attraktiver: Dann darf jeder, der vorzeitig seinen alten Job an den Nagel hängt, unbegrenzt zur Rente hinzuverdienen.