Der Po ist stellenweise nur noch ein Rinnsal. Foto: Imago//Manuel Romano

Die Trockenheit in Italien wird immer dramatischer. Der größte Fluss des Landes, der Po, ist stellenweise nur noch ein Rinnsal, die Erde wird zur Wüste. In der Landwirtschaft drohen Schäden in Milliardenhöhe, am Gardasee tobt ein Streit ums Wasser.

Die Verzweiflung der Bauern in der Po-Ebene lässt auch höchste kirchliche Würdenträger nicht unberührt: Der Mailänder Erzbischof Mario Delpini hat gleich in mehreren Kirchengemeinden seiner Diözese Gottesdienste gehalten, um „für das Geschenk des Wassers und für einen weisen Umgang mit diesem lebenswichtigen Element“ zu beten. Auch andere Priester haben in den besonders von der Hitze und Dürre betroffenen Regionen Piemont, Lombardei und Emilia-Romagna mit den Gläubigen Prozessionen durchgeführt – auf dass es der Himmel endlich wieder einmal regnen lasse.

Bisher blieben die Fürbitten ohne Erfolg. Die Gewitter, die in den vergangenen Abenden über Teilen Norditaliens vereinzelt niedergingen, führten keine Beruhigung der Lage herbei: Ganz Italien und insbesondere die Po-Ebene werden von einer Trockenheit und Hitze heimgesucht, wie sie seit mindestens acht Jahrzehnten nicht mehr vorgekommen ist. Seit Anfang des Jahres sind nur 40 bis 50 Prozent der normalen Regenmenge gefallen; im Piemont hat es seit Anfang Dezember nicht mehr richtig geregnet. Im Winter ist in den italienischen Alpen außerdem weniger als ein Drittel der üblichen Schneemenge registriert worden. Mit anderen Worten: Auch die Schneeschmelze ist längst vorbei; in den Bergen liegt kein Schnee mehr, der die Flüsse speisen könnte.

Salzwasser sickert ins Grundwasser

Der größte Fluss des Landes, der Po, führt weniger als 20 Prozent der Ende Juni üblichen Wassermenge, zahlreiche Zuflüsse sind fast vollständig ausgetrocknet. An einigen Stellen ist der „Grande Fiume“ nur noch ein Rinnsal, Satellitenaufnahmen zeigen die freigelegten Sandbänke.

Weil der Pegel des Flusses tiefer liegt als der Meeresspiegel, fließt Salzwasser im Flussbett inzwischen mehr als zwanzig Kilometer ins Landesinnere und dringt in die Felder und in das Grundwasser ein. Die Folge davon schildert Giancarlo Mantovani, Direktor des Unterhaltskonsortiums des Po-Deltas: „Im Umkreis von 200 Metern des Flusslaufs wächst nichts mehr; die Erde ist zur Wüste geworden.“ Wegen des Einsickerns von Salzwasser ins Grundwasser sei es nur eine Frage der Zeit, „bis aus den Wasserhähnen Salzwasser fließt“.

Nicht besser sieht es im oberen Flusslauf aus, im Piemont. „Glauben Sie mir, ich übertreibe nicht: Wir erleben hier eine Katastrophe biblischen Ausmaßes“, sagt der Landwirt Giuseppe Casalone, dessen Betrieb einige Kilometer südlich von Novara liegt. Der größte Teil seiner Produktion ist so vertrocknet, dass nun auch Regen nicht mehr helfen würde: Die Jungpflanzen sind bereits abgestorben. Und die trockensten und heißesten Monate des Jahres, der Juli und der August, stehen noch bevor.

In der Po-Ebene ist rund 40 Prozent der italienischen Landwirtschaftsproduktion konzentriert. Laut behördlichen Schätzungen dürften die Ernteausfälle teils dramatisch werden: 80 Prozent bei den Zuckerrüben, 50 Prozent bei Soja und 25 bis 30 Prozent bei Mais und Getreide. Und das in einem Jahr, in dem die Lieferungen aus der Ukraine ganz oder teilweise ausbleiben. Mit am meisten leiden die Reisbauern: „Wenn es nicht sehr bald regnet, gibt es ein Desaster“, betont Paolo Carrà, Präsident der Reisproduzenten von Novara, Biella und Vercelli im Piemont. In dieser Jahreszeit müssten die Reisfelder eigentlich geflutet werden, was angesichts des dramatischen Tiefstands der Flüsse derzeit kaum möglich sei. Er rechnet mit Ernteausfällen von 50 bis 70 Prozent. Nicht besser sieht es bei der Ernte von Früchten und Gemüsen aus. Laut dem Kleinbauernverband Coldiretti drohen Milliardenschäden – und weitere Preiserhöhungen bei den Lebensmitteln.

Attilio Fontana, Präsident der Lombardei, hat bereits den Notstand verhängt – die gleiche Maßnahme haben auch seine Kollegen im Piemont und in der Emilia-Romagna ergriffen. Die Gouverneure fordern von der Regierung in Rom, den Notstand auch auf nationaler Ebene auszurufen, damit die Hilfsmaßnahmen unter den Regionen besser koordiniert werden könnten. Der nationale Zivilschutzchef Fabrizio Curcio erklärte diese Woche, dass die Arbeiten an einem Notfallplan auf Hochtouren liefen und der landesweite Notstand bald verhängt werden könnte. „Dann ist nicht auszuschließen, dass das Wasser in den am schwersten betroffenen Regionen auch tagsüber rationiert werden muss“, betonte Curcio.

Auch der Gardasee leidet unter der Trockenheit. Der Wasserstand sei derzeit etwa einen halben Meter niedriger als vor einem Jahr, sagte Pierlucio Ceresa vom Verband der Gemeinden am Gardasee. Auf das Baden im See habe das allerdings keine Auswirkungen. Ceresa mahnte jedoch, vor dem Springen in den See etwa von Felsen, die Tiefe zu prüfen.

Es fehlt auch an Kühlwasser

Wegen der Trockenheit im Fluss Po gab es bereits die Idee, Wasser aus dem Gardasee zu entnehmen, immerhin handelt es sich beim Gardasee mit seinem Fassungsvermögen von 50 Milliarden Kubikmetern um das größte Wasserreservoir Oberitaliens. Während Meuccio Berselli, Leiter der Regulierungsbehörde für den Po, von den Gardasee-Gemeinden „Kollegialität und Zusammenarbeit“ fordert, wehren sich diese gegen das Ansinnen. „Wir müssen unsere Schifffahrt und die Fische schützen und gleichzeitig sicherstellen, dass die Bauern rund um den See auch im August noch ihre Kulturen bewässern können“, betont Pierlucio Ceresa, Geschäftsführer des Gemeindeverbands Garda. Außerdem bringe der um 30 Kubikmeter pro Sekunde erhöhte Abfluss dem Po gar nichts: „Der Fluss bräuchte im jetzigen Zeitpunkt mindestens 500 zusätzliche Kubikmeter pro Sekunde. Das Einzige, was wir mit der Öffnung der Schleusen erreichen, ist, dass nach dem Po auch noch der Gardasee krank wird.“

Die Wasserknappheit des Po hat auch Auswirkungen auf die Stromversorgung: Weil es an Kühlwasser fehlt, musste bei Mantua bereits eines von drei Gaskraftwerken vom Netz genommen werden. Das weckt Erinnerungen an den „großen Blackout“ von 2003, das ebenfalls ein extremes Dürrejahr war: Damals mussten – allerdings erst im September und nicht schon im Juni – gleich mehrere thermische Kraftwerke außer Betrieb gesetzt werden, weil sie nicht mehr gekühlt werden konnten. Dann stürzte während eines Gewitters in den Schweizer Alpen ein Baum auf eine wichtige Hochspannungsleitung, die Italien mit Importstrom versorgte – und in der Folge gingen wegen des plötzlichen Spannungsabfalls in einer Kettenreaktion von Turin bis Palermo in ganz Italien die Lichter aus.