Ehrenamtliche könnten verstärkt Gottesdienste leiten. Foto: Christoph Schmidt/dpa

Nicht nur die Finanzen drücken, auch der Nachwuchsmangel macht der evangelischen Kirche zu schaffen. Im Kreis Ludwigsburg sorgen sich die Randgemeinden.

Als Pfarrer hat Markus Haag im Gronau im Bottwartal seine Heimat gefunden. Der Seelsorger arbeitet seit 15  Jahren in der evangelischen Kirchengemeinde Gronau und Prevorst. Mit seiner Frau und den vier Kindern will er dort bleiben. „Es passt einfach zwischen der Kirchengemeinde und uns.“ Am Horizont sieht er jedoch dunkle Wolken aufziehen. „Der Pfarrplan 2030 wird uns mit Sicherheit treffen.“ Jede vierte Stelle wird bis dahin abgebaut.

Der Pfarrplan gilt als grausam, er wird die evangelische Kirche auch im Landkreis Ludwigsburg viel stärker als bisher verändern. Nicht nur fehlendes Geld aus Steuern zwingt zu Stellenkürzungen, sondern auch ausbleibender Nachwuchs: Immer mehr Babyboomer unter den Pfarrern gehen in den Ruhestand. Zudem hält der demografisch bedingte Schwund von Gemeindemitgliedern an. Vielerorts treffen sich sonntags in der Regel nur noch rund 20 Christen.

Jede Kirchengemeinde muss irgendwann bluten

Ein Pfarrplan ist ein bisschen Segen, aber vor allem Fluch. Die Evangelische Landeskirche Württemberg baut mit ihm im Abstand von sechs Jahren Stellenanteile in den Kirchengemeinden ab. Entlassen wird keiner der Pfarrer, aber sie verdienen unter Umständen weniger, wenn sie bleiben. Ein bisschen Segen ist der Plan hingegen, weil der Stellenabbau geregelt abläuft: Jede Kirchengemeinde muss mal bluten, es gibt also einen halbwegs gerechten Ausgleich in der Fläche – auch wenn es in einer größeren Stadt wie Ludwigsburg leichter fällt, sich bei Engpässen untereinander zu helfen, als in abgelegenen Gegenden wie im Stromberg oder im oberen Bottwartal. Ein Trost bleibt den Mitarbeitern durch den Vorlauf bis zum Jahr 2030: Sie haben genügend Zeit, an einem anderen Ort neu anzufangen. Rund 90 Stellen hält die Landeskirche dafür ständig frei.

Markus Haag war vor vier Jahren schon einmal betroffen. Er sollte nur noch zu 75  Prozent für die 1100-Gemeindeglieder in Gronau und dem fünf Kilometer entfernten Prevorst tätig sein – aber der Pfarrer hatte Glück. Eine Fusion mit der Nachbargemeinde in Oberstenfeld scheiterte, und der Evangelische Kirchenbezirk Marbach teilte ihm 25 Prozent für die Krankenhausseelsorge in Marbach zu. Das Hospital ist inzwischen geschlossen: Haag hilft in anderen Gemeinden aus und hält vor allem Trauerfeiern in Murr, wo die Pfarrstelle unbesetzt ist.

Ein Viertel der Pfarrstellen wird im Jahr 2030 wegfallen

Wie soll die Kirche Kräfte bündeln? Wegen des Pfarrermangels in einzelnen Orten Gottesdienste zu streichen, hält Markus Haag für den falschen Weg: „Wenn der Gottesdienst ausfällt, fällt die Gemeinde aus.“ Stattdessen sollten Ehrenamtliche die liturgischen Feiern gemeinsam gestalten. Die Landeskirche biete Crash-Kurse an: Laien lernten in nur drei Tagen einen Gottesdienst zu leiten. „Das war überfällig – bisher gab es nur die Prädikantenausbildung für ehrenamtliche Prediger, die Jahre dauert“, findet Haag. Bewegung gibt es aber auch in der Pfarrerausbildung, was Haags Vorgesetzter Ekkehard Graf, Dekan im Dekanat Marbach, gutheißt: „Erfreulicherweise erkennt die Landeskirche endlich auch Master-Abschlüsse an, die nicht an einer klassischen theologischen Fakultät erworben wurden.“ Graf will zudem im Dekanat Marbach das Gemeindediakonat aufwerten.

Offenbar gibt es aber auch andere Wege, die Lücken zu schließen. Und zwar in eher städtischen Gebieten. „Die Kirchgemeinden der Teilorte von Remseck und Freiberg haben sich jeweils zusammengeschlossen“, berichtet Michael Werner, Dekan für das Dekanat Ludwigsburg. In diesen bürgerlichen Kommunen gebe es nach wie vor Gottesdienste an jedem Sonntag, die Orte wechselten aber reihum. Auch ein Modell für die Kreisstadt? „In der Stadt Ludwigsburg decken wir noch alle Gottesdienste ab, aber das wird sich ändern“, sagt Werner. Mit den Pfarrern werde er sich im Januar darüber unterhalten, „wie wir weiter erkennbar Kirche sein können“. Ein wichtiges Stichwort seien Kooperationen. „Kollegen könnten etwa die Konfirmandenarbeit gemeindeübergreifend übernehmen.“ In der kirchlichen Jugendarbeit wird zum Teil schon so agiert. Das evangelische Jugendwerk und der CVJM coachen auf diese Weise Ehrenamtliche.

Eröffnen Bildschirm-Übertragungen neue Möglichkeiten?

Nicht über die Köpfe der Kirchengemeinden hinweg, sondern im Gespräch mit ihnen möchte Johannes Zimmermann, neuer Dekan für Ditzingen und Vaihingen/Enz mit Dienstbeginn im März 2023, Ideen für die Zukunft entwickeln. „Wir müssen vermeiden, dass Kirchengemeinden am Rand die Verlierer werden.“ Er sieht Pfarrer stärker als Coaches, die andere anleiten. „Das geht aber nur, wenn es in den Orten Menschen gibt, die bereit sind, sich zu engagieren.“ Ehrenamtliche könnten Gottesdienste organisieren. Fehle der Pfarrer, könnte die Predigt notfalls online übertragen werden.

Wie viele Gemeindemitglieder betreut ein Pfarrer?

Im Pfarrplan 2024
In reinen Gemeindepfarrstellen betreuen die Seelsorger derzeit durchschnittlich 1800 Mitglieder. Rechnet man noch die Klinik- und Pflegeheimstellen dazu, kommen 1450 Personen auf einen Pfarrer oder eine Pfarrerin. Diese Quote ist, so die Evangelische Landeskirche, auch das Ziel des Pfarrplans 2024 gewesen. Die Evangelische Landeskirche in Württemberg habe damit die beste Pastorationsdichte in Deutschland, teilt der Oberkirchenrat in Stuttgart mit. Die evangelische Landeskirche auf dem nächsten Platz betreue mit einer Pfarrperson etwa 2000 Gemeindeglieder, andere evangelische Landeskirchen seien längst bei knapp 3000 Gemeindegliedern. Auf katholischer Seite lägen diese Betreuungsschlüssel ohnehin viel höher.

Im Pfarrplan 2030 Der Betreuungsschlüssel wird sich laut Oberkirchenrat in den nächsten Jahren nicht wesentlich verändern. Auch wenn sich die Zahl der Pfarrstellen bis 2030 um etwa 24,7 Prozent auf etwa 1100 verringere, gehe die Landeskirche in Württemberg von konstanten Zahlen aus, da auch parallel die Zahl der Gemeindeglieder sinke.