Am Sonntagabend löst Emmanuel Macron die französische Nationalversammlung auf und ordnet Neuwahlen an. Warum geht der französische Präsident den Schritt? Welche Bündnisse könnte es geben?
Die Ergebnisse der Wahlen zum Europäischen Parlament am Sonntagabend haben bei vielen für Fassungslosigkeit gesorgt. Die Rechtsextremen haben in vielen Ländern wie Deutschland und Österreich zugelegt – in Frankreich sogar besonders stark. 32 Prozent der Franzosen machten ihr Kreuz beim rechtsextremen Rassemblement National (RN) von Marine Le Pen – mehr als doppelt so viele wie bei der Partei des französischen Präsidenten Emmanuel Macron.
Der löste daraufhin für viele überraschend die französische Nationalversammlung – wie eine von zwei französischen Parlamentskammern heißt – auf und rief vorgezogene Neuwahlen aus.
Warum soll es in Frankreich Neuwahlen geben?
Nach der Verkündung von Macron suchen die Parteien in Frankreich im Eiltempo nach Bündnissen für die Parlamentswahlen in wenigen Wochen. Das linke Lager einigte sich darauf, als gemeinsame Bewegung Front Populaire anzutreten. Der Parteichef der Konservativen, Éric Ciotti, rief am Dienstag zu einer Allianz mit dem rechtsnationalen Rassemblement National (RN) um Marine Le Pen auf. Die ausgestreckte Hand des Mitte-Lagers um Präsident Macron ergriff bisher hingegen niemand.
Macron hatte als Reaktion auf die herbe Niederlage seiner liberalen Kräfte bei der Europawahl und den haushohen Sieg der Rechtsnationalen am Sonntagabend die Nationalversammlung aufgelöst und Neuwahlen in zwei Durchgängen für den 30. Juni und den 7. Juli angekündigt.
Der französische Präsident w ill bei der Wahl die relative Mehrheit seines Mitte-Lagers in der Parlamentskammer ausbauen und den Vormarsch der Rechtsnationalen um Marine Le Pen aufhalten. Um seinen Posten geht es bei der Wahl allerdings nicht.
„Ich setze auf Sieg“
Der Staatschef betonte in der Zeitung „Le Figaro“: „Ich setze auf Sieg.“ Er wolle „all denen die Hand reichen, die zum Regieren bereit sind“. Sein Bündnis müsse sich breiter aufstellen und seine Linie klarer formulieren.
Aus seiner Partei Renaissance hatte es bereits geheißen, man wolle überall dort keine eigenen Kandidaten aufstellen, wo zuletzt Abgeordnete aus dem republikanischen Feld Parlamentssitze gewonnen hatten, die sich für ein klares Projekt für Frankreich einsetzen wollten. Berichten zufolge soll das für Abgeordnete aller Parteien mit Ausnahme von RN und der Linkspartei La France insoumise gelten.
Kommunisten, Linke, Grüne und Sozialisten verständigten sich indes aber schon auf ein eigenes Wahl-Bündnis, auch wenn dessen Ausrichtung noch nicht final ist. Sie wollen gemeinsame Kandidatinnen und Kandidaten in den Wahlkreisen aufstellen.
Aufruf von Éric Ciotti sorgt für Aufsehen
Auch das Rassemblement National bemühte sich darum, seine Erfolgschancen bei der Wahl durch Bündnisse noch zu steigern. RN-Chef Jordan Bardella führte Gespräche mit Spitzen der rechtsextremen Partei Reconquête. Für Aufsehen sorgte dann am Dienstag der Aufruf des Parteivorsitzenden der konservativen Républicains, Éric Ciotti, bei der Wahl mit RN zu kooperieren. Eine solche Allianz sei notwendig, weil die Républicains alleine zu schwach seien, um sich gegen das Präsidentenlager und das Linksbündnis zu behaupten.
Ein Bündnis der Partei der bürgerlichen Rechten mit den Rechtsnationalen um Marine Le Pen wäre ein Bruch der jahrzehntelang aufrechterhaltenen Brandmauer gegen die extreme Rechte. Wie viele aus der Partei hinter Ciottis Entscheidung stehen, ist unklar. Parteigrößen forderten bereits kurz nach seinem Fernsehauftritt seinen Rücktritt. Die Debatte um eine Zusammenarbeit mit RN dürfte Ciottis Partei, die seit Jahren in der Abwärtsspirale ist, vor eine Zerreißprobe stellen. Gleichzeitig ist sie ein weiterer Erfolg für Le Pens Kurs der „Entteufelung“, ihr RN gemäßigter darzustellen und bis weit in die bürgerliche Mitte hinein wählbar zu machen.
Wahlbündnis bestätigt
Am Dienstagabend bestätigte RN-Chef Bardella dann ein Wahlbündnis mit Teilen der konservativen Republikaner (LR). „Es wird eine Verständigung zwischen dem Rassemblement National und den Republikanern geben“, sagte Bardella am Dienstag. Dies schließe mehrere LR-Abgeordnete ein, die vom RN „eingesetzt“ oder „unterstützt“ würden.
Er habe „alle patriotischen politischen“ Parteien, die etwas zur zukünftigen „Mehrheit des Aufschwungs“ im Parlament beitragen wollten, dazu aufgefordert, sich ihm anzuschließen, sagte Bardella. „Ich freue mich, dass Eric Ciotti dies positiv beantwortet hat“, fügte er hinzu. Er kündigte an, sich noch im Laufe des Abends mit dem Parteichef der Konservativen auszutauschen. Ein Bündnis mit der Partei Reconquête, die politisch noch weiter rechts steht als der RN, schloss Bardella am Dienstag aus.
Nicht absehbar, wie sich Gewichte durch Neuwahl verschieben
Die Nationalversammlung ist eine von zwei französischen Parlamentskammern. Sie ist an der Gesetzgebung beteiligt und kann per Misstrauensvotum die Regierung stürzen. Macron und seine Verbündeten stellen derzeit 250 der 577 Abgeordneten. Das linke Lager kommt auf 149 Sitze, RN auf 88, die Républicains auf 61. Für die absolute Mehrheit sind 289 Sitze im parlamentarischen Unterhaus nötig.
Bei den französischen Parlamentswahlen werden die Abgeordneten in zwei Durchgängen ausgewählt: Holt in einem Wahlkreis im ersten Wahlgang keiner der Bewerber die absolute Mehrheit, findet ein zweiter Wahlgang statt, bei dem der Bewerber mit den meisten Stimmen gewinnt. Um ihre Chancen zu erhöhen, können Parteien Bündnisse eingehen, bei denen sie nur einen gemeinsamen Kandidaten pro Wahlkreis aufstellen.
Wie sich die Gewichte bei der Neuwahl verschieben könnten, ist noch nicht abzusehen. Sollte ein anderes Lager als das von Macron die absolute Mehrheit bekommen, wäre der Präsident gezwungen, einen Premierminister aus dessen Reihen zu ernennen.