Ein Gas-Embargo gegen Russland hätte viel weitreichendere Auswirkungen als ein Öl-Embargo, sagt der Ökonom Klaus-Jürgen Gern. Foto: IfW Kiel/privat

Der Rohstoffexperte Klaus-Jürgen Gern geht davon aus, dass Russland einen europäischen Öl-Importstopp verkraften kann und auch die Auswirkungen auf Verbraucher hierzulande begrenzt bleiben.

Zehn Wochen liegt der Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine inzwischen zurück. Die Europäische Union bringt nun ein weiteres Sanktionspaket gegen Russland auf den Weg. Es sieht auch den Stopp der Öl-Lieferungen vor. Der Wirtschaftswissenschaftler Klaus-Jürgen Gern, Rohstoff- und Konjunkturexperte am Kieler Institut für Weltwirtschaft, glaubt nicht, dass sich durch den Schritt die Dinge grundlegend ändern werden.

Herr Gern, ein europäisches Öl-Embargo gegen Russland rückt näher. Mit welchen Folgen rechnen Sie für Verbraucher und Konjunktur in Deutschland?

Wird der Vorschlag der EU-Kommission umgesetzt, dann dürften die Folgen für Deutschland und die anderen Mitgliedstaaten sehr überschaubar bleiben. Im Grunde wird nur das festgezurrt, was in der Praxis ohnehin geschieht oder bereits geschehen ist. Gerade Deutschland ist hier vor dem Fahrplan, wir haben in den vergangenen Monaten einen Großteil der Öl-Importe aus Russland ersetzt. In vielen anderen EU-Staaten gibt es ähnliche Anstrengungen. Hierzulande gibt es noch ein größeres Problem. Das ist die Raffinerie im brandenburgischen Schwedt, die mithilfe der russischen Druschba-Pipeline mit Rohöl versorgt wird. Aber auch hier scheint binnen weniger Wochen oder Monate eine Umstellung möglich zu sein.

Werden die Weltmarktpreise für Rohöl steigen und damit auch Benzin und Diesel auf breiter Front teurer werden?

Das Embargo zeichnet sich bereits seit einigen Tagen ab. In dieser Zeit haben die Preise an den Ölmärkten kaum reagiert – zumindest nicht stärker als zuvor. Ich sehe das als Hinweis darauf, dass Europas Abkehr vom russischen Öl an den Märkten bereits eingepreist ist.

Wie kann das sein?

Wir sind in einer ganz anderen Situation als zu Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine: Ende Februar wurden viele Öl-Händler auf dem falschen Fuß erwischt, die Preise schossen in die Höhe. Dann folge ein Sanktionspaket auf das andere. Möglicherweise ist es jetzt sogar so, dass die Akteure mit einem deutlich schnelleren Ausstieg gerechnet hätten: Die EU-Kommission schlägt eine Übergangsfrist von sechs Monaten für den Rohöl-Import und von acht Monaten für den Import von Ölprodukten wie Benzin und Diesel vor. In diesem Zeitraum hätten sich die meisten EU-Staaten ohnehin weitgehend von russischem Öl gelöst. Für Deutschland, den bei weitem größten Abnehmer, gilt das allemal.

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Wird das europäische Öl-Embargo seinen Zweck erfüllen und Wladimir Putins Russland nachhaltig schaden?

Das hängt davon ab, ob es Putin gelingt, sein Öl in anderen Weltregionen zu einem guten Preis zu verkaufen. Derzeit tut sich Russland eher schwer damit, die Mengen, die Europa und die USA nicht mehr abnehmen, woanders unterzubringen. Es gibt gerade für russisches Öl nie dagewesene Preisnachlässe von mehr als 30 Prozent. Indien etwa greift da im großen Stil zu. Trotzdem ist die Ölproduktion in Russland in den vergangenen Wochen deutlich gesunken, die Rede ist von 10 bis 15 Prozent.

Gleichwohl ist der Ölpreis auf dem Weltmarkt deutlich höher als vor dem Krieg. Kann es sein, dass Russland weniger fördert und große Preisnachlässe gewährt, aber immer noch ordentlich Geld mit Öl verdient?

Ich gehe davon aus, dass die Ölförderung in Russland immer noch profitabel ist. Der Preis für russisches Rohöl ist derzeit nicht viel niedriger als vor Kriegsbeginn. Die Branche hat aber beträchtliche Probleme, neue Abnehmer zu finden: Der Großteil des Öls, das nach Europa fließt, wird durch Pipelines gepumpt. In andere Länder gibt es diese Pipelines nicht – oder sie sind, wie im Falle von China, ausgelastet. Man ist also auf Tanker angewiesen, und da sind die Kapazitäten begrenzt. Der Tanker-Transport in andere Gegenden der Welt nimmt auch viel mehr Zeit in Anspruch. Kurzfristig ist die Umleitung einer so großen Ölmenge nicht einfach zu organisieren. Der Umstieg wird beträchtliche Kosten für Russland verursachen.

Aber wird es Russland auch hart treffen, so wie von den Europäern erhofft?

Russland kann das Öl-Embargo verkraften. Das Land ist gering verschuldet und hat gigantische Geldreserven angehäuft. Auch wenn ein großer Teil im Westen gesperrt ist, kann es vom Rest immer noch zehren. Russlands Achillesferse sind meiner Einschätzung nach eher die Embargos für den Import von Konsum- und Produktionsgütern aus dem Westen. Das wird die wirtschaftliche Entwicklung des Landes auf längere Sicht deutlich schwächen.

Wäre die Situationen bei einem Gas-Lieferstopp eine andere?

Ja, und zwar für Europa wie für Russland. Große Abnehmerländer wie Deutschland oder Italien würden ein Gas-Embargo unmittelbar spüren, möglicherweise käme es sogar zur Rezession. Russland wiederum könnte auf absehbare Zeit kaum andere Abnehmer für sein Gas finden. Es gibt zu wenig Pipelines in andere Weltregionen und die Kapazitäten für die Verflüssigung und Verschiffung von Gas sind beschränkt.

Das Gespräch führte Thorsten Knuf.