Vor fast 140 Jahren wurde die Sprache Esperanto entwickelt. Sie sollte der Völkerverständigung dienen. Der Erfolg war nicht allzu groß – Menschen, die Esperanto sprechen gibt es aber noch. Auch im Kreis Böblingen.
Mitten im babylonischen Getöse der Welt bauen sie sich ihre Oase der schlichten, klaren Verständigung. Esperanto ist eine künstliche Sprache, eine so genannte Plansprache. Erdacht wurde sie 1887 von einem polnisch-russischen Arzt. Und sie wird heute noch gesprochen – auch im Kreis Böblingen.
Am Samstag trafen sich Mitglieder verschiedener Esperanto-Gruppen zur Versammlung des Esperanto-Landesverbandes Baden-Württemberg im Treff am See in Böblingen – Menschen mit einem jeweils ganz unterschiedlichen Hintergrund.
Mit Freude eine Sprache lernen
Alois Eder ist der Vorsitzende des Vereins Esperanto in Baden-Württemberg. Er lebt in Gärtringen, war Schuldekan, ist nun 84 Jahre alt, erlernte Esperanto bereits 1954. „Esperanto kam bei mir dem Englischen zuvor“, sagt er. „Als ich dann Englisch lernte, ging ich damit um wie mit Esperanto und wendete die Sprache gleich an.“ Für ihn ist Esperanto ein Weg, auf dem Schüler die Freude am Erlernen von Sprachen entdecken können.
Die Zahl der Esperantosprecher, der Esperantisten, ist heute groß und unmöglich exakt zu benennen. Schätzungen zufolge erlernten in den knapp 140 Jahren seit der Begründung der Sprache fünf bis 15 Millionen Menschen Esperanto. Die Kunstsprache bildet ein weltweites Netzwerk. Esperantisten aller Länder besuchen ich gegenseitig, geben sich Unterkunft, lernen sich über alle Grenzen hinweg kennen. Digitale Technologie weitete das Feld noch – nun pflegen die Esperantisten ihre Kontakte übers Internet.
Die Böblinger Esperanto-Gruppe besteht derzeit aus vier Teilnehmern, die monatlich im Treff am See zusammenkommen. Außerdem dabei: Vier weitere Mitglieder, die sich zuschalten – ein pensionierter Sprachlehrer aus Hildrizhausen, ein ehemaliger Beschäftigter des bekannten Automobilkonzerns, der in den Odenwald zog, ein Gärtringer, der als Pensionär in seine ungarische Heimat zurückkehrte, eine Orthopädiemechanikerin aus Sindelfingen, die heiratete und nach Isny zog.
Wenig lernen, viel Effekt
Neun vergleichbare Gruppen in Baden Württemberg zählt Ursula Niesert auf, die stellvertretende Vorsitzende des Esperanto-Landesverbandes. Dem Verband selbst gehören etwa 200 Personen an. Viele von ihnen sind nicht in Gruppen oder Vereinen organisiert, leben irgendwo in Städten oder Dörfern. Geschah der Zugang zur Sprache früher vor allem über Gruppen, spielt für die jüngere Generation der Esperantisten das Internet die größere Rolle, erlernten viele die Sprache mit entsprechenden Programmen.
Die leichte Erlernbarkeit des Esperanto ist sein großer Vorzug. „Ich habe fast nichts getan, um die Sprache zu erlernen, und kann trotzdem Vorträge in Esperanto halten“, sagt Jochen Wagner aus Karlsruhe, Kassier der baden-württembergischen Gruppe. Die Dominanz des Englischen in Geschäftsleben und Wissenschaft findet er bedauerlich – „Man kann jahrelang lernen und kommt dennoch nicht auf das Niveau der Engländer und Amerikaner.“
Esperanto, das erklärt Konrad Fischer, Englischlehrer und Historiker aus Tübingen, wurde aus eben diesem Grund entwickelt: Um Schwellen anzubauen, auch gesellschaftlicher Art. „Es ist eine leicht erlernbare Sprache für Leute, die an internationalen Kontakten interessiert sind. Treffen sich zwei Esperantisten, dann sagen sie: Super – und suchen sich ein Thema, das beide interessiert, und über das sie sich unterhalten können.“ Die Sprache ist ihr Hobby.
Auch Arbeiterkinder hatten eine Chance
„Esperanto“, sagt Konrad Fischer zudem, „wurde erfunden in einer Zeit, die von Nationalismus und Imperialismus bestimmt war. Es sollte eine Gegenbewegung sein. Kriege sollten weniger wahrscheinlich werden, weil man sich gegenseitig verstand. Das ist heute wieder hochaktuell.“ Und Alois Eder sagt: „Esperanto ist nicht durch die gebildeten Leute groß geworden. Es wurde von Arbeiterkindern gesprochen, die keine Chance hatten, eine andere Sprache zu erlernen.“
Deshalb auch ziehen die Mitglieder des Esperanto-Landesverbandes nach ihrer Jahreshauptversammlung auch weiter ins Bauernkriegsmuseum Böblingen. Alois Eder hat eine Führung vorbereitet, sich gründlich ins Thema eingelesen. Die Sache der Unterdrückten, auch dies weiß Konrad Fischer, war immer schon auch die Sache der Esperantisten.
Die Plansprache Esperanto
Erfinder
Esperanto wurde 1887 von Ludwik Lejzer Zamenhof entwickelt, einem Augenarzt, der in Russland geboren wurde in Polen aufwuchs und selbst mehrere Sprachen beherrschte. Er verwendete das Pseudonym „Doktor Esperanto“, zu Deutsch „Doktor Hoffender“ und träumte von einer Sprache, die leicht zu erlenen sein und die zerstrittene Menschheit einen sollte.
Grammatik
1905 fand der erste Esperanto-Weltkongress in Boulogne, Frankreich, statt. Seither wird der Kongress jährlich veranstaltet, 2024 in Arusha, Tansania. In Deutschland fand der Kongress zuletzt 1999 in Berlin statt. Esperanto kann leichter als andere Sprachen gelernt werden, da die Grammatik stark vereinheitlicht ist.
Verbreitung
Es gibt weltweit rund 2000 Menschen, die mit Esperanto als Muttersprache aufwuchsen. Schätzungen der Menschen, die Esperanto als Zweitsprache sprechen, liegen zwischen 100 000 und 10 Millionen.