„Tristan und Isolde“ unter funkelndem Sternenzelt im Bayreuther Festspielhaus Foto: dpa/Enrico Nawrath

Zur Eröffnung zeigen die Bayreuther Festspiele Richard Wagners „Tristan und Isolde“ als Weltfluchtfantasie mit schönen Stimmen und schönen Bildern. Im Publikum fließt der Schweiß.

Oben: der Himmel. Darunter: Wasser. Vielleicht ein See, in dem sich Sonne, Wolken und Sterne spiegeln. Vielleicht auch der Pool eines Ozeandampfers, umstanden von Liegestühlen mit sprechenden Accessoires – auf einem liegt ein Brautschleier aus weißem Tüll. Zwischen dem ovalen Bullauge darüber und dem ebenfalls ovalen Teich spannt sich eine Bildergeschichte auf. Eine Fantasie, in die man hineinfallen und dabei alle K-Wörter loslassen kann, die einem gerade Angst bereiten mögen: Krankheit, Krieg, Klima, Kosten, Krise.

Das schwitzende Publikum ist begeistert

Richard Wagner hat 1865 ein Musikdrama geschrieben, das er „Handlung in drei Aufzügen“ nannte, in dem es aber kaum eine Handlung gibt, und den Rest davon hat der Regisseur Roland Schwab „Tristan und Isolde“ gemeinsam mit dem Bühnenbildner Piero Vinciguerra im Bayreuther Festspielhaus ausgetrieben. Bei der Festivaleröffnung am Montagabend war das Publikum so begeistert, dass es schon in den Schlussakkord hineinklatschte. Danach wurde lange gejubelt, obwohl den Menschen in den voll besetzten, langen Sitzreihen der Schweiß in die Schlüpfer troff. Draußen ist es gut 35 Grad heiß, das Festspielhaus ist nicht klimatisiert – aufatmen lässt da nur die Tatsache, dass die nicht verhinderte Transpiration gleich zwei Krisen (der des Klimas und der Energie) entgegenarbeitet.

Tatsächlich ist der Abend einer, an dem man sich wahlweise wegträumen oder einschläfern lassen kann. Dass sehr wenig passiert, hat jedenfalls aus pragmatischen Gründen etwas Gutes, denn die beiden Protagonisten haben, sagen wir mal: ein gewisses körperliches Volumen. Und, damit einhergehend, eine gewisse Unbeweglichkeit. Bei Stephen Gould als Tristan und Catherine Foster als Isolde ist man schon froh, wenn sie sich zum Sterben auf den Boden legen können, ohne dass das peinlich wirkt.

Wer durchhält, kann träumen

Man braucht also ein wenig Abstraktionsvermögen. Die stimmlichen Leistungen der beiden Sänger helfen dabei: Der US-amerikanische Tenor kommt als Tristan fast unbeschadet durch seine mörderische Partie (das ist ein Lob!), die im Laufe des Abends zunehmenden gestemmten und gedrückten Momente sieht man ihm spätestens in dem Moment nach, in dem er sich am Ende mit einem göttlichen Pianissimo („Isolde!“) aus der Welt verabschiedet. Und die britische Sopranistin lässt ihre Stimme blühen, nimmt klaren Fokus, spiegelt singend die Farben der Bühne und die großen Gefühle ihrer Partie sowieso.

Gesetzt also, man hat die Längen des Abends ausgehalten und ist nicht eingeschlafen: Dann kann man träumen. Die Voraussetzungen dafür schafft der szenische Rahmen: ein Bub und ein Mädchen, dann ein junges Paar, schließlich eine Greisin und ein Greis am Stock säumen als Betrachter die Szene, wie wenn die Geschichte von Tristan und Isolde ihr eigenes Leben begleiten würde. Als Möglichkeit: So hätten sie selbst auch leben und lieben können. Und als Utopie von einer Hingabe, die so unendlich und so unantastbar nur jenseits der Realität stattfinden kann – und die dann eben auch den Tod überdauert. Von dem Moment an, in dem Tristan und Isolde Brangänes Trank so gierig in sich hineinschütten wie in den Pausen die ausgedursteten Besucherinnen und Besucher das gute Bayreuther Bier, kommen die beiden Liebenden mitsamt ihrem Publikum der Welt abhanden.

Die Lieben umarmen sich am Ende dort, wo es still ist

Videoprojektionen sorgen dafür, dass sich der Pool in der Bühnenmitte, in dem sich anfangs Wolken und Himmel spiegelten, erst langsam rot, dann schwarz und schließlich weiß einfärbt. Symbolistisch, wie so vieles hier: die Farben für Liebe, Tod und Unschuld. Der Himmel spiegelt das in einer Weise zurück, dass keiner sagen könnte, was hier Original ist und was (nur) Projektion, was Ursache und was Wirkung.

Dann beginnt das Wasser im Pool zu wirbeln, es entsteht ein Strudel, ein Sog, immer schneller kreisen weiße und schwarze Linien und Punkte umeinander. Und die Liebenden? Sie schreiten über die Wogen wie einst Jesus über den See Genezareth: weil auch sie glauben (an die Liebe, nur an die Liebe). Und so berühren und umschlingen sie sich in der Mitte des Wassers, dort, wo der Wirbel endet, wo es still ist wie im Auge eines Hurrikans.

Roland Schwabs Inszenierung erklärt nichts. Sie zeigt Bilder. Im zweiten Akt sorgen weiße Neonröhren, die wie Eiszapfen aus dem Schnürboden auf die Bühne wachsen, für Tristans tödliche Verletzung. Im dritten Akt beginnt die Natur in Form von zwei gewaltigen grünen Rankpflanzenvorhängen, aus dem Bullauge nach unten zu wuchern. Zum berühmten Duett „O sink hernieder, Nacht der Liebe“ im zweiten Akt fallen funkelnde Sterne vom Himmel – da blitzt es oben und unten. Unter dem Einspringer Markus Poschner, der bei „Tristan und Isolde“ für Cornelius Meister einsprang, der für den erkrankten Pietari Inkinen beim neuen „Ring“ (Premiere am Sonntag) einspringen wird, gelingt dem Bayreuther Festspielorchester (noch) kein großer Bogen, aber es entstehen schöne Momente im farbsatten Forte-Rausch der Liebesekstase ebenso wie in fein zurückgenommenen Abtönungen des Leisen, und Poschner hat ein gutes Gespür dafür, wo er ein bisschen vorantreiben und wo eher bremsen sollte. Im letzten Akt verschiebt Schwab die Sänger wie Figuren auf einem Spielfeld. Die Bilanz: vier Tote. Und knapp 2000 Halbtote, die nach der Vorstellung die Wasserkrise eindeutig verschärfen.

Termine

Premiere 1
„Tristan und Isolde“ ist nochmals am 12. August zu sehen.

Premiere 2
Valentin Schwarz inszeniert, Cornelius Meister dirigiert den neuen „Ring des Nibelungen“. Premiere: 31. Juli („Das Rheingold“) bis 5. August. Zwei weitere Zyklen ab 10. Und 25. August. Weitere Infos unter www.bayreuther-festspiele.de