Engpässe sind vorerst nicht zu befürchten. Aber die Landesregierung hat die vergangenen Monate genutzt, um alle Notfallpläne auf den Prüfstand zu stellen. Wie würde das Szenario aussehen, sollten Strom oder Gas knapp werden?
Ein Notstand bei Gas und Strom scheint zumindest für diesen Winter abgewendet. Aber wie gut wäre das Land eigentlich auf eine Mangellage vorbereitet? Claus Selbmann, Philipp Massier und Simon Schwarz sind Energieexperten am baden-württembergischen Umweltministerium, Claudia Halici ist Sprecherin des Übertragungsnetzbetreibers Transnet Baden-Württemberg. Gemeinsam beantworten sie die wichtigsten Fragen.
Kann es noch zu einem Gas- oder Strommangel kommen?
Laut der Bundesnetzagentur ist die Gasversorgung in Deutschland derzeit stabil, die Versorgungssicherheit sei gewährleistet. Eine Gasmangellage in diesem Winter werde zunehmend unwahrscheinlich, heißt es. Auch beim Strom sind vorerst keine Engpässe zu erwarten. Ein Blackout sei „höchst unwahrscheinlich“, betont Philipp Massier.
Woher kommt die Entspannung beim Gas?
Beim Gas konnten die Speicher vor dem Winter vollständig gefüllt werden, indem etwa Gas aus Norwegen zugekauft wurde. Die Speicher haben derzeit einen Füllstand von mehr als 80 Prozent, was für Ende Januar extrem ungewöhnlich sei, sagt Simon Schwarz. Normal waren in früheren Jahren 45 Prozent. Im Grundsatz können alle Speicher Deutschlands ein Viertel der jährlich benötigen Energie in Höhe von 1000 Terawattstunden bevorraten. Daneben haben die Menschen in Deutschland bisher rund 14 Prozent weniger Gas verbraucht als im Schnitt der Jahre 2018 bis 2021.
Wie ist die Situation beim Strom?
„Die Lage hat sich entspannt“, sagt Claudia Halici, die Sprecherin von Transnet Baden-Württemberg. Das liege unter anderem am milden Winter: Weil in Frankreich vor allem mit Strom geheizt wird, wirkt sich jedes Grad der Außentemperatur spürbar auf den dortigen Stromverbrauch aus. 43 der 56 französischen Kernkraftwerke sind inzwischen wieder am Netz, obwohl deren Gesamtleistung immer noch nur gut zwei Drittel beträgt, sagt Philipp Massier vom Umweltministerium Baden-Württemberg.
Zum anderen seien die Kohlelager der deutschen Kraftwerke gut gefüllt worden, obwohl teilweise Niedrigwasser herrschte und es deshalb weniger Transportkapazitäten gab, sagt Massier. „Für uns war auch positiv, dass gemeinsam mit der Bundesnetzagentur ein ganzes Bündel an Maßnahmen umgesetzt werden konnte“, sagt Claudia Halici. Dank Maßnahmen, die beispielsweise bei den Netzkapazitäten, dem Lastmanagement und dem Einsatz von Reservekraftwerken ansetzen, könne man in Baden-Württemberg gelassen auf den noch verbleibenden Winter sehen.
Was passiert bei einer Strommangellage?
Ein Blackout – das wäre der Zusammenbruch großer Teile des deutschen oder europäischen Stromnetzes – werde kaum eintreten, da vorher zahlreiche andere Maßnahmen eingeleitet werden, betont Philipp Massier. Zuvor würden die Netzbetreiber im absoluten Notfall aktiv einen „Brownout“ anstreben, das ist die kontrollierte Reduktion der Nachfrage in kleineren Netzteilen.
Bei einer Strommangellage würden kleinere Gebiete, in Stuttgart könnten das mehrere Straßenzüge sein, komplett abgeschaltet. Auch Privathaushalte oder Krankenhäuser hätten dann keinen Strom mehr. Meist werde die Abschaltung aber auf 90 Minuten begrenzt, danach komme eine andere Gegend dran, sagt Claus Selbmann. Krankenhäuser seien auf eventuelle Stromausfälle immer vorbereitet und besäßen Notstromaggregate. Die Bahnen können aber weiterhin fahren. Die zeitweise Abschaltung soll – wenn möglich – Tage vorher angekündigt werden.
Was passiert bei einer Gasmangellage?
Anders sieht es bei einer Gasmangellage aus. Da gebe es tatsächlich „geschützte Kunden“, betont Simon Schwarz. Dazu gehörten soziale Einrichtungen wie Pflegeheime oder Kliniken und private Haushalte, aber auch systemrelevante Gaskraftwerke. Bei anderen Kunden wie Industriebetrieben kann dagegen auf Anweisung der Bundesnetzagentur die Gasmenge reduziert oder der Gashahn ganz zugedreht werden. Weigert sich ein Kunde, so kann ein Monteur des Netzbetreibers gemeinsam mit der Polizei die Sperre vor Ort durchsetzen.
Hat der baden-württembergische Gasgipfel etwas gebracht?
Im Juli vergangenen Jahres hatte Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) Vertreter der Energieversorger, der Wirtschaft und der Politik medienwirksam ins Neue Schloss zu einem Gasgipfel eingeladen. Alle sollten daran mitarbeiten, dass Baden-Württemberg 20 Prozent weniger Gas verbrauche. Tatsächlich hat der Südwesten laut dem wöchentlichen Bericht des Netzbetreibers Terranets BW übers ganze Jahr 2022 aber nur 17 Prozent weniger verbraucht als 2021, das Ziel also leicht verfehlt. Die bundesweite Einsparungsquote lag laut Bundesnetzagentur bei 17,6 Prozent.
Ist Baden-Württemberg gut vorbereitet auf alle Eventualitäten?
Claus Selbmann bejaht diese Frage. So wurden alle Notfallpläne gemeinsam mit den Netzbetreibern und Energieversorgern nochmals auf den Prüfstand gestellt. Für Krisen gebe es jetzt eine einzige zentrale Rufbereitschaft. Selbmann betont allerdings: „Wir haben jetzt bildlich gesprochen zehn Werkzeuge optimal vorbereitet; dennoch kann es passieren, dass man im Notfall ein elftes Werkzeug bräuchte.“
Können wir die Heizung jetzt wieder aufdrehen?
Aus zwei Gründen lautet die Antwort: nein. Die Experten des Umweltministeriums sehen es höchst ungern, dass manche Kommunen schon wieder angefangen haben, die Wassertemperatur der Schwimmbäder oder die Raumtemperatur in den Büros zu erhöhen. Denn erstens betont auch die Bundesnetzagentur, dass eine Verschlechterung der Situation weiterhin nicht ausgeschlossen werden könne: „Ein sparsamer Gasverbrauch bleibt wichtig“, heißt es im Lagebericht der Agentur. Und zweitens bleiben die Preise natürlich vorerst stark erhöht. Eine Megawattstunde Gas kostete vor dem Ukrainekrieg auf dem Großmarkt etwa 40 bis 50 Euro, derzeit sind es 80. Zwischenzeitlich lag der Preis sogar bei über 300 Euro.
Hilft es, wenn man zu bestimmten Zeiten Wäsche wäscht?
Das Das kann man so nicht pauschal sagen. Allerdings werden Nutzerinnen und Nutzer der App „StromGedacht“ von TransnetBW darauf hingewiesen, wenn sie mit einer zeitlichen Verschiebung ihres Stromverbrauchs bei der Behebung einer angespannten Netzsituation mithelfen können. Das war am 15. Januar sowie am 7. Dezember der Fall, da sprang die Ampel in der App auf Rot, die Menschen wurden dazu aufgerufen, Herd sowie Wasch- und Spülmaschine zwischen 17 und 19 Uhr nicht anzuschalten sowie den Laptop nur im Akkubetrieb zu nutzen. Allerdings betont Claudia Halici, dass es sich dabei nicht um eine behördliche Warn-App, sondern eher um eine „Mithelf-App“ handele. Dadurch, dass weniger Strom verbraucht wird, muss weniger stark in den Netzbetrieb eingegriffen werden. Das spart Kosten und in der Regel auch CO2.
Wie wahrscheinlich ist eine Mangellage im nächsten Winter?
Beim Gas müsse man wachsam bleiben, betont Claus Selbmann. Denn im vergangenen Jahr habe Russland trotz der langsamen Abschaltung immer noch 22 Prozent der insgesamt benötigten Gasmenge geliefert; dieser Anteil fehle in 2023. Beim Strom sind die Experten des Umweltministeriums entspannter. Beim Großkraftwerk Mannheim sei kürzlich ein Kohleblock wieder in den Markt gegangen, und in Frankreich sei es schwer vorstellbar, dass im nächsten Winter nochmals so viele Kernkraftwerke keinen Strom produzierten. Strom sei deshalb, wenn auch um den Preis des erhöhten Einsatzes von Kohle- und Atomkraftwerken, verfügbar. Es sei deshalb auch nicht notwendig, die drei letzten deutschen Kernkraftwerke über die vereinbarte Laufzeit hinaus zu betreiben, wagt sich Claus Selbmann zuletzt noch in den politisch heiklen Bereich hinein.