Kleinere Photovoltaikanlagen können derzeit nicht unbegrenzt Strom in die Netze einspeisen. Foto: dpa/Marijan Murat

Land und Bund suchen nach Möglichkeiten, wegfallendes Erdgas aus Russland zu ersetzen. Eine Idee: mehr Strom aus Photovoltaikanlagen – denn was diese ins Netz speisen, ist bisher gedeckelt. Doch Netzbetreiber sind skeptisch.

Die baden-württembergische Umweltministerin setzt sich dafür ein, dass künftig mehr Energie aus Photovoltaik-(PV-)Anlagen in die Stromnetze eingespeist werden kann. Derzeit gilt für PV-Anlagen bis zu 25 Kilowatt, dass maximal 70 Prozent der theoretisch möglichen Strommenge ins Netz eingespeist werden dürfen – der Rest muss selbst verbraucht werden oder bleibt ungenutzt. Doch wegen der befürchteten Gasengpässe wollen Bund und Land verstärkt Energie aus erneuerbaren Quellen nutzen. So soll Erdgas aus dem Strombereich verdrängt werden. Die sogenannte Kappungsgrenze solle für bestehende wie für Neuanlagen fallen, schrieb Thekla Walker nun an Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (beide Grüne) – und zwar „so schnell wie möglich“.

Tatsächlich könnte sich an der Einspeiseregelung schon bald etwas ändern: „Damit Solaranlagen mehr Strom einspeisen können, ist angestrebt, die 70-Prozent-Kappungsregel für Bestandsanlagen zu streichen“, sagt eine Sprecherin des Bundeswirtschaftsministeriums auf Anfrage. Für neue Solaranlagen gilt dies ab dem 1. Januar 2023 sowieso. „Derartige Maßnahmen verlangen gesetzliche Änderungen, die eng innerhalb der Bundesregierung abgestimmt werden“, meint die Sprecherin.

Netzbetreiber sieht die Gefahr einer Überlastung der Stromnetze

Doch Netzbetreiber sind skeptisch. „Aus unserer Sicht lässt sich durch die Abschaffung der 70-Prozent-Begrenzung kaum etwas gewinnen“, sagt eine Sprecherin der Energie Baden-Württemberg (EnBW). Das Nutzenpotenzial betrage nur etwa fünf Prozent der Jahresenergiemenge, im Winter entstünde gar kein Nutzen. Auch müsse man die technisch nötigen Änderungen zunächst betriebswirtschaftlich bewerten. Aus Sicht des EnBW-Betreibers Netze BW ist eine Begrenzung dessen, was eingespeist werden kann, „sinnvoll und wichtig“: Einerseits, um die Integration von Erneuerbare-Energien-Anlagen zu beschleunigen und andererseits, um kostspieligen Netzausbau „zu vermeiden oder zu verzögern“.

Der Grund für diese Zurückhaltung ist die Kapazität der Stromnetze. Denn schon heute sind laut EnBW viele Netze im Land „an der Grenze ihrer Aufnahmefähigkeit“, häufig müssten Erzeugungsanlagen aufgrund von Netzengpässen abgeschaltet werden. Der Ausbau der erneuerbaren Energien stellt dem Betreiber zufolge eine „enorme Herausforderung“ dar. In Städten kommen teils hohe Auslastungen durch den Einsatz von Klimageräten hinzu, auf dem Land durch Einspeisungen von PV- oder Windanlagen.

Die Kappung hilft aus Sicht des Betreibers, die Netzbelastung beherrschen zu können. Sollte die 70-Prozent-Regelung für bestimmte PV-Anlagen entfallen, wäre es laut EnBW sinnvoll oder notwendig, diese durch eine direkte Steuerungsmöglichkeit für Netzbetreiber zu ersetzen. Dann könnte die Netzstabilität mit intelligenten Messsystemen überprüft und es könnte gegebenenfalls eingeschritten werden.

Die Grenze auch für alte Anlagen aufzuheben, würde Aufwand bedeuten

Auch die Branche zeigt sich eher zurückhaltend, was eine Aufhebung der 70-Prozent-Kappungsgrenze zumindest für alte Anlagen anbelangt. „Ein kurzfristiger Gewinn an Strom für den Winter ist durch die Aufhebung nicht zu erwarten“, sagt Jann Binder, stellvertretender Geschäftsführer des Verbands Solar Cluster Baden-Württemberg. „Außerdem würde die Aktion Kräfte binden, um neue PV-Anlagen zu installieren.“ Um die Regelung für alte Anlagen aufzuheben, bräuchte es nämlich laut dem Verband eine individuelle Prüfung. Gegebenenfalls müssten dann Abschalteinrichtungen eingebaut werden, falls Überspannungen im Netz drohen. Bei neuen PV-Anlagen dagegen könne eine entsprechende Prüfung direkt gemacht werden – hier könnte die Grenze für die eingespeiste Energiemenge aus Binders Sicht sofort fallen.

Die Landesregierung sieht die Netzbetreiber für den Ausbau in der Pflicht

Beim Umweltministerium in Stuttgart weiß man um die begrenzten Kapazitäten der Stromnetze in einigen Landesteilen – und darum, dass der Netzanschluss von Erneuerbare-Energien-Anlagen aus diesem Grund dort nur „mit Verzögerung“ erfolgt. Das Land sieht allerdings auch die Betreiber der Stromnetze in der Verantwortung, gegebenenfalls die Netze zu optimieren.

Künftig höhere Produktion von Biogas

Regelung
Die baden-württembergische Landesregierung hat sich für eine Ausweitung der Produktion von Biogasanlagen ausgesprochen. Tatsächlich leitet die Bundesregierung nun Regelung ein, „um die erhöhte Ausschöpfung der Produktionskapazitäten bestehender Biogas- und Biomethananlagen durch den Einsatz vorhandener Substrate und technischer Möglichkeiten bis April 2023 vorübergehend zu ermöglichen“. Das geht aus einem Schreiben von Umweltministerin Thekla Walker an Bundeswirtschaftsminister Habeck (beide Grüne) hervor.

Steigerung
Ein Sprecher des Umweltministeriums im Land begrüßte das Vorhaben. Angaben des Hauptstadtbüros Bioenergie zufolge könnte durch Ausnutzung des technischen Potenzials der Biogasanlagen eine Steigerung bei der Energiebereitstellung von rund 20 Prozent erfolgen – bezogen auf Deutschland.