New York in der Zukunft: wuchernder Dschungel, aber keine Menschen mehr. Foto: Cross Cult/Jakub Rebelka

Vom Ende der Menschheit wird immer wieder gerne erzählt. Der Comic „Origins“ bringt eine böse Zukunft in schöne Bilder.

Stuttgart - Für die großen Rambazamba-Spektakel von Hollywood gibt es schon länger eine spöttische Formel: „Mit dem Weltuntergang anfangen und dann rasch steigern“. In dem schnellen Gag steckt eine interessante Weisheit: Die Menschheit kann die Vorstellung ihres möglichen Endes einfach nicht fassen. Immer wieder haben Filme, Comics, Romane und Kurzgeschichten Apokalypsen ausgemalt: Aber prompt haben wir lesend oder guckend eine Gruppe Überlebender begleitet, manchmal auch einen (vorerst) einsamen Durchhaltekünstler. Es geht, wird uns erzählt (von „The Walking Dead“ oder „I am Legend“ oder ganz aktuell vom Spielfilm „Finch“ mit Tom Hanks bei Apple+ beispielsweise), immer irgendwie weiter.

New York mal wieder in Ruinen

Originell ist das Szenario des empfehlenswerten Comics „Origins“, der auf Deutsch beim Ludwigsburger Cross-Cult-Verlag erschienen ist, also gewiss nicht. Auch wenn da eine ganze Gruppe Ideenbeiträger auf dem Cover steht, unter anderem der Filmemacher Lee Toland Krieger („Für immer Adaline“). Wir finden uns in einem New York einer anfangs noch unbestimmten Zukunft wieder. Die Stadt ist ein Ruinenfeld, ein Dschungel hat die Gebäude weitgehend überwuchert, und die dick in Schutzklamotten verhüllte Figur, die da zwischen mumifizierten Leichen umher tappt, macht Andeutungen, dass der Aufenthalt im Freien sehr gefährlich ist.

Wir spoilern jetzt mal nicht, was genau da zur großen Katastrophe geführt hat, und mit welchem Ziel sich bald drei Gestalten durch den Gefahrenparcours kämpfen. Aber man könnte es eigentlich auch erzählen, denn die von Hauptautor Clay McLeod Chapman verantwortete, knappe, aber halbwegs solide Geschichte ist nur Mittel zum Zweck. Und der heißt: Endzeitatmosphäre.

Freiheit für die Roboter

Mit sichtlichem Vergnügen präsentieren der Zeichner Jakub Rebelka und der Kolorist Patricio Delpeche eine Stadtwelt, in der es kein Rush-Hour-Gedränge, keine Shopper-Massen und kein Obszönes nebeneinander von Elend und Reichtum mehr gibt. Die Panels zeigen zwar Ruinen, aber keinen Verfall – sondern eine von der Last der Menschen befreite Dynamik der Schöpfung. Mit Zurück-zur-Natur-Naivität hat das aber nichts zu tun. Bald wird klar, dass diese neue Welt so sehr von Organischem wie von Maschinellem, von den Fortschreibungen der heutigen Künstlichen Intelligenzen, geprägt wird.

Der Plot feiert mal wieder menschlichen Widerstandsgeist. Und hehre Ideale. Es geht um Freiheit, würde, Sinn und Selbstbestimmung – die ganz großen Begriffe fliegen herum wie Frisbees, wenn nicht wie Granatsplitter. Ein später Mensch, den es eigentlich gar nicht mehr geben dürfte, will hier sogar sauber programmierten, zweckgerichteten Robotern die Qual der Wahl schenken.

Auf zur letzten Schlacht

Diesem sehr üblichen Pathos stemmen sich die Bilder entgegen. Das Zerlumpte des Überlebenden steht auf den Seiten wie der Gegenentwurf zum anmaßenden Luxus der Ressourcenvernichtungsära. Die plumpen bis skurrilen Roboter, die hier noch immer tuckern und einander reparieren, haben etwas liebenswert Beschränktes - eine beruhigende Überschaubarkeit der Ambitionen. Je näher diese Maschinen der menschlichen Freiheit kommen, desto krisenreicher und gefährlicher werden sie. Und wenn es hier zu regelrechten Schlachten kommt, wenn die postapokalyptische Welt die letzten Horden Unruhestifter loswerden will, dann kann man – dank der Bilder, nicht der Texte – mit beiden Seiten sympathisieren.

Nein, es ist nicht die Pandemie, die uns in ein morbides Interesse an Endzeitfantasien triebe, wie man manchmal lesen kann. Dieses Interesse ist uralt und bei uns lange vor Corona heftig wieder aufgeflammt. Wer zu denen gehört, die immer mal wieder über mögliche große Änderungen im Fortschrittsplan der eigenen Spezies nachdenken, wird an „Origins“ vermutlich Gefallen finden.

Clay McLeod Chapman, Jakub Rebelka, Patricio Delpeche: Origins. Comic. Aus dem Englischen von Frank Neubauer. Cross Cult Verlag, Ludwigsburg. 144 Seiten, 22 Euro. Auch als E-Book, 12,99 Euro.