Ein Beispiel aus Afrika zeigt, wie Menschen die Evolution in der Tierwelt beeinflussen können: Durch massive Wilderei wachsen vielen Elefantenkühen keine Stoßzähne mehr – weil sie so lange die besseren Überlebenschancen hatten.
Stuttgart - Als in den Jahren 1977 bis 1992 in Mosambik ein blutiger Bürgerkrieg tobte, griffen die Auseinandersetzungen auch in die Evolution der Elefanten ein: Die Zahl der Dickhäuter im Gorongosa-Nationalpark hatte sich massiv verringert. Und rund der Hälfte der weiblichen Tiere wuchsen nach dem Krieg keine Stoßzähne mehr – normalerweise besitzen afrikanische Elefantenkühe und -bullen Stoßzähne. Ursache waren Veränderungen in Teilen des Erbguts, die bei allen Säugetieren wichtig für die Entwicklung der Zähne sind, berichten Shane Campbell-Staton von der Princeton-Universität im US-Bundesstaat New Jersey und sein Team in der Fachzeitschrift „Science“.
Elefanten in geschützten Gebieten haben noch Stoßzähne
Dieses Phänomen macht sich auch an anderen Orten in Afrika bemerkbar. „Wir beobachten auch in der Serengeti in Tansania schon länger, dass häufiger als früher Elefanten mit kleineren oder gar keinen Stoßzähnen durch die Savanne stapfen“, erzählt Dennis Rentsch, der 15 Jahre lang für die Zoologische Gesellschaft Frankfurt (ZGF) in Tansania arbeitete. „Elefanten mit großen Stoßzähnen leben heutzutage vor allem in den am besten geschützten Gebieten“, erklärt der promovierte Naturschutzbiologe weiter. „In solchen Reservaten werden Flugzeuge und Antiwilderertrupps von Kommandozentralen aus gelenkt, damit übernehmen staatliche Naturschutzbehörden wichtige Sicherheitsaufgaben“, ergänzt ZGF-Geschäftsführer Christof Schenck. In diesen Hochsicherheitsgebieten haben Wilderer also schlechte Karten, während anderswo die Dickhäuter wegen ihres Elfenbeins geschossen werden und der Anteil der Tiere ohne Stoßzähne ansteigt.
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So lebten 1972, vor dem Bürgerkrieg, im Gorongosa-Nationalpark in Mosambik noch 2542 Elefanten, nach dem Abflauen der Kämpfe war mit 242 Tieren nicht einmal ein Zehntel dieses Bestandes übrig. Gleichzeitig hatte sich der Vorkriegsanteil der Elefantenkühe ohne Stoßzähne von 18,5 Prozent auf 50,9 Prozent fast verdreifacht. Der Grund für diese massive Veränderung war der Bürgerkrieg zwischen der von der Sowjetunion unterstützten Befreiungsbewegung und Regierungspartei Frelimo und den konservativen Renamo-Rebellen, die ausgerechnet im Gorongosa-Nationalpark ihr Hauptquartier einrichteten. Beide Kriegsparteien wilderten Elefanten und finanzierten sich mit dem Verkauf der Stoßzähne.
Die meiste Zeit waren Stoßzähne ein Überlebensvorteil
Da die Elefanten ohne Elfenbein für die Wilderer nicht interessant waren, lag ihre Überlebenswahrscheinlichkeit im Bürgerkrieg rund fünfmal höher als bei ihren Artgenossen mit Stoßzähnen. „Damit aber hatte sich eine wichtige Grundlage für die Evolution der Elefanten geändert“, erklärt ZGF-Geschäftsführer Schenck. „In Mangelzeiten schälen Elefanten mit den Stoßzähnen die Rinde der Baobab-Bäume ab und kommen so an Nahrung“, sagt Schenck. Und die Stoßzähne seien für Elefanten „ein wichtiges Werkzeug, mit dem sie zum Beispiel Löcher graben, um an das lebensnotwendige Grundwasser heranzukommen“, fügt Dennis Rentsch hinzu. Außerdem können sie mit den den Zähnen nahrhafte Zweige aus den oberen Baumetagen erreichen. In normalen Zeiten haben Elefanten mit Stoßzähnen also einen klaren Vorteil, den sie auch an ihre Nachkommen vererben.
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Die massive Wilderei aber kehrte die Voraussetzungen um, plötzlich hatte die Minderheit der Elefanten ohne Stoßzähne einen Überlebensvorteil, ihr Anteil stieg. Und das lag nicht nur daran, dass die Wilderer an den Dickhäutern ohne Stoßzähne wenig Interesse hatten, sondern auch an den Nachkommen: Bei den nach dem Bürgerkrieg geborenen Elefanten stieg der Anteil der Weibchen ohne Stoßzähne ebenfalls kräftig.
Wegen eines Zahn-Gens trifft es nur Elefantenkühe
Mit Erbgutanalysen konnte die Gruppe um Princeton-Forscher Shane Campbell-Staton auch einen Teil der genetischen Grundlagen für diese Evolution zu Elefanten ohne Elfenbein klären. Besonders wichtig war offensichtlich das Gen AMELX, das bei Säugetieren eine zentrale Rolle für die Entwicklung von Zähnen spielt. Das Gen liegt auf dem X-Chromosom, von dem weibliche Säugetiere normalerweise zwei besitzen, während männliche Säugetiere nur ein X-und dazu ein Y-Chromosom haben.
Bei Menschen gibt es ein Krankheitsbild, bei dem den betroffenen Frauen ein ganzer Abschnitt des X-Chromosoms fehlt, in dem sich auch das AMELX-Gen befindet. Die Betroffenen haben sehr schlechte Zähne. Da sich in dem fehlenden Abschnitt auf dem X-Chromosom auch andere lebenswichtige Gene befinden, die auf dem Y-Chromosom kein Pendant haben, entwickeln sich männliche Embryonen mit diesem Erbgutfehler erst gar nicht. Das könnte erklären, weshalb die US-Forscher nur Elefantenkühe, aber keine Bullen ohne Stoßzähne beobachten konnten.
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Der Mensch bewirkt eine rasende Evolution
Die Elfenbeinwilderei bestätigt also mit genetischen Grundlagen den Verdacht, den Artenschützer schon lange hegen: Übermäßige Jagd kann nicht nur Arten dezimieren oder ausrotten, sondern kann auch die Evolution verändern. Und das in atemberaubender Geschwindigkeit: Schließlich dauern solche Veränderungen in der Natur oft viele Jahrtausende, während die Wilderei die Eigenschaften der Elefanten bereits in wenigen Jahren grundlegend verändert hat.
Welche Arten beeinflusst der Mensch noch?
Dickhornschafe
Diese wilden Schafe in Kanada reagieren auf die starke Jagd. Weil die Schützen Tiere mit großen Hörnern bevorzugen, werden diese langsam kleiner, berichten kanadische Wissenschaftler im Fachblatt „Science“.
Nashörner
Die Tiere zeigen bisher noch keine Reaktionen auf die Wilderei. Tiere, denen kein Horn mehr wächst, sind nicht gesichtet worden. Das Horn von gewilderten Nashörnern wird zu Pulver zerrieben und ist etwa in Vietnam als traditionelles Medikament begehrt.
Unterschiedliche Elefanten
Bei Afrikanischen Elefanten (auch erkennbar an den sehr großen Ohren mit bis zu zwei Meter Durchmesser) haben ursprünglich sowohl die männlichen als auch die weiblichen Tiere Stoßzähne. Bei Asiatischen Elefanten besitzen in der Regel nur die Bullen Stoßzähne. Aber auch bei den männlichen Tieren sind es bei Weitem nicht alle – nur etwa die Hälfte.