2017 eroberte Michael Oettinger für den Hirsch einen Michelin-Stern – und bescherte dem vor allem von Business-Kundschaft angesteuerten Hotel der Schmidener Familie einen weit über den Rems-Murr-Kreis reichenden Ruf. Foto: /Gottfried Stoppel

Das Hotel der Familie Oettinger in Schmiden zieht seit 50 Jahren vor allem Business-Gäste an – weil es neben einer familiären Atmosphäre auch für eine verlässliche Preisgestaltung steht. Seinen Übernachtungsgästen ein Schwimmbad bieten zu können war einst kreisweit eine Rarität.

Wenn Manfred Oettinger von der „guten alten Zeit“ im Hotel Hirsch spricht, kommt ihm oft ein Handlungsreisender aus dem hohen Norden in den Sinn. Der gute Mann, nennen wir ihn mal Albert Abendroth, quartierte sich nicht nur mit Vorliebe in der Herberge im Ortskern von Schmiden ein, wenn er einen Termin im Remstal hatte oder seine Produkte in der Landeshauptstadt vorstellen durfte. Nein, der Vertreter mit dem Faible für ein vertrautes Umfeld schwor auch bei deutlich weiter entfernt liegenden Verpflichtungen auf ein Basislager im Hirsch. Ob ein Messeauftritt in Frankfurt in seinem Kalender stand, er einen Geschäftsmann in Ulm treffen musste oder ihn der Job zu einer Stippvisite in Nürnberg zwang – stets packte er frühmorgens seine Siebensachen und kehrte abends ins Schmidener Hotelzimmer zurück. „Für den war der Hirsch wie eine zweite Heimat“, sagt Manfred Oettinger über den treuen Stammgast.

Die Firmenwelt weiß vor allem die Verlässlichkeit zu schätzen

Die Anekdote, die der 76-jährige Seniorchef gern erzählt, mag aus einer Zeit stammen, in der der Sprit noch billig und das Arbeitsleben noch nicht vom Smartphone gesteuert war. Dennoch macht sie deutlich, dass der 1974 eröffnete Hirsch nicht nur mit gutem Essen und einem komfortablen Bett punkten kann, sondern auch eine familiäre Atmosphäre bietet. Gerade für Geschäftskunden kommt ein unschlagbarer Grundsatz dazu: Eine Übernachtung im Einzelzimmer kostet in dem Schmidener Hotel exakt 87  Euro – und zwar egal, ob auf den Fildern gerade eine publikumsträchtige Messe läuft, der Autobauer Daimler zu einer Aktionärsversammlung ruft oder auf dem Cannstatter Wasen die Volksfeststimmung überkocht.

Das schafft Verlässlichkeit – und unterscheidet den nach wie vor in erster Linie von Business-Gästen lebenden Hirsch von einer Branche, die von ihrer Kundschaft in Hochsaison-Phasen gern mal den doppelten oder sogar dreifachen Zimmerpreis verlangt. „Messetarife gab es bei uns noch nie – und es wird sie auch künftig nicht geben“, sagt der inzwischen für das Hotel verantwortliche Martin Oettinger über das Familien-Credo.

Nach der Corona-Delle haben sich die Übernachtungszahlen erholt

Nun ist es nicht so, dass es in fünf Jahrzehnten im Hirsch nicht auch den Gedanken gegeben hätte, die Zimmerpreise moderat anzuheben, wenn das Geschäft brummt. Inzwischen sind sie in Schmiden aber froh, der Verlockung stets widerstanden zu haben. Denn nach der Coronadelle haben sich die Übernachtungszahlen im Hirsch laut Oettinger nun wieder auf dem Niveau von 2019 eingependelt – was unter anderem auch mit der für Unternehmen wichtigen Planbarkeit von Übernachtungskosten zu tun hat. Dass der 47-jährige Hotelchef trotz Online-Meetings und Verzicht auf Dienstreisen mit der Auslastungsquote zufrieden ist, hängt entscheidend vom Ruf ab, den der Hirsch in der Firmenwelt genießt.

Das Hotel Hirsch genießt in der Firmenwelt einen guten Ruf. Foto: Gottfried Stoppel

Gut gebucht sind die 106 Zimmer vor allem unter der Woche – der Fellbacher Stadtteil mag seine Reize haben, ein touristisches Aushängeschild und Ziel von Städtetrips ist er eher nicht. Dass es in Schmiden überhaupt ein Hotel dieser Größenordnung gibt, hängt mit dem Wagemut von Manfred Oettinger zusammen. Der hatte 1967 zwar seine Meisterprüfung als Fleischer absolviert, sah seine berufliche Zukunft aber eher in der Küche als hinter der Metzgertheke. „Das Schlachten war nicht so sein Ding“, sagt der Sohn über den Seniorchef, der für damalige Zeiten unerhört viel Geld in die Hand nahm, um das Dorfgasthaus mit ein paar Fremdenzimmern in ein richtiges Hotel umzumodeln.

Vor fünf Jahrzehnten galt der Hirsch kreisweit als Vorzeigebetrieb

Als der Hirsch vor 50 Jahren die Eröffnung feierte, galt er kreisweit prompt als Vorzeigebetrieb. Eine hauseigene Tiefgarage für die Gäste war seinerzeit zweifellos ein Alleinstellungsmerkmal, doch die Ausstattung mit einem eigenen Schwimmbad setzte dem Projekt die Krone auf – und in der Branche neue Maßstäbe. So etwas hatte es im Remstal bis dahin nicht gegeben, der Hirsch war der letzte Schrei, der heißeste Scheiß, die Kirsche auf der Sahnetorte sozusagen. Andächtig bis neidisch sprach man in Hotelierskreisen – der Begriff „Wellness“ war noch nicht erfunden – vom Komfort-Plus des Schmidener Angebots. „Wir waren laufend überbucht, es war ja sonst auch nicht viel da im Rems-Murr-Kreis“, erinnert sich der Hotelgründer.

Die Hände legten die Oettingers freilich trotz des Erfolgs nicht in den Schoss: 1984 kam der für Feiern buchbare Saalbau hinzu, 1991 der mit rustikalem Fachwerk-Ambiente beliebte Schnitzbiegel-Hof, 2015 dann der als Gästehaus und Tagungszentrum gedachte Lehenhof. „Es vergeht eigentlich kein Jahr, in dem wir nicht irgendwas umbauen oder wenigstens einige Zimmer modernisieren“, sagt Martin Oettinger. Einen großen Sprung in der öffentlichen Wahrnehmung gab es 2017 allerdings ganz ohne Umbauphase: Der als Küchenchef für den Restaurantbereich zuständige Bruder Michael Oettinger wurde vom Feinschmecker-Führer Michelin mit einem Stern geadelt – was dem Hirsch in Fellbach erneut eine Sonderrolle beschert.