Ein Projekt, vier Minister: Hubertus Heil, Nancy Faeser, Robert Habeck und Bettina Stark-Watzinger (v.l.) wollen mehr qualifizierte Zuwanderung. Foto: dpa/Michael Kappeler

Fehlende IT-Spezialisten, Pflegekräfte und auch Handwerker: Der Fachkräftemangel ist schon jetzt ein großes Problem – und bedroht den Wohlstand in Deutschland. Die Ampelkoalition hat jetzt ihre Ideen vorgelegt, was sie dagegen tun will.

Die Bundesregierung hat Eckpunkte zur Fachkräfteeinwanderung nach Deutschland beschlossen. Damit mehr qualifizierte Arbeitskräfte nach Deutschland kommen, will die Bundesregierung die Regeln für die Einreise und die Anerkennung von Berufsabschlüssen vereinfachen. „Deutschland braucht in Zukunft alle helfenden Hände und klugen Köpfe“, sagte Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD). „Fachkräftesicherung ist Wohlstandssicherung“, fügte er hinzu.

Die Ampelkoalition misst dem Projekt große Bedeutung zu. Das lässt sich schon daran erkennen, dass gleich vier Kabinettsmitglieder die Eckpunkte gemeinsam vorstellten: Heil, Innenministerin Nancy Faeser (SPD), Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP).

Gesetz soll bald kommen

„Deutschland benötigt branchenübergreifend dringend Fachkräfte“, heißt es in den Eckpunkten. „Deshalb müssen alle Potenziale im In- und Ausland gehoben werden.“ Dazu gehörten die Verbesserung von Aus- und Weiterbildung, eine höhere Erwerbsbeteiligung von Frauen und eine höhere Fachkräfteeinwanderung. Innenministerin Faeser will schon bald ein Gesetz vorgelegen, mit dem der Bundestag sich möglichst Anfang kommenden Jahres befassen soll.

In dem vom Kabinett beschlossenen Papier ist von einer Fachkräftesäule, einer Erfahrungssäule und einer Potenzialsäule die Rede. In der Fachkräftesäule geht es um mehr Flexibilität für diejenigen, die eine in Deutschland anerkannte Ausbildung haben. Sie sollen in allen möglichen Berufen arbeiten können. Eine Kauffrau für Büromanagement könne beispielsweise auch im Bereich Logistik beschäftigt werden, heißt es in dem Papier. Damit werde einer Arbeitswelt Rechnung getragen, die sich stetig ändere.

Chancenkarte und Punktesystem

Und was ist mit denen, die zwar eine Ausbildung haben, deren Abschluss in Deutschland aber nicht formal anerkannt ist? Auch sie sollen nach Deutschland kommen und hier arbeiten können – wenn sie zwei Jahre Ausbildung plus mindestens zwei Jahre Berufserfahrung nachweisen können. Voraussetzung ist allerdings ein Arbeitsvertrag. Neues Terrain betritt die Regierung mit dem Plan, Nicht-EU-Ausländern auf Grundlage eines Punktesystems die Chance zu geben, zur Arbeitsplatzsuche einzureisen und sich vor Ort einen Job zu suchen. „Kern der Potenzialsäule ist die Einführung einer Chancenkarte zur Arbeitssuche“, heißt es dazu in den Eckpunkten. Sie werde auf „einem transparenten und unbürokratischen Punktesystem“ basieren. „Zu den Auswahlkriterien können Qualifikation, Sprachkenntnisse, Berufserfahrung, Deutschlandbezug und Alter gehören“, wird ausgeführt. Die Frage, wie dies im angestrebten Gesetz konkret geregelt sein wird, dürfte die Regierungsparteien SPD, Grüne und FDP allerdings noch beschäftigen.

Die Wucht des Mangels

Fehlende IT-Spezialisten, Pflegekräfte, aber auch Handwerker – der Fachkräftemangel hat Deutschland längst mit großer Wucht erreicht. Die Wirtschaftsweisen haben erst kürzlich darauf verwiesen, dass Deutschland bis 2060 eine Nettozuwanderung von 400 000 Personen pro Jahr brauche. Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger begrüßte die Regierungspläne für eine einfachere Fachkräftezuwanderung. „Wir brauchen Menschen, die uns helfen, den Wohlstand in diesem Land zu bewahren“, sagte er.

Verdi-Chef Frank Werneke forderte, bei der Einwanderung in den deutschen Arbeitsmarkt dürfe es nicht nur um Fachkräfte gehen. „Wir begrüßen die Pläne der Bundesregierung, den Arbeitsmarkt für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aus dem Ausland attraktiver zu machen“, sagte er unserer Zeitung. „Deutschland braucht künftig mehr Arbeitskräfte, um Engpässe zu beseitigen und Wachstumschancen zu erhalten“, fügte er hinzu. „Dabei dürfen aber vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung in Deutschland nicht nur Fachkräfte in den Blick genommen werden, sondern sämtliche Arbeitskräfte“, betonte er. Erfolgreich werde die Strategie nur dann sein, wenn Deutschland zu einer einwanderungsfreundlicheren Gesellschaft mit fairen Arbeitsbedingungen werde. „Denn die als Arbeitskräfte gesuchten Menschen aus allen Teilen der Welt haben zukünftig die Wahl: Sie werden nicht in einen deutschen Arbeitsmarkt mit unattraktiven Bedingungen einwandern.“