Durch die Stuttgarter Arena schwappte sogar die La-Ola-Welle. Foto: Baumann/Hansjürgen Britsch

Bei der Heimpremiere von Bundestrainer Hansi Flick in Stuttgart zerlegen Serge Gnabry, Leroy Sané, Timo Werner und Co Armenien nach allen Regeln der Kunst. Dabei zeichnet sich erstmals ab, wie der Fußball nach der Ära Joachim Löw künftig aussehen soll.

Stuttgart - Ein warmer Spätsommerabend, 18 000 Fans und ein spielerisch leichter 6:0 (4:0)-Erfolg gegen Armenien: Die Heimpremiere des neuen Nationaltrainers Hansi Flick in der Stuttgarter Arena ist vollauf geglückt. Am Ende gab es einen zufriedenen Chef, warmen Applaus von den Rängen und Balsam auf die geschundenen Seelen der deutschen Elitekicker. „Wir haben heute eine große Freude gespürt, wieder vor Fans zu spielen. Das haben wir auf dem Platz zurückgegeben, und das macht uns als Mannschaft überglücklich“, sagte Leon Goretzka.

Serge Gnabry (2), Marco Reus, Timo Werner, Jonas Hofmann und Debütant Karim Adeyemi von RB Salzburg schossen einen kraftvollen Sieg in der Qualifikation für die WM 2022 in Katar heraus. Durch den Erfolg haben die Deutschen die Führung in der Gruppe J übernommen. Nimmt man die 90 Minuten als Maßstab, dürfte zumindest die Qualifikation kein Problem darstellen. Ob der WM-Titel dann tatsächlich ein „realistisches Ziel“ ist, wie Nationalmannschafts-Manager Oliver Bierhoff im Interview mit unserer Zeitung geäußert hatte, steht auf einem anderen Blatt.

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Gegen die Armenier war der deutschen Mannschaft von Anpfiff weg das Bemühen anzumerken, es besser zu machen als beim quälenden 2:0 in Liechenstein. Gleich sechs personelle Änderungen nahm Flick vor. Manuel Neuer, Jonas Hofmann, Antonio Rüdiger, Leon Goretzka, Serge Gnabry und Marco Reus rutschten in die Startelf. Vom FC Bayern standen zu Beginn insgesamt sechs Spieler auf dem Platz. Der FCB-Block sollte es unter dem früheren Münchner Coach also richten – und legte gleich prächtig los.

Sané und Gnabry spielen groß auf

5. Minute: Nach Zuspiel von Goretzka jagte Gnabry den Ball mit Vollspann zum 1:0 in den Winkel. Es war die erhoffte frühe Führung, die der DFB-Elf in die Karten spielte. Anders als gegen Liechtenstein boten sich Räume, welche die Gastgeber zu nutzen wussten. Zielstrebig, mutig, mit hohem Passtempo zogen sie einen Angriff nach dem anderen auf. Nach 15 Minuten traf erneut Gnabry. Dieses Mal war es der zuletzt viel gescholtene und dieses Mal stark aufspielende Leroy Sané, der den Ball zu seinem Teamkollegen durchsteckte – 2:0.

„Oh wie ist das schön“, singen die Fans in Stuttgart

So war Stimmung in der Stuttgarter Arena prächtig. „Oh, wie ist das schön“, sangen die Fans – wann hat es das bei einem Deutschland-Spiel zuletzt gegeben? Am Sonntagabend hatten alle Beteiligten mal wieder Spaß. Nur die bemitleidenswerten Armenier nicht. Der Power, Spielfreude und Überzeugung der DFB-Elf hatte der vorherige Tabellenführer nichts entgegenzusetzen.

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Tabellenführer? Tatsächlich besitzt das Drei-Millionen-Einwohner-Land mit seinem Star Henrich Mchitarjan (AS Rom) keine schlechte Mannschaft. Die erste WM-Teilnahme ist das große Ziel. Für Deutschland gilt das selbstredend. Nach der peinlichen, über die EM und den Abschied von Joachim Löw fast schon in Vergessenheit geratenen 1:2-Blamage gegen Nordmazedonien im März darf sich die Mannschaft keinen Ausrutscher mehr erlauben. Denn nur der Gruppenerste qualifiziert sich direkt.

Am Sonntag gab es nach der frühen Führung kein Nachlassen. Timo Werners Hacken-Vorlage vollendete Marco Reus zum 3:0. Neun Minuten später war der Ex-Stuttgarter dann selbst zur Stelle und besorgte die 4:0-Halbzeitführung.

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Es waren famose 45 Minuten, in denen schon viel vom neuen Flick-Fußball zu sehen war. Keine umständlichen Ballstafetten soll es mehr geben, sondern permanentes Angriffspressing und direkten Zug zum Tor. Und das möglichst über 90 Minuten. Nach der Pause ging es mit dem 5:0 durch Jonas Hofmann (52.) zunächst gerade so weiter, ehe gegen Ende die Konzentration vor dem Tor nachließ. Der eingewechselte Adeyemi setzte mit dem 6:0 den Schlusspunkt (90.)

Armenien war kein Übergegner

„Wir haben den nächsten Schritt gemacht. Aber es wird noch Zeit brauchen, um die neue Spielphilosophie zu implementieren“, sagte Flick. In der zweiten Partie unter dem Löw-Nachfolger zeigte die Lernkurve aber schon steil nach oben, auch wenn es letztlich nur Armenien und nach Ansicht von Timo Werner „kein Übergegner“ war. Am Mittwoch auf Island können Flicks Mannen beweisen, dass sie tatsächlich fleißig dazugelernt haben – und nach einer guten Leistung nicht wieder zurückschalten.