Adam Krzeminski gilt als einer der besten Kenner der Beziehungen zwischen seinem Heimatland Polen und Deutschland. Foto: picture alliance /Hendrik Schmidt

Der vielfach preisgekrönte polnische Publizist Adam Krzeminski beklagt eine zunehmende Entfremdung zwischen Deutschland und Polen.

Warschau - Vor 30 Jahren, am 17. Juni 1991, unterzeichneten das wiedervereinte Deutschland und das nicht mehr kommunistische Polen einen Vertrag über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit. Dieser sollte die Grundlage für eine gemeinsame Zukunft in Europa legen. Anlässlich des Jubiläums reist Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier am Donnerstag nach Warschau. Er fährt jedoch in ein Land, dessen aktuelle Regierung in der EU durch ihre nationale Abgrenzungspolitik auffällt.

Herr Krzeminski, mit welcher Schulnote bewerten Sie die aktuellen Beziehungen unserer beiden Länder?

Bei uns in Polen ist ja – anders als in Deutschland – die 6 die beste Note. Ich würde den Beziehungen derzeit allenfalls eine 3-Plus oder 4-Minus geben. Also genügend, höchstens gut mit Abstrichen.

Haben sich diese Beziehungen in den vergangenen Jahren verbessert oder verschlechtert?

Sie haben sich in dem Sinne verschlechtert, dass wir uns auseinanderleben. Ich befürchte sogar, dass es durch den anstehenden Politikerwechsel nach der Bundestagswahl in Deutschland zu einer weiteren Entfremdung kommen kann. Und das, obwohl es eine immer engere wirtschaftliche Verzahnung gibt. Doch gerade in der jüngeren Generation sehe ich nicht mehr die Freude und den Schwung in der Dialogbereitschaft.

Fehlt inzwischen die Neugierde aufeinander, so wie nach dem Umbruch von 1990?

Es geht nicht nur um Neugierde, sondern um die Selbstverständlichkeit des Austausches und die Frage, ob man sich in die Sichtweise des anderen hineinversetzt und so nach Kompromissen für das eigene Handeln sucht. Die jüngere Entscheider-Generation in Polen betreibt vorwiegend eine nationale Nabelschau, die Außenwelt interessiert sie kaum. Auch in Deutschland gerät Polen immer mehr aus dem Blick. Es gäbe zwar viele gemeinsame Probleme wie die Europa-, Energie-, Ost-, oder Migrationspolitik und den Klimawandel. Aber wir diskutieren nicht einmal ausreichend miteinander darüber, geschweige denn, dass wir sie gemeinsam anpacken.

Hat nicht die PiS-Partei genau die Abgrenzung zu Deutschland zu Ihrem Markenkern gemacht?

Mehr noch: Sie hat den nationalen Egoismus zum Nonplusultra ihrer Politik erklärt. Die neue Bildungspolitik der Regierung ist gar nicht mehr auf eine Öffnung ausgerichtet, sondern auf das Gegenteil. Der Bildungsminister hat gerade erklärt, dass die Betrachtung der Welt aus polnischem Blickwinkel vertieft werden müsse. Darunter leidet nicht nur das deutsch-polnische Verhältnis, sondern auch das polnische Selbstverständnis, also die geistige Entwicklung im Lande.

Sie sagten, dass auch das deutsche Interesse an Polen nachlässt. Woran machen Sie das fest?

Für die deutsche Kriegs- und Nachkriegsgeneration im Westen war die europäische Zusammenarbeit noch eine Selbstverständlichkeit. Unter den Jüngeren dagegen beobachte ich einen Rückfall in nationales Denken. Das läuft jetzt übrigens nicht nur bei den Linken und Rechten auch unter dem Motto: Der innige Zusammenhalt mit Amerika ist seit Trump vorbei, wir müssen uns wieder stärker kontinental und national orientieren. Selbst große Teile der CDU diskutieren ja darüber, ob man nicht die Wähler der AfD wieder zurückholen kann, indem die „Mutterpartei“ nationaler wird. Dies alles ist zwar noch nicht gegen Polen gerichtet. Aber Polen ist – im Gegensatz etwa zu Russland mit seinen Räumen und Ressourcen – in diesem Denken gar nicht präsent.

Dazu würden die meisten Deutschen jetzt aber sagen: Die polnische Regierung ist selbst dran schuld, dass ihr Land nicht präsent ist!

Immer, wenn man mit dem Zeigefinger auf den Anderen zeigt, zeigt man mit drei Fingern auf sich selbst. Die deutsche Egozentrik im Knatsch nicht nur mit uns um Nord Stream 2 reicht inzwischen locker für drei Finger. Und nicht gerade ein kleiner Finger – im Polnischen heißt er übrigens der herzliche – waren im September 2015 die fehlenden Konsultationen Berlins mit den Nachbarn vor der Öffnung der deutschen Grenzen für Syrien-Flüchtlinge. Und dies ausgerechnet vor den wichtigen Parlamentswahlen bei uns, die dann den Sieg der PiS-Partei mit einer absoluten Stimmenmehrheit brachte.

Für eine gemeinsame Ostpolitik der EU bräuchte man aber auch Ansprechpartner in Warschau, von deren Seriosität man überzeugt ist!

Absolut. Die Selbstgefälligkeit der national-populistischen Regierung führt Polen leider ins Abseits. Derzeit gibt es überhaupt keine nennenswerte Bereitschaft für eine stärkere Zusammenarbeit in der EU, wenn dadurch nationale oder parteipolitische Interessen der PiS beeinträchtigt werden. Aber eine ähnliche Debatte, ob das Europäische Recht gegebenenfalls über dem deutschen stehen soll, hat doch auch das Bundesverfassungsgericht entzündet. Das heißt, wir bewegen uns beide nicht in die Richtung, die europapolitisch eigentlich notwendig wäre.

Bei der polnischen Präsidentenwahl im vergangenen Jahr schien es noch so, als würden die liberaleren Großstadtbewohner die Allmacht der PiS-Partei brechen können. Was ist von dieser Erwartung übrig geblieben?

Die Lage ist etwas komplizierter: Die PiS hat zwar eine Mehrheit im Parlament, aber keine Mehrheit in der Gesellschaft. Sie hat jedoch erreicht, dass eine Mehrheit der Polen derzeit in der Überzeugung lebt: Die Politik ist nicht so wichtig, denn es geht uns ja wirtschaftlich gar nicht so schlecht. Zudem gibt es keine geschlossene Opposition all jener, die nicht für die PiS sind. Doch die Proteste etwa gegen das Abtreibungsverbot sind auch nicht ohne. In letzter Zeit werden allerdings Risse innerhalb der Vereinigten Rechten auch immer deutlicher. Die PiS ist heute keine kraftstrotzende Partei mehr.

Also wird der Besuch von Bundespräsident Steinmeier in Warschau eher ein Höflichkeitsbesuch?

Nein, nein, das ist schon etwas mehr. Ich bin sehr froh, dass die deutsche Politik zeigt, wie sehr ihr nach wie vor an einer beständigen Politik gegenüber Polen gelegen ist. Die deutschen Politiker dringen auch zu Recht darauf, die Leistungen der Generation nach 1989 nicht zu vergessen. Das ist wichtig. Es geht aber auch darum, dass unsere Beziehungen nicht nur für die Sonntagsreden taugen.