CDU-Chef Friedrich Merz war tagelang die dominante Figur in der Debatte nach dem Attentat von Solingen. Merz hat seinen politischen Instinkt unter Beweis gestellt, aber auch gezeigt, was ihm fehlt, kommentiert unser Korrespondent Tobias Peter.
Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist der nächste Kanzler im Land? Schon lange gibt es keine Zweifel daran, dass Friedrich Merz sich selbst als den besten Regierungschef sieht. Dieses Selbstbewusstsein eint ihn mit dem CSU-Vorsitzenden Markus Söder und auch mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD). Ihnen allen fehlt es am Bescheidenheitsgen. Das ist auch normal. Anders lässt sich der Job an der Spitze einer Regierung auch gar nicht aushalten.
Es ist die Woche des Friedrich Merz. Der CDU-Chef ist – nachdem das grausame Attentat von Solingen das Land erschüttert hat – rasch mit einem Vorschlag an den Kanzler in die Offensive gegangen. Sein Angebot, Änderungen in der Migrationspolitik allein zwischen Union und SPD zu vereinbaren, war zwar ein vergiftetes. Merz wusste, dass Scholz nicht den Bruch der eigenen rot-grün-gelben Regierung riskieren konnte. Aber er hat den Kanzler dazu gebracht, parteiübergreifende Gespräche unter Einbeziehung der Länder einzuberufen.
Dass die Ampel sich jetzt rasch auf Maßnahmen geeinigt hat, die noch vor kurzem nicht möglich gewesen wären, hat auch mit dem hohen Takt zu tun, den Merz zu Beginn der Woche vorgegeben hat. Dass SPD, Grüne und FDP bestimmten Geflüchteten die Leistungen streichen wollen, ist richtig. Diejenigen, für die ein anderer europäischer Staat zuständig ist, sollen ausreisen. Das ist nicht unmenschlich. Sie sind versorgt – außerhalb Deutschlands.
Die Menschen wollen Lösungen
Merz hat also die Debatte tagelang dominiert. Doch hat er auch gezeigt, dass er selbst als Regierungschef geeignet wäre? Die Antwort lautet: Jein. Merz‘ Auftreten ist ein Zeichen von großem politischem Instinkt – und auch dafür, dass er schnell entscheiden kann. Das sind wichtige Eigenschaften für jeden, der Kanzler werden möchte. Der 68-Jährige hat auch eines richtig erkannt: Die Menschen in Deutschland wollen nicht mehr hören, was und warum etwas nicht geht. Sie wollen konkrete Lösungen.
Doch genau an dieser Stelle lässt es Merz an Kanzlerformat vermissen. Sein Vorschlag eines Aufnahmestopps für Syrer und Afghanen ist nicht machbar. Er verstößt eklatant gegen das Grundrecht auf Asyl – und es würde Merz nicht gelingen, ihn umzusetzen, selbst wenn er anstelle von Scholz Kanzler wäre. Auch Merz‘ Idee, durch Ausrufung einer „nationalen Notlage“ deutsches Recht über europäisches Recht zu stellen, ist eine, die er als Regierungschef vernünftigerweise schnell wieder vergessen würde. Die europäische Asylreform ist der einzige Weg, die irreguläre Migration auch nach Deutschland dauerhaft zu begrenzen. Es wäre verantwortungslos, würde die Bundesregierung die mühsam gefundene neue Gemeinsamkeit mutwillig für einen kurzfristigen Vorteil zertrümmern.
Das Vorbild Wolfgang Schäuble
Das Ziel von Merz ist nicht, Sahra Wagenknecht den deutschen Meistertitel in der Disziplin abzunehmen, wer die größte populistische Begabung hat. Er will das Land führen. Deshalb sollte er realistische Vorschläge machen. Sonst nimmt er die Menschen, aber auch seine eigene Ambition nicht ernst.
Merz‘ großes Vorbild, Wolfgang Schäuble, war bekannt für seine Fähigkeit zur rhetorischen Schärfe. Schäuble war aber immer mehr Staatsmann als Rhetoriker. Für die Chance auf einen neuen Asylkompromiss, der eine spaltende Debatte befriedet, hätte er auch auf manch billigen Punktgewinn verzichtet. In den Gesprächen, die es nun zwischen Bund und Ländern sowie der Union geben wird, kann Merz zeigen, ob er dieses staatsmännische Format hat. Da gibt es für ihn, vorsichtig formuliert, noch Luft nach oben. Es sind aber auch schon andere Kanzler geworden, weil sich kein besserer gefunden hat.