Brutale Selektion: Das Traditionsrennen Paris–Roubaix verlangt den Fahrern alles ab. Foto: imago//Vincent Kalut

Das Profirennen Paris–Roubaix ist eine wilde Inszenierung menschlicher Leidensfähigkeit. Wer braucht so etwas eigentlich?

Es ist der frühe Nachmittag am 12. April des Jahres 1998. Der belgische Radprofi Johan Museeuw, von einen Fans mit gebührendem Pathos als Löwe von Flandern bezeichnet, verwandelt die Pedale seines Rennrads in eine fließende Maschinerie aus Athletik und Finesse. Im einsetzenden Regen biegt er inmitten des Felds seiner Berufskollegen in den Wald von Arenberg ein. Der Untergrund besteht aus groben Pflastern, die sich bei Nässe in ein seifiges Terrain verwandeln. Die Rennfahrer hetzen über diese hemmenden Buckel, die Leichtgewichtigen hüpfen bei jeder Unebenheit im Sattel, andere kneten gewaltige Übersetzungen und ignorieren gewaltsam die knochenschüttelnden Unebenheiten der Strecke. Die Augen, meist von Schutzbrillen verborgen, starren ins Leere, die Beine rotieren. Hupende Begleitfahrzeuge rasen hinter dem Feld her. Begeisterte Zuschauer säumen den Weg. Sie wissen: Genau hier fällt bei dem Traditionsradrennen Paris-Roubaix die Vorentscheidung. Museeuw hat diese Tortur zwei Jahre zuvor bereits gewonnen. Jetzt will er wieder angreifen und die Leidensfähigkeit seiner Konkurrenz an die Grenze bringen.