Seit Samstag gilt die neue Corona-Verordnung. Vielerorts brauchen Geimpfte und Genesene unter Umständen nun auch einen Corona-Test. (Symbolfoto) Foto: imago images/Bihlmayerfotografie/ via www.imago-images.de

Gastronomen, Liftbetreiber und Kartenverkäufer im Zoo müssen sich mit deutlich schärferen Corona-Regeln auseinandersetzen und befürchten massive Verluste. Wegen der kurzfristigen Veröffentlichung dürften Details der neuen Regeln etlichen Menschen auch nicht bekannt sein.

Stuttgart - Hier Testpflicht, dort nur eingeschränkt, hier dürfen bis zu 750 Menschen zusammenkommen und dort kein einziger: Menschen in Baden-Württemberg müssen sich wegen der anhaltenden Corona-Lage seit diesem Samstag auf mehr Kontrollen, Tests, deutliche Einschränkungen sowie Verbote einstellen. Allerdings bleiben bei der sehr kurzfristig veröffentlichten Corona-Verordnung auch noch viele Fragen offen. Das gilt unter anderem in Zusammenhang mit den Auffrischungsimpfungen, die von der Testpflicht zum Beispiel in der Gastronomie entbinden.

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Die Landesregierung hofft auf Verständnis und bittet um Nachsicht, sollte das Gefühl der Ungleichheit aufkommen. „Das Leben scheint immer wieder nicht so genau zu den Paragrafen zu passen“, heißt es unter anderem in einem Begleittext zur Verordnung. Das Virus sei ungerecht. Außerdem beschränkten Gerichtsentscheidungen den Spielraum für das Land. „Es gibt bei einer solch außergewöhnlichen Lage wie der Corona-Pandemie oft keine Vorlagen oder Erfahrungen und keine fest entwickelte Rechtsprechung“, heißt es weiter.

Auch etliche Geimpfte und Genesene betroffen

Nach der erst am späten Vorabend veröffentlichten neuen Verordnung schränken die neuen Regeln nicht nur das Leben von ungeimpften Menschen weiter ein. Auch der Alltag von etlichen Geimpften und Genesenen im Südwesten ist so stark betroffen wie bislang in kaum einem anderen Bundesland. Allerdings sind die neuen Maßnahmen für Menschen mit einer Auffrischungsimpfung entschärft worden. So entfällt für sie unter anderem die Testpflicht an vielen Orten.

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Das Land ruft die Polizei auf, Verstöße zunächst nicht zu ahnden. „Wir wissen, dass die neue Verordnung sehr kurzfristig kommt“, sagte der Amtschef des Sozial- und Gesundheitsministeriums, Uwe Lahl. „Das ist eine riesige Herausforderung, etwa für Veranstalterinnen und Gastronomen.“ Das sollten die Polizisten der Städte und Gemeinden berücksichtigen, die für die Kontrolle der Corona-Verordnung zuständig sind. Lahl kündigte Sanktionen „von Ende nächster Woche an“ an.

Ordnungsämter kommen an ihre Grenzen

Die Ordnungsämter kommen bei den Corona-Kontrollen in vielen Kommunen im Südwesten bereits jetzt an ihre Grenzen. Es fehle an Kapazitäten für die zusätzlichen Aufgaben, sagte Christopher Heck vom Gemeindetag. „Man kommt an die Grenzen der Durchführbarkeit.“ Außerdem würden die kommunalen Beamten als Kontrolleure nicht so stark akzeptiert wie die Polizei. Auch Sebastian Ritter vom Städtetag Baden-Württemberg sagt: „Menschen in Uniform haben eine ganz andere Wirkung auf Bürgerinnen und Bürger.“

Nach den neuen Corona-Regeln muss künftig für den Restaurant- und den Zoobesuch, für das Fitnessstudio, den Skilift und vieles mehr ein negativer Corona-Test vorgewiesen werden, auch wenn die Gäste geimpft oder genesen, aber noch nicht „geboostert“ sind. Außerdem werden Großveranstaltungen angesichts der sich zuspitzenden Corona-Krise in Baden-Württemberg untersagt, die wenigen noch geöffneten Weihnachtsmärkte verboten und Clubs sowie Diskotheken geschlossen. Für den Einzelhandel gilt landesweit eine 2G-Regelung (nur Geimpfte und Genesene).

Geisterspiele in den Stadien zurück

Fußball-Bundesligisten müssen zudem vor weitgehend leeren Rängen spielen. Die „Geisterspiele“ sind in den baden-württembergischen Stadien zurück. Denn nach der neuen Verordnung sollen Veranstaltungen jeglicher Art künftig nur noch maximal 50 Prozent der möglichen Besucher zulassen dürfen. Für sämtliche Veranstaltungen wie Fußballspiele oder Kultur- und Freizeitveranstaltungen gilt künftig eine „harte Obergrenze“ von 750 Personen.

Die noch wenigen Weihnachts- und Christkindelsmärkte in Mannheim, Ulm, Karlsruhe, Baden-Baden und Heidelberg haben bereits geschlossen. „Wir bauen aber nicht vor Montag ab, weil alles so unsicher und undurchsichtig ist“, sagte Susanne Filder, die Vorsitzende des Schaustellerverbandes Karlsruhe, am Samstag. „Diese Ungewissheit nicht nur in den vergangenen Tagen geht an die Nerven, das macht total krank.“

Kritik kommt auch aus Baden-Baden: „Die Unsicherheit der vergangenen Tage war für alle Marktbeschicker eine Zumutung“, sagte Nora Waggershauser, die Geschäftsführerin der Kur- und Tourismus GmbH. Sie fordert klare Aussagen zu Hilfsprogrammen für die Beschicker wegen des landesweiten Verbots. Unterstützung forderte auch der Ulmer Oberbürgermeister Gunter Czisch: „Auch wenn es die Coronalage erforderlich macht, Weihnachtsmärkte jetzt zu schließen, muss doch verhindert werden, dass die Beschicker unverschuldet in wirtschaftliche Existenznot geraten“, sagte er.

Einzelhandel sieht sich benachteiligt

Auch der Einzelhandel funkt SOS, er fühlt sich durch die landesweite Einschränkung für ungeimpfte Kunden und zusätzliche Kontrollen benachteiligt. „Mit Einführung der 2G-Regel für den gesamten Einzelhandel muss der Handel in Baden-Württemberg, der in den letzten 20 Monaten bereits zahlreiche Sonderopfer für die Gesellschaft erbracht hat, einen weiteren Schlag ins Gesicht hinnehmen“, sagte Sabine Hagmann, die Hauptgeschäftsführerin des Handelsverbands Baden-Württemberg (HBW). Regel und Kontrollen seien „verfassungswidrig und nicht zielführend bei der Bekämpfung der Pandemie“. Zudem gingen sie weit über einen zumutbaren Akt der Solidarität hinaus.

Mit seinen scharfen Vorgaben geht das Land deutlich über die Beschlüsse von Bund und Ländern hinaus. Es sei wichtig, die vierte Welle zu stoppen, sagte der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) über die neue Verordnung.

Allein am Freitag starben weitere 60 Menschen im Zusammenhang mit dem Coronavirus, wie aus dem Tagesbericht des Landesgesundheitsamtes hervorgeht, weitere mehr als 11 100 Menschen wurden als neue Corona-Fälle gemeldet. In 29 der 44 baden-württembergischen Stadt- und Landkreise lag die Zahl der Infektionen pro 100 000 Einwohner innerhalb einer Woche bei mehr als 500.