Die Ausgangssperre in Baden-Württemberg ist mit Wirkung ab Donnerstag aufgehoben worden. Foto: LICHTGUT/Leif Piechowski/Leif Piechowski

Die Landesregierung hat vom Gericht einen herben Dämpfer für die nächtliche Ausgangssperre erhalten. Die Opposition frohlockt. Die Regierung betont, zuvor schon eine Neuregelung geplant zu haben.

Mannheim - Abends noch einen Freund besuchen, eine Runde joggen oder von einem Date nach Hause schleichen: Ab Donnerstag dürfte das für viele Menschen in Baden-Württemberg wieder möglich sein. Denn der Verwaltungsgerichtshof (VGH) hat die nächtliche Ausgangssperre im Südwesten gekippt. Nach dem am Montag veröffentlichten Beschluss muss die Vorschrift in der Corona-Verordnung, die Ausgangsbeschränkungen von 20 Uhr bis 5 Uhr vorsieht, noch diese Woche außer Vollzug gesetzt werden. Zum letzten Mal gilt sie in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag. Damit hatte nach einer Reihe gescheiterter Anträge eine Frau aus Tübingen Erfolg.

SPD-Fraktion gibt Landesregierung Ratschläge

Die Landesregierung will jetzt nur noch für Corona-Hotspots Ausgangssperren verhängen. Regierungssprecher Rudi Hoogvliet sagte der dpa in Stuttgart, es sei absehbar gewesen, dass angesichts der sinkenden Infektionszahlen in Baden-Württemberg die Frage der Verhältnismäßigkeit gestellt würde. „Jetzt haben wir juristische Klarheit.“

Der 1. Senat des Gerichts argumentiert, die Landesregelung habe zuletzt die gesetzlichen Voraussetzungen nicht mehr erfüllt. Nach dem Infektionsschutzgesetz seien Ausgangsbeschränkungen nur möglich, wenn ihr Unterlassen zu irgendwelchen Nachteilen in der Pandemiebekämpfung führe. Sie kämen nur dann in Betracht, wenn der Verzicht auf sie - auch unter Berücksichtigung aller anderen ergriffenen Maßnahmen - zu einer wesentlichen Verschlechterung des Infektionsgeschehens führe.

Die SPD-Fraktion rät der Landesregierung, Corona-Beschlüsse künftig besser zu prüfen. „Grundrechte sind keine Almosen. Wer sie einschränkt, muss zu jeder Zeit gerichtsfest begründen, warum er dies für unausweichlich hält“, sagte der Abgeordnete Boris Weirauch. Sozialminister Manne Lucha (Grüne) beschädige zum wiederholten Male das Vertrauen in die Corona-Politik der grün-schwarzen Landesregierung. „Das ist Wasser auf den Mühlen der Populisten.“

Die FDP begrüßte die Gerichtsentscheidung. Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke sagte: „Man kann nicht als Landesregierung mit der Begründung eines Inzidenzwerts von 200 Ausgangssperren beschließen und diese bei einem Wert von 60 immer noch aufrechterhalten.“ Landeschef Michael Theurer sprach von einem guten Tag für Bürgerrechte. „Es ist traurig, dass die Landesregierung nicht aus eigenem Antrieb die Maßnahmen auf Wirksamkeit und Verhältnismäßigkeit statt Symbolkraft ausrichtet.“ Die AfD forderte, den Lockdown generell zu beenden.

Umweltminister Franz Untersteller (Grüne) bedauerte den Beschluss: „Vor dem Hintergrund der heruntergehenden Zahlen ist sowas immer zu befürchten gewesen.“ Das werde nicht dazu beitragen, dass die Zahlen weiter sinken.

Richter verglichen aktuelle Zahlen mit denen von Mitte Dezember

Die Mannheimer Richter sehen die Landesregierung auch in der Pflicht, zu prüfen, ob differenziertere, am regionalen Infektionsgeschehen orientierte Regelungen in Betracht kommen. Den gesetzlichen Anforderungen für nächtliche Ausgangsbeschränkungen habe das Land zuletzt - anders als Ende Dezember und Mitte Januar, als Eilanträge erfolglos blieben - nicht mehr entsprochen.

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Das derzeitige Pandemiegeschehen stellt sich für die Mannheimer Richter im Vergleich zu Mitte Dezember und zum Stand vor zwei Wochen bei insgesamt fallenden Zahlen der Sieben-Tage-Inzidenzen regional erheblich differenzierter dar. 26 Kreise lägen nach Zahlen von Donnerstag im Bereich von 51 bis 100, neun Kreise im Bereich von 36 bis 50 und vier Kreise unter 35. Kreise mit vergleichsweise niedrigen Werten seien inzwischen nicht etwa bloße „Inseln“, sondern teils zusammenhängende Regionen.

Regierungssprecher Hoogvliet sagte: „Auch wir hatten schon überlegt, die landesweite Regelung aufzuheben und eine regionale Regelung daraus zu machen.“ Man habe am Wochenende schon Kontakt mit der Staatsregierung in Bayern gehabt, um gemeinsam zu überlegen, wann man die landesweite Regelung im Gleichschritt aufheben könne.

Erfolg solcher Klagen ist eher die Ausnahme

Das Gericht ließ das bisherige Argument des Landes nicht gelten, eine „verfrühte“ Aufhebung der Beschränkungen berge die Gefahr eines erneuten exponentiellen Wachstums der Infektionszahlen. Dies sei zu pauschal und undifferenziert. Bürger, die in Kreisen mit besonders hohen Inzidenzwerten wohnten, in denen beispielsweise nächtliche Ausgangsbeschränkungen nochmals gezielt durch kommunale (Allgemein-)Verfügungen angeordnet werden könnten, dürften diese Kreise aufgrund der dann regionalen Regelung nicht verlassen.

Schon deshalb wäre bei etwaigen kommunalen Ausgangsbeschränkungen nicht mit massenhaften Ausweich-Tendenzen zu rechnen. Unklar war aus Sicht des Gerichts auch, wohin und mit welchem Zweck sich die Menschen nachts aus ihrem Wohnort fortbewegen sollten. Der Beschluss vom 5. Februar ist unanfechtbar (Az. 1 S 321/21).

Dass solche Klagen Erfolg haben, ist eher die Ausnahme. Laut einem VGH-Sprecher liege die Quote an allen Corona-Eilverfahren „deutlich unter zehn Prozent“. Unter anderem kippte der VGH aber die pauschale Schließung von Hundesalons und Bordellen. Schon nach dem ersten Lockdown kassierten Richter die Zutrittsbegrenzung im Einzelhandel, nach der auf 20 Quadratmetern Verkaufsfläche im Laden nur eine Person kommen durfte. Im Oktober fiel dann das Beherbergungsverbot für Gäste aus deutschen Regionen mit einer Sieben-Tage-Inzidenz von mehr als 50 neu gemeldeten Corona-Fällen pro 100 000 Einwohner. Insgesamt gingen beim VGH im Zuge der Pandemie schon mehrere Hundert Klagen ein.