Eine Frau kümmert sich um einen Angehörigen in einem Krankenhaus. Foto: dpa/Chinatopix

Überfüllte Notaufnahmen, sinkende Wirtschaftszahlen: Der Übergang zum „Leben mit dem Virus“ bringt das Land an seine Belastungsgrenzen. Erst ab Frühjahr dürfte sich die Lage bessern.

Das Zhongshan-Krankenhaus in Shanghai zählt zu den renommiertesten Kliniken Chinas, über vier Millionen Patienten werden hier jährlich behandelt. Doch seit einigen Tagen herrscht in den Gängen der riesigen Notaufnahme ein anhaltender Ausnahmezustand: Hektisch transportiert das Pflegepersonal riesige Sauerstoffbehälter durch die Korridore, viele von ihnen verrichten ihre Arbeit trotz Covid-Symptomen. Die meist älteren Patienten liegen zu Dutzenden in den Fluren herum, umrundet von besorgten Angehörigen. Einige der Kranken müssen gar bei einstelligen Celsius-Temperaturen im Freien ausharren, wo sie ihre Infusionen verabreicht bekommen.

Knapp einen Monat nach dem plötzlichen Ende der „Null Covid“-Politik in China zeigt sich, dass der harsche Coronawinter für das Land noch lange nicht vorbei ist. In nur wenigen Wochen haben sich im Reich der Mitte mehrere Hundert Millionen Menschen infiziert. Die meisten von ihnen sind zwar bereits genesen, was in den Metropolen Peking und Shanghai wieder zu gut besuchten Einkaufszentren und Restaurants geführt hat, doch zeitversetzt hält weiterhin eine gesundheitspolitische Tragödie an, die wegen der systematischen Zensur für die meisten der Chinesen im Verborgenen bleibt.

Ansturm an Infizierten

Hinter den Kulissen zeigt sich allerdings deutlich, wie wenig das chinesische Gesundheitssystem auf den Ansturm an Infizierten vorbereitet ist. In den hastig errichteten Fieberkliniken des Landes beträgt die Wartezeit für eintreffende Patienten im besten Fall mehrere Stunden. In Peking berichteten Betroffene immer wieder davon, dass sie aufgrund des eklatanten Platzmangels ihre eigenen Betten mitbringen sollten. Und auch die Versorgung für grundlegende Fiebermittel ist nach wie vor prekär. All dies spielt sich, wohlgemerkt, in den wohlhabenden Ostküstenmetropolen ab, deren Gesundheitsversorgung durchaus an (süd-)europäische Standards heranreicht.

Der größte Belastungstest bahnt sich hingegen in den chinesischen Hinterlandprovinzen an, wo die Krankenhäuser bereits zu Vorkrisenzeiten unterbesetzt waren. Spätestens Mitte Januar wird die Coronawelle auch die letzten Winkel des Landes erreichen. Zum traditionellen Neujahrsfest besuchen Millionen Chinesen ihre Familien in der Heimat. „Was uns am meisten Sorgen macht, ist, dass es drei Jahre her ist, seit die Menschen nach Hause reisen konnten, um das neue Jahr zu verbringen. Es könnte nun einen ganz besonders hohen Ansturm von Menschen aus den Städten aufs Land geben“, sagte kürzlich eine Vertreterin der Nationalen Gesundheitskommission.

Tests für Einreisende aus China

Die Europäische Union, die auf einem Berg von bald ablaufenden Impfpräparaten sitzt, hat der chinesischen Regierung bereits kostenlose Lieferungen zugesichert. Bisher ist Peking eine Antwort schuldig geblieben. Der chinesische Staat hat nach wie vor keine ausländischen Impfstoffe für die eigene Bevölkerung zugelassen. China will sich offenbar nicht vom Westen abhängig machen. Dort geht bereits die Angst um, dass die massive Coronawelle in China eine weitere Virusmutation begünstigen könnte. Etliche Länder haben verpflichtende PCR-Tests für Einreisende aus China eingeführt. Dass das Außenministerium in Peking über eine „unwissenschaftliche“ Diskriminierung wettert, wirkt fast schon ironisch: China selbst hat während weiter Strecken der Pandemie niemanden ins Land gelassen, der nicht mehrere Wochen Zwangsquarantäne, PCR-Tests und Blutentnahmen über sich ergehen ließ. Nun hat sich das Blatt gewendet, die „Null Covid“-Bastion ist zum weltweiten Corona-Hotspot geworden. Angesichts der Lage wirkt die Neujahrsansprache des Staatspräsidenten Xi Jinping realitätsfremd. Darin behauptet der 69-Jährige, dass China von ausländischen Staatschefs großes Lob für seinen Coronakampf erhalten habe.

Die Zahl an Coronatoten wird von den Behörden dabei de facto unter Verschluss gehalten. Nachdem die Nationale Gesundheitskommission zuletzt nur mehr schöngefärbte Daten veröffentlichte, hat sie die täglichen Updates jüngst vollständig eingestellt. Wer konkrete Zahlen in Erfahrung bringen möchte, muss sich mit Schätzungen aus dem Ausland begnügen, die ihre Prognosen auf unvollständige Modellrechnungen stützen. Das Londoner Unternehmen Airfinity ging zunächst von 5000 Corona-Todesfälle pro Tag aus, ehe es den Richtwert vergangene Woche auf insgesamt 9000 Tote nach oben korrigierte.

Wirtschaftlich sind zumindest die positiven Effekte der Corona-Öffnung am Horizont sichtbar, doch kurzfristig wird der Übergangsprozess ebenfalls schmerzhaft sein. Der vom Wirtschaftsmagazin „Caixin“ herausgegebene Einkaufsmanagerindex für China ist im Monat Dezember ein weiteres Mal gesunken, auch der staatliche Einkaufsmanagerindex liegt derzeit auf dem niedrigsten Wert seit Februar 2020. Das bedeutet im Klartext: Die Wirtschaftstätigkeit der in China ansässigen Unternehmen ist Ende des Jahres signifikant geschrumpft.