Eine Frau holt in einer Apotheke in Peking Covid-19-Antigen-Kits ab. Foto: dpa/Andy Wong

Infizierte Ärzte, fehlende Schnelltests: In Peking zeigt sich immer deutlicher, wie unvorbereitet und überhastet die Regierung die Öffnung des Landes eingeleitet hat.

Wenn einige Medien die Coronawelle in China als „wütenden Tsunami“ umschreiben, dann ist dies keineswegs eine Übertreibung: In den Krankenhäusern von Peking über Chengdu bis nach Guangzhou müssen bereits etliche Ärztinnen und Ärzte trotz Corona-Infektion zur Arbeit gehen, um den Betrieb aufrechthalten zu können. Doch auch das kann nicht verhindern, dass die Leute vor den Notaufnahmen mehrere Stunden auf Einlass warten müssen.

Insbesondere in Peking zeigt sich, wie unvorbereitet und hastig die Regierung die Öffnung des Landes eingeleitet hat: Die zuvor letzte Null-Covid-Bastion hat sich in nur wenigen Tagen zum weltweit größten Coronahotspot entwickelt.

Die Hälfte der Kollegen leidet an Corona

Die Angestellte eines Staatsunternehmens im Stadtzentrum berichtet, dass in ihrer Abteilung derzeit mehr als die Hälfte ihrer Kollegen an Coronasymptomen leidet. Ein ausländischer Rechtsanwalt bestätigt: In seiner Kanzlei sei derzeit mindestens ein Drittel des Personals entweder positiv oder hat einen Covid-Fall im Haushalt.

Die Logistik wird zwar weiterhin von den Lieferkurieren auf ihren bunten E-Scootern am Laufen gehalten, doch auch das könnte bald kippen: Im zentralen Bezirk Dongcheng liegen riesige, meterhohe Paketberge verwahrlost am Straßenrand. Der Grund: Zu viele Lieferkuriere müssen coronabedingt das Krankenbett hüten.

Die „Reise-App“ wurde deaktiviert

Doch neben einer tiefen Verunsicherung macht sich auch ein Gefühl des Aufatmens unter vielen Chinesen breit: Nachdem die Regierung bereits zu Beginn des Monats ihre rigiden Lockdown-Maßnahmen aufgegeben hat, verabschiedet sie sich nun auch noch von der sogenannten „Reise-App“, die in der Nacht auf Dienstag deaktiviert wird.

Jene App hat per Mobilfunkdaten ermittelt, ob sich der Nutzer in den vergangenen zwei Wochen in einem Hochrisikogebiet aufgehalten hat. Jeder im Land musste sie verpflichtend vorzeigen, um Zugang zu Hotels, Bahnhöfen oder auch offiziellen Regierungsveranstaltungen zu bekommen. Wann immer der „grüne Pfeil“ der Reise-App auf Rot umschwenkte, konnten die Behörden jeden Bürger ohne weitere Gründe festsetzen.

Sind internationale Reisen bald wieder möglich?

Nun also können die Chinesen in ihrem Land wieder ohne Angst vor Zwangsquarantäne andere Provinzen besuchen. Und schon bald wird auch der internationale Reiseverkehr nachziehen, wie Chinas US-Botschafter Qin Gang während einer Rede in Chicago andeutet: „Ich glaube, dass in der nahen Zukunft weitere Anpassungen vorgenommen werden, die auch den internationalen Reiseverkehr betreffen“. Unter Fachkreisen kursiert seit Längerem das Gerücht, dass die Volksrepublik spätestens Mitte Januar die verpflichtende Einreisequarantäne durch ein dreitägiges „Gesundheitsmonitoring“ ersetzen wird. Doch derzeit ist an Reisen noch nicht zu denken. Momentan trauen sich die meisten Pekinger schließlich nicht einmal vor die Haustür, um sich vor einer Infektion zu schützen.

Taiwan und Südkorea machen es besser

Die Causa China zeigt nicht nur, dass es aufgrund des hochinfektiösen Omikron wohl keine reibungslose Öffnung geben kann. Doch während in Taiwan und Südkorea die Behörden durch vorbereitende Maßnahmen und sukzessive Lockerungen das Allerschlimmste abwenden können, treten in der Volksrepublik dieser Tage deutlich die Schwachstellen der Regierung offen zutage.

Masken und Selbsttests fehlen

Erst jetzt, Monate zu spät, kurbeln die Staatsunternehmen die Produktion von hochwertigen N-95-Masken an – bislang waren im Reich der Mitte vorwiegend OP-Masken üblich. Auch Antigen-Tests und fiebersenkende Medikamente sind derzeit Mangelware. Und dass das Land endlich ausländische mRNA-Vakzine zulässt, ist selbst langfristig nicht absehbar. Dabei könnten diese viele Tote abwenden, denn gerade bei den besonders gefährdeten über 80-Jährigen liegt die Booster-Rate nach wie vor bei 40 Prozent. Vor allem aber zeigt sich, wie schwierig es für das chinesische System ist, gesundheitspolitische Transparenz zuzulassen. Am Montagmorgen meldete die nationale Gesundheitskommission für die letzten 24 Stunden weniger als 9000 neue Ansteckungen und 0 Virustote landesweit, für Peking sind es sogar nur rund 1000 Fälle. Die absurd irreführenden Zahlen ohne Einordnung öffentlich zu kommunizieren, ist höchst fahrlässig – unter anderem, weil sich dadurch viele Senioren möglicherweise weniger Anreize haben könnten, sich nun impfen zu lassen.

Herausforderung für Xi Jinping

Die politischen Folgen der überhasteten Öffnung könnten auch für den Parteivorsitzenden Xi Jinping eine massive Herausforderung darstellen. In den nächsten Wochen und Monaten werden wohl auch nach konservativen Schätzungen Hunderttausende Menschen an dem Virus sterben, ohne dass diese mutmaßlich in den offiziellen Zahlen auftauchen werden.