Cannabis gilt vor allem als gefährlich für Jugendliche und Heranwachsende (Symbolbild). Foto: Caro / Sorge/Caro / Sorge

Kommt mit einer Ampel-Koalition auch eine Legalisierung von Cannabis? Grüne und FDP sind sich einig, den Besitz und Konsum zu erlauben. Welche Erfahrungen haben Staaten wie Kanada gemacht, an denen sich die Berliner Politiker orientieren? Ein Überblick .

Stuttgart - Eine Legalisierung von Cannabis samt regulierter Zulassung von Anbau, Großhandel, Transport und Einzelhandel ist ohne Beispiel in der Europäischen Union. Die Grünen nennen als Vorbild Kanada, wo seit drei Jahren Volljährige in staatlich lizenzierten Shops Cannabis kaufen dürfen. Wegen der geringen Zahl an Shops, hohen Preisen und begrenzter Auswahl ist der Schwarzmarkt in Kanada bislang nur geschrumpft, aber nicht verschwunden.

Als Käufer sind in allen in Deutschland kursierenden Modellen und Gesetzesvorschlägen ausschließlich Erwachsene vorgesehen. Cannabis gilt vor allem als gefährlich für Jugendliche und Heranwachsende, weil das Gehirn durch Cannabiskonsum in seiner Entwicklung beeinträchtigt wird. Weder FDP noch Grüne planen, dass sich volljährige Käufer registrieren müssen oder anderweitig ausgeschlossen werden – etwa wegen Vorstrafen oder missbräuchlichem Konsum. Als maximale Besitzmenge schlägt die FDP 15 Gramm vor, die Grünen bis 30 Gramm.

Die Zahl der Konsumenten reicht von 1,2 bis 4 Millionen Deutsche

Nach Zahlen der Bundesregierung konsumieren etwa 1,2 Millionen Menschen in Deutschland zwischen 18 und 64 Jahren „etwa monatlich oder häufiger“ Cannabis. Andere Quellen kommen auf bis zu 4 Millionen Cannabiskonsumenten im Land. Ziel der Cannabisfreigabe ist nicht, dass diese Zahl weiter wächst, weshalb ein striktes Werbeverbot gelten soll. Eher sollen begleitende Beratungsangebote und eine verstärkte Suchtprävention langfristig die Zahl der Konsumenten senken.

Beispiel Kanada: Das freizügigste Land – seit 2018 Cannabis legalisiert

In Kanada kann seit genau drei Jahren, seit dem 17. Oktober 2018 in staatlich lizenzierten Läden Cannabis legal erworben werden. Kanada war damals das erste große Industrieland, das Cannabis und das Cannabisprodukt Marihuana als Freizeitdroge für Erwachsene legalisierte, das erste G7- und G20-Land. Der Konsum von Cannabis aus medizinischen Gründen war in Kanada zwar 2001 legalisiert worden. 2015 ging die Liberale Partei von Justin Trudeau das Risiko ein, die volle Legalisierung in das Wahlprogramm aufzunehmen – und gewann die Wahl.

Im Sommer 2018 war das Gesetzgebungsverfahren abgeschlossen, im Oktober begann der Verkauf. Kanadierinnen und Kanadier, die mindestens 18 Jahre alt sind, dürfen nun bis zu 30 Gramm getrocknetes Cannabis besitzen und konsumieren und bis zu vier Cannabispflanzen dürfen pro Haushalt für eigenen Konsum angebaut werden.

Gesundheitsschutz und öffentliche Sicherheit waren das Ziel

Ziel der Neuausrichtung der Drogenpolitik waren Gesundheitsschutz und öffentliche Sicherheit. Die Regulierung von Anbau und Verkauf sollte bewirken, dass Jugendliche nicht so leicht an Cannabis kommen, zudem sollte der illegale Handel ausgetrocknet werden. Trudeau sagte damals: „Für unsere Kids war es zu leicht an Cannabis zu kommen und Banden und Dealer steckten den Profit ein. Das wird sich ändern.“

Die Legalisierung von Cannabis gab zunächst der Cannabis-Industrie einen gewaltigen Schub, mittlerweile hat sich angesichts der Kosten und der strikten Regulierung Ernüchterung breit gemacht. Ein Problem war das uneinheitliche Vorgehen der Provinzen – etwa Ontario, die größte kanadische Provinz, wo kurz vor Legalisierung der rechtspopulistische Premier Doug Ford an die Regierung kam. Er warf die Vorbereitung der liberalen Vorgängerregierung über den Haufen. Zudem machte in vielen Provinzen die strikte Regulierung und Besteuerung das legale Cannabis teurer als das illegale.

Die Gesetzgebung ist kein „soziales Allheilmittel“

Ein schlüssiges Gesamtbild, wieweit die Legalisierung ein Erfolg war, gibt es noch nicht. Die letzten Zahlen der Statistikbehörde Statistics Canada von Ende 2020 deuten in die richtige Richtung. Bezogen Anfang 2018, also vor Legalisierung, nur 23 Prozent der Cannabis-Konsumenten ihren Stoff aus legalen Quellen, waren es im vierten Quartal 2020 schon 68 Prozent. Der Erwerb aus illegalen Quellen sank von 51 auf 35 Prozent. Die Zahl der Konsumenten – Kanadier über 15 Jahren die in den drei Monaten vor den Umfragen konsumierten – stieg seit der Freigabe um sechs Prozent. Der vielfach befürchtete gewaltige Anstieg blieb somit aus.

Der britische „Guardian“ schrieb im Frühjahr 2020, Kanadas Erfahrung zeige, dass die Cannabis-Gesetzgebung nicht als „soziales Allheilmittel“ wirkten. Dass aber Kanadier nicht mehr wegen Cannabis-Konsums inhaftiert werden können, sei ein „großer fundamentaler Schritt nach vorne.

Beispiel Niederlande: Die Drogenmafia fordert den Staat heraus

In den Niederlanden gibt es schon seit 1976 so genannte Coffeeshops, in denen weiche Drogen und vor allem die Hanfprodukte wie Cannabis, Marihuana, Haschisch, erhältlich sind. Das Gramm „wiet“ wie diese Hanfprodukte in Holland genannt werden, kostet derzeit knapp zehn Euro. Einkaufen darf dort nur, wer älter als 18 Jahre ist. Pro Person dürfen maximal fünf Gramm „wiet“ abgegeben werden. Das zu kontrollieren ist so gut wie unmöglich. Die niederländischen Coffeeshops haben allerdings ein großes Problem: Sie dürfen den Stoff für den Joint zwar verkaufen. Sie dürfen ihn aber nicht legal einkaufen.

Diese schizophrene Drogenpolitik wird in den Niederlanden „Gedoogbeleid“ genannt. „Gedoogen“ steht für tolerieren. Toleriert wird vom Staat der Verkauf der weichen Cannabis-Drogen in kleinen Mengen. Im juristischen Sinne legalisiert wurde der Drogeneinkauf oder -verkauf aber nie. Das führte dazu, dass in den Niederlanden in den letzten Jahrzehnten eine mächtige und inzwischen sehr gewalttätige Drogenmafia entstand. Denn die Coffeeshops müssen ihre Drogen illegal auf dem Schwarzmarkt bei der Mafia einkaufen.

Starreporter Peter R. de Vries wird am 6. Juli von einem Killer erschossen

Um diese Situation zu verändern, gab es seitens der Politik zahlreiche Versuche, sie zu beenden. Sie reichten vom vollständigen Verbot aller Coffeeshops bis zur vollständigen Legalisierung des Einkaufs, des Verkaufs, des Konsums und des Anbaus von weichen Drogen. Im Februar 2017 stimmte das niederländische Parlament für einen staatlich kontrollierten Hanf-Anbau. Das Gesetz ist noch nicht in Kraft, weil es vom Senat (Erste Kammer) noch nicht verabschiedet wurde. Es gibt daran heftige Kritik, weil dadurch der Staat de facto zum Dealer würde.

Die mächtige Drogenmafia, die derzeit von einem marokkanischen Clan dominiert wird, fordert den Staat offen heraus. Drogenboss Ridouan Taghi (43) sitzt seit 2019 im Gefängnis. Ihm wird derzeit der Prozess gemacht. Mutmaßlich auf Taghis Befehl wurden alleine schon in diesem Jahr drei an diesem Prozess als Zeugen, Anwälte und Berater beteiligte Personen liquidiert. Unter ihnen der Starreporter Peter R. de Vries, der am 6. Juli in Amsterdam von einem Auftragskiller erschossen wurde.

Zudem gibt es in den Niederlanden einen neuen Drogentrend: Weg vom Cannabis hin zum Kokain. Aber auch beim Cannabis steigt die Suchtgefahr durch den immer höheren THC-Gehalt. Der in den Niederlanden oft in Gewächshäusern illegal produzierte so genannte „Nederwiet“ hat in der Regel einen THC-Gehalt zwischen 16 und 18 Prozent.

Das Fazit aus den Niederlanden: Die schizophrene Drogenpolitik hat die Niederlande zum Narko-Staat gemacht und durch den hohen THC-Gehalt im Cannabis wird das Rauchen eines Joints immer schädlicher und gefährlicher für die Gesundheit.

Beispiel USA: Hanf-Rausch in Kalifornien

In den USA waren Konsum, Besitz und Verkauf von Cannabis die meiste Zeit des vorangegangenen Jahrhunderts verboten. Die Prohibitionsjahre begannen 1911 und erstrecken sich bis in die Gegenwart, wobei einzelne Bundesstaaten ab den 70er Jahren damit begonnen hatten, Strafen für den Besitz von geringen Mengen Marihuana zu reduzieren. Kalifornien war 1996 der erste US-Staat, der den Verkauf von Cannabis legalisierte – zunächst nur für den medizinischen Gebrauch.

Der eigentliche Dammbruch geschah 2012, als Colorado das Rauschmittel zur Freizeitentspannung zuließ. Heute gibt es mehr US-Bundesstaaten, in denen der Besitz von Marihuana zu medizinischen oder Entspannungszwecken straffrei ist, als umgekehrt. In 19 Bundesstaaten sowie der Hauptstadt Washington im District of Columbia ist Marihuana legal.

US-Präsident Joe Biden befürwortet die Legalisierung

In manchen Regionen ist der Anbau von Marihuana zum Wirtschaftsfaktor geworden. Das größte Anbaugebiet für Cannabis in den USA befindet sich nördlich von San Francisco. Allein im letzten Jahr wurden in Kalifornien THC-Produkte im Wert von 3,5 Milliarden Dollar verkauft. Nach dem Goldrausch erlebt das Bundesland heute einen Hanf-Rausch. Seit einigen Jahren wird in Washington überlegt, den Verkauf von Cannabis landesweit zuzulassen. Sowohl US-Präsident Biden als auch Vizepräsidentin Harris haben sich dafür ausgesprochen. Laut Umfrage befürworten 91 Prozent der US-Amerikaner eine Legalisierung von Marihuana wie in Kanada.

Beispiel Italien: Italien stimmt 2022 mit einem Referendum ab

In Italien herrschen strenge Sitten: Schon ab dem Besitz von fünf Gramm Cannabis drohen Gefängnisstrafen bis zu sechs Jahren. Italiens Gefängnisse sind gefüllt mit Drogendelinquenten, wobei sieben von zehn der Verurteilten wegen Mengen und Substanzen einsitzen, die andernorts als Bagatelle bewertet würden.

Doch dies könnte sich bald ändern: Im September hat die Justizkommission der Abgeordnetenkammer grünes Licht gegeben für ein neues Gesetz, das den Anbau von bis zu vier Hanfpflanzen zum Eigenkonsum erlauben soll. Einen Schritt weiter geht ein Volksbegehren, das für Plantagen auf Balkonen und in Hinterhöfen keine Mengenbegrenzung vorsieht. Das Referendumskomitee hat in kurzer Zeit die erforderlichen 500 000 Unterschriften gesammelt: Italien wird voraussichtlich 2022 über die Vorlage abstimmen können.

Die Mafia verdient Milliarden am Schwarzmarkt der Cannabinoide

Das Referendum wird von mehreren Gruppierungen, darunter Linksparteien und die Kleinpartei „Più Europa“ der ehemaligen EU-Menschenrechtskommissarin und Ex-Außenministerin Emma Bonino, unterstützt. Die Ausgaben für den Konsum verbotener Substanzen in Italien beziffern sie auf jährlich 16,2 Milliarden Euro, die direkt der Mafia zufließen. Davon stammten 6,3 Milliarden Euro aus dem Schwarzmarkt der Cannabinoide. „Die Legalisierung der Produktion, des Handels und des Vertriebs von Cannabisderivaten wäre ein schwerer Schlag für die Drogenmafia“, so die Initiatoren der Referendumskampagne.