Immer mehr Menschen protestieren gegen eine Landeserstaufnahme in der Nähe von Tamm und Asperg. Das Land will dort rund 1000 Geflüchtete unterbringen.
Dunkle Wolken hängen über Tamm an diesem Sonntag gegen 14 Uhr. Die Stimmung ist friedlich – rund 2000 Menschen sind dem Aufruf der Bürgerinitiative Gemeinsam gegen Lea Tamm-Asperg (GGLTA) gefolgt. Sie protestieren gegen die geplante Landeserstaufnahme, kurz Lea genannt, und versammeln sich im Tammer Gewerbegebiet Lehenfeld in Sichtweite zum Schanzacker. Die Polizei und ein Security Dienst sichern das Areal vor der Bühne ab.
An den ersten Demonstrationen nahmen 1000 und 1800 Menschen teil
Im Februar war durchgesickert, dass das Land die Lea auf dem Areal bauen will. Das geplante Projekt auf Ludwigsburger Gemarkung löste Proteste aus, denn der Regionale Grünzug sollte nicht bebaut werden. So scheiterte im Jahr 2009 die Ansiedlung von Gewerbe dort. Der Widerstand gegen das aktuelle Vorhaben formierte sich schnell. Die GGLTA fungiert als Sammelbecken all derer, die im öffentlichen Protest den einzigen Weg sehen, die Frischluftschneise der Gemeinden Asperg und Tamm am Hohenasperg zu schützen. Nach zwei großen Demonstrationen auf dem Rathausplatz in Tamm – mit zunächst etwa 1000 und dann 1800 Teilnehmern sowie rund 2500 Unterschriften gegen die Lea-Pläne – manifestiert sich der Protest nun erstmals in unmittelbarer Nähe des Schanzackers.
Als Redner tritt unter anderem Holger Schnabel auf, ein Unternehmer aus Tamm. „Wir hören nicht auf, und wir geben auch nicht nach“, ruft er entschlossen und weist auf „genügend Alternativen in bestehenden Gebäuden im Land“ hin. Für eine Lea im Schanzacker gebe es keine Straße, keine Infrastruktur – die Kosten mit Erschließung beziffert Schnabel auf 150 Millionen Euro. Applaus brandet auf, als der Unternehmer mögliche Straftaten der Asylbewerber gegen „leicht bekleidete“ Freibadbesucher, ältere Spaziergänger sowie nächtliche Tankstellenmitarbeiter beschreibt und rhetorisch fragt: „Wer garantiert für die Sicherheit?“
Eine Großeinrichtung wie eine Lea mit mehr als 1000 Asylbewerbern – das bringe zu viele Risiken mit sich: Besser seien kleine Einrichtungen mit 200 bis 300 Geflüchteten, meint später auf der Bühne Günter Pfersich, Freie-Wähler-Stadtrat in Asperg und Sprecher der ortsübergreifenden Initiative von allen Asperger und Tammer Räten. Die Belastung für die Orte sei zu hoch: Asperg sei die am drittstärksten besiedelte Gemarkung Baden-Württembergs und Tamm mit rund 12 600 Einwohnern die fünftstärkste Stadt im Landkreis Ludwigsburg.
Die Kommunen am „Demokratenbuckel“ Hohenasperg haben auch Angst, bei der Nutzung der 22 Hektar im Schanzacker, von denen 15 Hektar dem Land gehören, langfristig ausgetrickst zu werden. Das unterstrich Günter Pfersich: „Die restliche Fläche könnte zu einem Gewerbegebiet umstrukturiert werden, wie dies Ludwigsburg schon vor über zehn Jahren geplant hatte.“ Ludwigsburg hätte die Gewerbesteuereinnahmen, Asperg und Tamm den Verlust der Freifläche und die sozialen Probleme.
Wächst die Politikverdrossenheit durch die Flüchtlingspolitik?
Trotz einiger Erfolge in der Flüchtlingsarbeit in Asperg und Tamm erscheine es fraglich, ob die Integration so vieler Menschen auf engem Raum gelinge – zumal Fachkräfte in der Sozialarbeit fehlten, erklärt Thomas Walker, Pressesprecher der Initiative GGLTA. Dass Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) nach dem Nein des Pforzheimer Gemeinderats ankündigte, eine Lea auch gegen den Willen von Standortkommunen durchzusetzen, schüre die Politikverdrossenheit, so Walker, 57 Jahre alt und Qualitätsmanager eines Automobilzulieferers. Ein Dialog sei unbedingt notwendig.
Banner oder Fahnen von Parteien sind an diesem Protesttag nicht zu sehen. Die Bürgerinitiative hatte noch einmal im Vorfeld betont, sie sei politisch neutral. Wer versuche, Flyer zu verteilen wie die AfD-Jugend es bei einer der Demos versuchte hatte, müsse das Gelände verlassen, erklärt Walker.
Im engen Austausch mit der Initiative stehen die Bürgermeister. Der Asperger Rathauschef Christian Eiberger heißt die Demonstrationen gut, denn der Standort sei falsch. „Der Widerstand ist kein Sprint, sondern ein Marathon – wir müssen uns an vielen Stellen Gehör verschaffen.“ Beides, Protest und Dialog, müssten dauerhaft betrieben werden. Mit ihrem Nein zu einer Landeserstaufnahme wollten die Bürger kein Signal zu einer Fremdenfeindlichkeit setzen, betonte Eiberger. Bund und Land machten es sich mit ihrer Verteilpolitik aber zu einfach. In den Flüchtlingsgipfeln werde Geld ausgeschüttet, jedoch mangele es an Integration. „Ich habe den Eindruck, dass wir Kommunen und die Bevölkerung mit ihren Sorgen immer weniger ernst genommen werden.“
Nicht eingeladen worden war der Ludwigsburger Oberbürgermeister Matthias Knecht. Er hatte sich im Vorfeld nicht völlig gegen eine Lea im Schanzacker ausgesprochen und den Bau als „Ultima Ratio“ bezeichnet, sollte das Land keine besseren Standorte finden. „Ich bin gerne bereit, auf einer künftigen Versammlung zu sprechen, möchte aber nicht provozieren, denn der soziale Frieden zwischen den drei Kommunen ist am wichtigsten“, sagte er am Freitag. Knecht hatte das Land aufgefordert, acht bis zehn weitere mögliche Standorte zu nennen. Der Ludwigsburger Gemeinderat lehnt eine Lea auf dem Schanzacker ab.