Die Vorfreude in Oberhof ist groß. Foto: imago/Jacob Schröter

Nach der WM im Rodeln steigt nun die WM im Biathlon in dem 1600-Einwohner-Ort Oberhof. Dafür hat Thüringen 84 Millionen Euro in die Sportstätten investiert – und auch eine Neiddebatte hervorgerufen.

Bis eben waren im Oberhofer Biathlonstadion nur die auf Hochtouren arbeitenden Schneekanonen zu hören gewesen. Doch nun wird es richtig laut auf den Zuschauerrängen der WM-Arena. Ein endloser Strom lebhafter Schülerinnen und Schüler drängt die schneebedeckten Stufen hinunter. Am Ende der Treppe angekommen, empfängt die Lehrerin die Kinder – und zeigt als Erstes mit einer ausladenden Geste auf den Innenraum der Anlage. Dorthin, wo weiter eifrig Kunstschnee produziert wird. Und wo an diesem Mittwoch (14.45 Uhr/ZDF und Eurosport) in der Mixed-Staffel die ersten Medaillen bei den Biathlon-Weltmeisterschaften vergeben werden.

Ehemalige Kaderschmiede des DDR-Wintersports

Kurz nach der WM im Rodeln Ende Januar steigen in Oberhof jetzt also gleich die nächsten großen Wintersport-Titelkämpfe. In die Modernisierung der beiden Sportstätten am Rennsteig hat Thüringens Landesregierung in den letzten drei Jahren insgesamt 84 Millionen Euro investiert, der Bund steuerte davon 9,5 Millionen Euro bei. „Wir müssen zusehen, dass wir die Dinge vor Ort so gestalten, dass wir trotzdem noch für eine längere Zeit Wintersport machen können“, erläutert Hartmut Schubert, Chef des Oberhofer Organisationskomitees, der mit Blick auf die fortschreitende Erderwärmung einräumt: „Ja, wir produzieren Kunstschnee. Aber wir haben eine klimaneutrale Energieerzeugung davor geschaltet.“

Andere Kommunen in der Region schauen durchaus mit Argwohn auf das Landstädtchen im Landkreis Schmalkalden-Meiningen mit seinen 1600 Einwohnern – und auf die großzügigen öffentlichen Zuwendungen für einen Ort, der schon um 1900 den Adel und das Großbürgertum anzog. Und der nach dem Zweiten Weltkrieg zu einer Kaderschmiede des DDR-Wintersports ausgebaut wurde.

Der frühere Spitzenbiathlet Erik Lesser, der seine Karriere im vergangenen Frühjahr beendet hat, ging mit 13 ins Oberhofer Sportinternat. Heute wohnt er einen Kilometer Luftlinie von der WM-Arena entfernt und erklärt: „Oberhof hat es nicht in der Kasse, Dinge selbst anzuschieben, zum Beispiel eine eigene Jugendschanze oder ein eigenes Biathlonstadion zu betreiben. Ich würde meinen, das sind noch Auswirkungen von der Art, wie die DDR den Sport aufgezogen hat.“ Denn: „Dort wurde alles staatlich gelenkt, es gab keinen Verein, der sich irgendetwas aufbauen konnte.“

Braucht der Thüringer Wald den Weltcup?

Zwar gibt es den WSV Oberhof, der 1990 aus dem aufgelösten Armeesportclub Vorwärts Oberhof hervorgegangen ist. „Aber der hatte in diesem Ort nie eine größere Bedeutung, bekam immer alles hingestellt“, sagt Lesser, der zugleich betont: „Wenn wir das alle nicht mehr wollen, dann machen wir den Weltcup eben nicht mehr. Und dann schauen wir mal, was mit der Region Thüringer Wald passiert. Nämlich genau gar nichts. Es wird einen Rückschritt geben.“ Die Neiddebatte, die immer wieder geführt werde, könne er nicht nachvollziehen, seufzt der 34-jährige Familienvater.

Zahlreiche Wintersportanlagen

Inhaltlich unterstützt wird er von der früheren Weltklasse-Skijägerin Kati Wilhelm, die 15 Kilometer entfernt in Steinbach-Hallenberg zu Hause ist. Die viel beschäftigte Frau – Mutter von zwei schulpflichtigen Kindern, Trainerin und seit letztem Frühjahr Vizepräsidentin des Thüringer Skiverbands – weiß: „Bei Oberhof geht es natürlich auch um den Stellenwert als Aushängeschild für Thüringen.“ Und das sei ganz allein Oberhof – ein Ort, den die dreimalige Olympiasiegerin wegen seiner zahlreichen, auf engstem Raum versammelten Wintersportanlagen als „Leuchtturm-Projekt“ bezeichnet. Den Namen, den sich Oberhof durch den Sport gemacht habe, gebe man nicht einfach auf, sagt die 46-Jährige. „Stattdessen sollten wir gemeinsam Schritte wagen, um langfristig an frühere Erfolge anzuknüpfen.“

„Einzigartige Bedingungen in Deutschland“

Ein Stichwort, das auch OK-Chef Hartmut Schubert gerne aufgreift. Denn während beispielsweise die Grünen in Bayern mit Verweis auf die steigenden Durchschnittstemperaturen fordern, keine Steuermittel mehr in den Betrieb von Schneekanonen zu stecken, kann Oberhof – das 2015 schon mal den Weltcup in dem in die Jahre gekommenen Biathlonstadion zu verlieren drohte – mittlerweile auf fünf Schneedepots zurückgreifen. „Dass immer höhere Anforderungen an die Sportstätte an sich gestellt werden, da ist ein bisschen was dran“, räumt Schubert generell ein, sagt aber auch: „Wir haben jetzt so gute Bedingungen bei uns, das gibt es nirgendwo in Deutschland.“

Und er zählt auf: die große Skihalle, die vielen sportwissenschaftlichen Einrichtungen, die Bundeswehr, das Sportgymnasium – „alles an einem Ort konzentriert“. Dabei müsse, findet der WM- und Oberhof-Beauftragte der Thüringer Landesregierung, „unterm Strich doch dauerhaft auch mal etwas Gescheites herumkommen“. Oder anders ausgedrückt: „Da sind jetzt natürlich auch die Verbände gefragt.“

Das Investment soll sich sportlich auszahlen

Das Investment in die Sportstätten soll, so der Gedanke dahinter, auch wieder zu einer sportlichen Blüte des Standorts führen. Dass die Winter im Flachland in Zukunft prinzipiell noch schlechter ausfallen werden als in dem 815 Meter hoch gelegenen Städtchen am Grenzadler, ist dem SPD-Politiker bewusst. „Wir müssen schauen, wie wir das irgendwie wettmachen können“, fordert der 63-Jährige, der die 65 Kilometer zwischen seinem Büro im Erfurter Finanzministerium und Oberhof gerne schon mal auf dem Rad zurücklegt.

Wissenswertes zur WM

Fernsehen
Die öffentlich-rechtlichen Sender ARD und ZDF teilen sich wie gewohnt die Übertragungen. In der ersten WM-Woche ist das ZDF an der Reihe, in der zweiten steigt die ARD ein. Eurosport zeigt alle Wettkämpfe.

Favoriten
Der 29 Jahre alte Dominator Johannes Thingnes Bö aus Norwegen ist läuferisch eine Klasse für sich, trifft er gut, ist er nicht zu schlagen. Dazu kommen seine Teamkollegen Sturla Holm Laegreid, Vetle Sjastad Christiansen und Bruder Tarjei Bö – im Gesamtweltcup stehen fünf Norweger in den Top Acht. Auch die Franzosen um Doppelolympiasieger Quentin Fillon Maillet werden mitreden wollen. Bei den Frauen werden ausgeglichenere Rennen erwartet. Der Gesamtweltcup-Spitzenreiterin Julia Simon (Frankreich) wird ebenso viel zugetraut wie den schwedischen Schwestern Elvira und Hanna Öberg, den Italienerinnen Dorothea Wierer und Lisa Vittozzi oder der Norwegerin Marte Olsbu Röiseland.

Gastgeber
Insgesamt zwölf deutsche Biathletinnen und Biathleten sind am Start. Frauen: Denise Herrmann-Wick (34/Oberwiesenthal), Vanessa Voigt (25/Rotterode), Anna Weidel (26/Kiefersfelden), Sophia Schneider (25/Oberteisendorf), Janina Hettich-Walz (26/Schönwald), Hanna Kebinger (25/Partenkirchen). Männer: Benedikt Doll (32/Breitnau), Roman Rees (29/Schauinsland), Johannes Kühn (31/Reit im Winkl), David Zobel (26/Partenkirchen), Justus Strelow (26/Schmiedeberg), Philipp Nawrath (29/Nesselwang).