Foto: dpa/Jörg Carstensen

Am Donnerstag beginnen in Berlin die Koalitionsverhandlungen zwischen CDU und SPD. Franziska Giffey ist fest entschlossen, die Sozialdemokraten als kleineren Partner in das Bündnis zu führen. Doch machen die Mitglieder mit?

Franziska Giffey pokert, wie es einst Sigmar Gabriel vorgemacht hat. Als er die SPD im Jahr 2013 als Juniorpartner in die ungeliebte große Koalition führen wollte, ließ er die Parteimitglieder über den Koalitionsvertrag abstimmen – und gewann. Auch in die nächste große Koalition im Bund fand die SPD, damals schon unter anderer Führung, nach einem holprigen Prozess auf diesem Weg. Die Mitglieder sagten ja.

Giffey hat überrascht

Giffey hat gerade viele – ob Freund, ob Feind – überrascht. Die Verliererin der Wahl zum Abgeordnetenhaus hätte, trotz des katastrophalen SPD-Ergebnisses von 18,4 Prozent, in der Hauptstadt Regierende Bürgermeisterin bleiben können – im bisherigen rot-grün-roten Bündnis. Diese Koalition hätte eine parlamentarische Mehrheit gehabt, und die SPD lag in der Wahl ganze 53 Stimmen vor den Grünen.

Das Kalkül hinter dem Mitgliedervotum

Die 44-Jährige hat sich aber nach Sondierungsgesprächen entschieden, mit der SPD den Weg in eine große Koalition gehen zu wollen. Regierender Bürgermeister würde dann der CDU-Spitzenkandidat Kai Wegner, Giffey bliebe ein Platz als Senatorin. Giffey sieht darin eine Geste des Respekts vor dem Wahlergebnis, da die Union mit 28,2 Prozent klar die stärkste Partei geworden ist. Sie hatte aber offenkundig auch Sorge, die Grünen würden bei einer Neuauflage der bisherigen Koalition zu viel verlangen.

Die Verhandlungen mit der CDU über die große Koalition beginnen am Donnerstag. Am Ende sollen die SPD-Mitglieder über den Koalitionsvertrag abstimmen. Das Kalkül dahinter dürfte dasselbe sein, das Sigmar Gabriel im Jahr 2013 hatte: Die Mitglieder sähen am Ende vieles pragmatischer als der mittlere Funktionärsbau der Partei, aus dem sich häufig die Delegierten auf Parteitagen zusammensetzen. Nach dem Motto: Wenn jemand ja zur großen Koalition sagt, dann die „normalen“ Mitglieder.

Doch kann diese Rechnung auch für Giffey aufgehen? Im Berliner Landesverband formiert sich bereits erhebliche Gegenwehr gegen ihren Plan – und das nicht nur von den Jusos. Ausgerechnet der Kreisverband Berlin-Neukölln hat sich bereits gegen eine Koalition mit der CDU ausgesprochen – mit 48 zu 45 Stimmen bei einer Kreisdelegiertenversammlung. Giffey war Bezirksbürgermeisterin in Neukölln, bevor sie im Jahr 2018 überraschend zur Bundesfamilienministerin ernannt wurde. Vier Jahre lang hat sie den Kreisverband geführt.

Und das ist noch nicht alles. Auch der Kreisverband Steglitz-Zehlendorf hat sich bereits gegen eine große Koalition ausgesprochen. Der linke Kreisverband Friedrichshain-Kreuzberg nennt in einem Vorstandsbeschluss „unerlässliche Punkte“, ohne die es eine Koalition mit der CDU nicht geben könne: darunter dezidierte verkehrs- und wohnungsbaupolitische Forderungen, aber auch ein Bekenntnis der Berliner CDU zur Kindergrundsicherung.

Die Grünen als zusätzliche Option

Als Sigmar Gabriel die SPD in die große Koalition im Bund geführt hat, war der Hinweis auf das abschließende Mitgliedervotum für ihn übrigens ein Mittel, in den Verhandlungen mit der Union möglichst viel rauszuholen. Ob das für Giffey und ihre Unterhändler – in den Verhandlungsgruppen treten bisherige SPD-Senatoren in den Hintergrund – auch möglich ist, darf man zumindest bezweifeln.

Manch einer vom linken SPD-Flügel mag hoffen, im Fall eines Scheiterns von Schwarz-Rot hätte Rot-Grün-Rot eine neue Chance. Doch die Realität sieht so aus: Die SPD wäre dann erst mal führungslos. Die Grünen, die wütend sind, von den Sozialdemokraten ausgebootet worden zu sein, wären der nächste mögliche Verhandlungspartner für die CDU. „Nun steht die SPD vor der Wahl, ein Bündnis unter Führung der CDU einzugehen oder den Gang in die Opposition anzutreten“, so fasst es der Kreisvorstand Friedrichshain-Kreuzberg zusammen.

Ehrgeiziger Zeitplan

Der Zeitplan für die Gespräche von Union und SPD ist durchaus ehrgeizig. Am 31. März sollen die Koalitionsverhandlungen abgeschlossen sein, am 3. April soll der Koalitionsvertrag präsentiert werden. Danach soll bis zum 21. April das SPD-Mitgliedervotum durchgeführt werden. Um abstimmen zu können, muss man spätestens zum 24. Februar der SPD beigetreten sein. So will die Parteispitze verhindern, dass die Jusos nun fleißig neue Mitglieder werben können, die gegen die große Koalition sind.