Man könne davon ausgehen, dass „eine Impfpflicht die aggressive Haltung der Querdenker-Bewegung noch verstärkt“, sagte Thomas Strobl in einem Bericht. (Archivbild) Foto: dpa/Marijan Murat

Lange hieß es, eine Impfpflicht solle es nicht geben – nun liegt die Frage doch auf dem Tisch. Selbst mancher Befürworter macht sich allerdings Sorgen über mögliche gesellschaftliche Konsequenzen einer solchen Entscheidung.

Berlin - Der Vorsitzende der Innenministerkonferenz, Thomas Strobl (CDU), hat vor einer Radikalisierung der Corona-Proteste im Fall einer Impfpflicht gewarnt. Nach den Erkenntnissen des Verfassungsschutzes könne man davon ausgehen, dass „eine Impfpflicht die aggressive Haltung der Querdenker-Bewegung noch verstärkt“, sagte der baden-württembergische Innenminister den Zeitungen der Funke Mediengruppe (Samstag).

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„Die Querdenken-Bewegung ist gefährlich für unsere freiheitliche Demokratie, und sie wird noch gefährlicher“, sagte Strobl. „Sie meint, eine voranschreitende Diktatur zu erkennen, sie meint zunehmend einen delegitimen Staat zu erkennen, gegen den Widerstand gerechtfertigt sei.“ Im Kampf gegen Corona sei es aber richtig, eine allgemeine Impfpflicht einzuführen. „Auch wenn es eine zunehmende Radikalisierung geben sollte: Wir lassen uns von Extremisten, Verschwörungsideologen und Antisemiten nicht abhalten, das Richtige zu tun.“

Zahlreiche Politiker sprachen sich für Impfpflicht aus

Zuletzt hatten sich zahlreiche Politiker für eine allgemeine Impfpflicht gegen Corona ausgesprochen. Der voraussichtliche künftige Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat angekündigt, dass darüber im Bundestag ohne Fraktionsdisziplin abgestimmt werden solle. Nach Angaben von Regierungssprecher Steffen Seibert könnte eine solche Abstimmung Anfang des Jahres stattfinden.

Das Thema ist umstritten - unter anderem, weil führende Politiker eine Impfpflicht lange ausgeschlossen hatten. „Wir haben jetzt 20 Monate lang im Brustton der Überzeugung gesagt, es wird keine Impfpflicht geben“, sagte der scheidende CDU-Chef Armin Laschet der „Süddeutschen Zeitung“ (Samstag). „Und plötzlich höre ich keinen mehr, der so einen Satz wiederholt.“ Auf die Frage, ob er selbst als Abgeordneter im Bundestag für eine Impfpflicht stimmen werde, sagte er: „Ich habe vor der Wahl versprochen, dass es keine Impfpflicht geben wird. Deshalb muss man diese Entscheidung sorgsam treffen.“

Chef der Ständigen Impfkommission äußert sich ablehnend

Der Chef der Ständigen Impfkommission, Thomas Mertens, äußerte sich ablehnend. „Ich persönlich bin kein Freund einer Impfpflicht. Das war ich noch nie und das werde ich auch nicht mehr werden“, sagte er der „Rheinischen Post“ (Samstag). „Es ist mir immer lieber, wenn es durch Überzeugung gelingt, die Menschen zu etwas Sinnvollem wie der Impfung zu bewegen“. Es sei aber auch klar, „dass die Impfpflicht keine Sache der Wissenschaft ist, sondern der Politik“.

Die stellvertretende Grünen-Bundesvorsitzende Ricarda Lang sagte dagegen, eine allgemeine Impfpflicht sei zwar ein sehr weitgehender Eingriff in die Grundrechte. „Doch wenn wir es abwägen gegen die Beschränkungen, die ansonsten immer wieder notwendig werden, wiederholte Lockdowns oder scharfe Kontaktbeschränkungen zum Beispiel, ist eine Impfpflicht die Voraussetzung, den Weg zurück in die Freiheit zu beschreiten“, sagte sie der „Passauer Neuen Presse“ (Samstag).

Braun hält Stellungnahme des Ethikrats für richtig

Der scheidende Kanzleramtschef Helge Braun argumentierte, man habe in der Pandemie immer wieder dazulernen müssen. „Eine Impfpflicht kann zu weiteren gesellschaftlichen Spaltungen führen, wie wir sie jetzt schon erlebt haben. Aber eine nicht enden wollende Pandemie führt auch zur Spaltung der Gesellschaft“, sagte der CDU-Politiker der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ (Samstag). Braun - der für den CDU-Vorsitz kandidiert - forderte aber: „Es sollte keine Ad-hoc-Entscheidung werden, sondern von möglichst vielen Menschen akzeptiert und mitgetragen werden.“ Deshalb halte er es für richtig, dass die Bundesregierung den Ethikrat bitte, eine abgewogene Stellungnahme abzugeben.

Hintergrund der Debatte ist unter anderem die dramatische Entwicklung der vierten Corona-Welle in Deutschland. Um diese zu brechen, haben Bund und Länder sich in dieser Woche auf bundesweit deutlich schärfere Vorgaben und Einschränkungen geeinigt. Diese reichen von erheblichen Kontaktbeschränkungen für Ungeimpfte und Nicht-Genesene bis hin zu 2G-Regelungen für den Besuch von Restaurants, Kinos, Theatern und anderen Freizeiteinrichtungen - also Zugang nur für Geimpfte und Genesene. An diesem Samstag treten etwa in Rheinland-Pfalz und in Baden-Württemberg striktere Regeln in Kraft.